Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.Agathon, Dieses innerliche Vergnügen äussert sich bald durch dieVeränderungen, die es in dem mechanischen Theil un- sers Wesens hervorbringt; es wallt mit hüpfender Munterkeit in unsern Adern, es schimmert aus unsern Augen, es gießt eine lächelnde Heiterkeit über unfer Gesicht, und giebt allen unsern Bewegungen eine neue Lebhaftigkeit und Anmuth: es stimmt und erhöhet alle Kräfte unsrer Seele, belebt das Spiel der Phantasie und des Wizes, und kleidet, so zu sagen, alle unsre Jdeen in den Schimmer und die Farbe der Liebe. Ein Liebhaber ist in diesem Augenblik mehr als ein gewöhn- licher Mensch; er ist (wie Plato sagt) von einer Gottheit voll, die aus ihm redet und würket; und es ist keine Vollkommenheit, keine Tugend, keine Helden- that so groß, wozu er in diesem Stande der Begei- strung und unter den Augen des geliebten Gegenstands nicht fähig wäre. Dieser Zustand dauert noch fort, wenn er gleich von demselben entfernt wird, und das Bild desselben, das seine ganze Seele auszufüllen scheint, ist so lebhaft, daß es einige Zeit braucht, bis er der Abwesenheit des Urbildes gewahr wird. Aber kaum empfindet die Seele diese Abwesenheit, so verschwin- det jenes Vergnügen mit seinem ganzen bezauberten Gefolge; man erfährt in immer zunehmenden Gra- den das Gegentheil von allen Würkungen jener Be- geisterung, wovon wir geredet haben; und derjenige der vor kurzem mehr als ein Mensch schien, scheint nun nichts als der Schatten von sich selbst, ohne Le- ben, ohne Geist, zu nichts geschikt als in einöden Wild-
Agathon, Dieſes innerliche Vergnuͤgen aͤuſſert ſich bald durch dieVeraͤnderungen, die es in dem mechaniſchen Theil un- ſers Weſens hervorbringt; es wallt mit huͤpfender Munterkeit in unſern Adern, es ſchimmert aus unſern Augen, es gießt eine laͤchelnde Heiterkeit uͤber unfer Geſicht, und giebt allen unſern Bewegungen eine neue Lebhaftigkeit und Anmuth: es ſtimmt und erhoͤhet alle Kraͤfte unſrer Seele, belebt das Spiel der Phantaſie und des Wizes, und kleidet, ſo zu ſagen, alle unſre Jdeen in den Schimmer und die Farbe der Liebe. Ein Liebhaber iſt in dieſem Augenblik mehr als ein gewoͤhn- licher Menſch; er iſt (wie Plato ſagt) von einer Gottheit voll, die aus ihm redet und wuͤrket; und es iſt keine Vollkommenheit, keine Tugend, keine Helden- that ſo groß, wozu er in dieſem Stande der Begei- ſtrung und unter den Augen des geliebten Gegenſtands nicht faͤhig waͤre. Dieſer Zuſtand dauert noch fort, wenn er gleich von demſelben entfernt wird, und das Bild deſſelben, das ſeine ganze Seele auszufuͤllen ſcheint, iſt ſo lebhaft, daß es einige Zeit braucht, bis er der Abweſenheit des Urbildes gewahr wird. Aber kaum empfindet die Seele dieſe Abweſenheit, ſo verſchwin- det jenes Vergnuͤgen mit ſeinem ganzen bezauberten Gefolge; man erfaͤhrt in immer zunehmenden Gra- den das Gegentheil von allen Wuͤrkungen jener Be- geiſterung, wovon wir geredet haben; und derjenige der vor kurzem mehr als ein Menſch ſchien, ſcheint nun nichts als der Schatten von ſich ſelbſt, ohne Le- ben, ohne Geiſt, zu nichts geſchikt als in einoͤden Wild-
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Agathon,
Dieſes innerliche Vergnuͤgen aͤuſſert ſich bald durch die
Veraͤnderungen, die es in dem mechaniſchen Theil un-
ſers Weſens hervorbringt; es wallt mit huͤpfender
Munterkeit in unſern Adern, es ſchimmert aus unſern
Augen, es gießt eine laͤchelnde Heiterkeit uͤber unfer
Geſicht, und giebt allen unſern Bewegungen eine neue
Lebhaftigkeit und Anmuth: es ſtimmt und erhoͤhet alle
Kraͤfte unſrer Seele, belebt das Spiel der Phantaſie
und des Wizes, und kleidet, ſo zu ſagen, alle unſre
Jdeen in den Schimmer und die Farbe der Liebe. Ein
Liebhaber iſt in dieſem Augenblik mehr als ein gewoͤhn-
licher Menſch; er iſt (wie Plato ſagt) von einer
Gottheit voll, die aus ihm redet und wuͤrket; und es
iſt keine Vollkommenheit, keine Tugend, keine Helden-
that ſo groß, wozu er in dieſem Stande der Begei-
ſtrung und unter den Augen des geliebten Gegenſtands
nicht faͤhig waͤre. Dieſer Zuſtand dauert noch fort,
wenn er gleich von demſelben entfernt wird, und das
Bild deſſelben, das ſeine ganze Seele auszufuͤllen ſcheint,
iſt ſo lebhaft, daß es einige Zeit braucht, bis er der
Abweſenheit des Urbildes gewahr wird. Aber kaum
empfindet die Seele dieſe Abweſenheit, ſo verſchwin-
det jenes Vergnuͤgen mit ſeinem ganzen bezauberten
Gefolge; man erfaͤhrt in immer zunehmenden Gra-
den das Gegentheil von allen Wuͤrkungen jener Be-
geiſterung, wovon wir geredet haben; und derjenige
der vor kurzem mehr als ein Menſch ſchien, ſcheint
nun nichts als der Schatten von ſich ſelbſt, ohne Le-
ben, ohne Geiſt, zu nichts geſchikt als in einoͤden
Wild-
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