Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.Agathon. Wenn eine Verschiedenheit zwischen Agathon und denBesten ist, für welche ich ehmals aus Dankbarkeit, Geschmak oder Laune, Gefälligkeiten gehabt habe, so ist sie gänzlich zu seinem Vortheil; so ist es, daß er ed- ler, aufrichtiger, zärtlicher ist, daß er mich liebet, da jene nur sich selbst in mir liebten; daß ihn mein Ver- gnügen glüklicher macht als sein eignes; daß er das großmüthigste und erkenntlichste Herz mit den glänzen- desten Vorzügen des Geistes, mit allem was den Um- gang reizend macht, vereinigt besizt. -- Welch ein Strom von Beredsamkeit, rief Hippias mit dem Lä- cheln eines Fauns aus; du sprichst nicht anders als ob du seine Apologie gegen mich machen müßtest; und wenn habe ich denn was anders gesagt? Beschrieb ich ihn nicht als liebenswürdig? Sagt' ich dir nicht, daß er dir die Hyacinthe, und alle diese artigen gau- kelnden Sommervögel unerträglich machen würde? Aber wir wollen uns nicht zanken, schöne Danae. Jch sehe, daß Amor hier mehr Arbeit gemacht als ihm auf- getragen war; er sollte dir nur helfen, den Agathon zu unterwerfen; aber der übermüthige kleine Bube hat es für eine grössere Ehre gehalten, dich selbst zu besiegen; diese Danae, welche bißher mit seinen Pfeilen nur ge- scherzt hatte. Bekenne, Danae -- Ja, (siel sie ihm lebhaft ein) ich bekenne, daß ich liebe wie ich nie geliebt habe; daß alles was ich sonst Glükselig- keit nannte, kaum deu Nahmen des Daseyns verdient hat; ich bekenne es, Hippias, und bin stolz darauf, daß ich fähig wäre, alles was ich besize, alle Ergöz- lich-
Agathon. Wenn eine Verſchiedenheit zwiſchen Agathon und denBeſten iſt, fuͤr welche ich ehmals aus Dankbarkeit, Geſchmak oder Laune, Gefaͤlligkeiten gehabt habe, ſo iſt ſie gaͤnzlich zu ſeinem Vortheil; ſo iſt es, daß er ed- ler, aufrichtiger, zaͤrtlicher iſt, daß er mich liebet, da jene nur ſich ſelbſt in mir liebten; daß ihn mein Ver- gnuͤgen gluͤklicher macht als ſein eignes; daß er das großmuͤthigſte und erkenntlichſte Herz mit den glaͤnzen- deſten Vorzuͤgen des Geiſtes, mit allem was den Um- gang reizend macht, vereinigt beſizt. — Welch ein Strom von Beredſamkeit, rief Hippias mit dem Laͤ- cheln eines Fauns aus; du ſprichſt nicht anders als ob du ſeine Apologie gegen mich machen muͤßteſt; und wenn habe ich denn was anders geſagt? Beſchrieb ich ihn nicht als liebenswuͤrdig? Sagt’ ich dir nicht, daß er dir die Hyacinthe, und alle dieſe artigen gau- kelnden Sommervoͤgel unertraͤglich machen wuͤrde? Aber wir wollen uns nicht zanken, ſchoͤne Danae. Jch ſehe, daß Amor hier mehr Arbeit gemacht als ihm auf- getragen war; er ſollte dir nur helfen, den Agathon zu unterwerfen; aber der uͤbermuͤthige kleine Bube hat es fuͤr eine groͤſſere Ehre gehalten, dich ſelbſt zu beſiegen; dieſe Danae, welche bißher mit ſeinen Pfeilen nur ge- ſcherzt hatte. Bekenne, Danae — Ja, (ſiel ſie ihm lebhaft ein) ich bekenne, daß ich liebe wie ich nie geliebt habe; daß alles was ich ſonſt Gluͤkſelig- keit nannte, kaum deu Nahmen des Daſeyns verdient hat; ich bekenne es, Hippias, und bin ſtolz darauf, daß ich faͤhig waͤre, alles was ich beſize, alle Ergoͤz- lich-
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Agathon.
Wenn eine Verſchiedenheit zwiſchen Agathon und den
Beſten iſt, fuͤr welche ich ehmals aus Dankbarkeit,
Geſchmak oder Laune, Gefaͤlligkeiten gehabt habe, ſo
iſt ſie gaͤnzlich zu ſeinem Vortheil; ſo iſt es, daß er ed-
ler, aufrichtiger, zaͤrtlicher iſt, daß er mich liebet, da
jene nur ſich ſelbſt in mir liebten; daß ihn mein Ver-
gnuͤgen gluͤklicher macht als ſein eignes; daß er das
großmuͤthigſte und erkenntlichſte Herz mit den glaͤnzen-
deſten Vorzuͤgen des Geiſtes, mit allem was den Um-
gang reizend macht, vereinigt beſizt. — Welch ein
Strom von Beredſamkeit, rief Hippias mit dem Laͤ-
cheln eines Fauns aus; du ſprichſt nicht anders als ob
du ſeine Apologie gegen mich machen muͤßteſt; und wenn
habe ich denn was anders geſagt? Beſchrieb ich ihn
nicht als liebenswuͤrdig? Sagt’ ich dir nicht, daß
er dir die Hyacinthe, und alle dieſe artigen gau-
kelnden Sommervoͤgel unertraͤglich machen wuͤrde?
Aber wir wollen uns nicht zanken, ſchoͤne Danae. Jch
ſehe, daß Amor hier mehr Arbeit gemacht als ihm auf-
getragen war; er ſollte dir nur helfen, den Agathon zu
unterwerfen; aber der uͤbermuͤthige kleine Bube hat es
fuͤr eine groͤſſere Ehre gehalten, dich ſelbſt zu beſiegen;
dieſe Danae, welche bißher mit ſeinen Pfeilen nur ge-
ſcherzt hatte. Bekenne, Danae — Ja, (ſiel ſie
ihm lebhaft ein) ich bekenne, daß ich liebe wie
ich nie geliebt habe; daß alles was ich ſonſt Gluͤkſelig-
keit nannte, kaum deu Nahmen des Daſeyns verdient
hat; ich bekenne es, Hippias, und bin ſtolz darauf,
daß ich faͤhig waͤre, alles was ich beſize, alle Ergoͤz-
lich-
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Zitationshilfe: | Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/248>, abgerufen am 16.02.2025. |