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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Siebentes Buch, zweytes Capitel,
ihrem Umgang geschikt gemacht hatte. Jch entdekte
endlich dem Theogiton (so hieß der Priester) meine
lange geheim gehaltene Gedanken. Er erklärte sich auf
eine Art darüber, welche meine Neubegterde rege machte,
ohne sie zu befriedigen; er ließ mich merken, daß die-
ses Geheimnisse seyen, welche er Bedenken trage,
meiner Jugend anzuvertrauen: Doch sagte er mir, daß
die Möglichkeit der Sache keinem Zweifel unterworfen
sey, und bezauberte mich ganz mit dem Gemählde, so
er mir von der Glükseligkeit derjenigen machte, welche
von den Göttern würdig geachtet würden, zu ihrem
geheimen Umgang zugelassen zu werden. Die geheim-
nisvolle Mine, die er annahm, so bald ich nach den
Mitteln hiezu zu gelangen fragte, bewog mich, den
Vorsaz zu fassen, zu warten, biß er selbst für gut fin-
den würde, sich deutlicher zu entdeken. Er that es
nicht; aber er machte so viele Gelegenheiten, meine
erregte Neugierigkeit zu entflammen, daß ich mich nicht
lange enthalten konnte, neue Fragen zu thun. End-
lich führte er mich einsmals tief im geheiligten Hayn
des Apollo in eine Grotte, welche ein uralter Glaube
der Bewohner des Landes von den Nymphen bewohnt
glaubte, deren Bilder, aus Cypressenholz geschnizt, in
Blinden von Muschelwerk das Jnnerste der Höhle zierten.

Hier ließ er mich auf eine bemooste Bank nieder-
sizen, und fieng nach einer viel versprechenden Vorrede
an, mir, wie er sagte, das geheime Heiligthum der
göttlichen Philosophie des Hermes und Orpheus aufzu-

schliessen.

Siebentes Buch, zweytes Capitel,
ihrem Umgang geſchikt gemacht hatte. Jch entdekte
endlich dem Theogiton (ſo hieß der Prieſter) meine
lange geheim gehaltene Gedanken. Er erklaͤrte ſich auf
eine Art daruͤber, welche meine Neubegterde rege machte,
ohne ſie zu befriedigen; er ließ mich merken, daß die-
ſes Geheimniſſe ſeyen, welche er Bedenken trage,
meiner Jugend anzuvertrauen: Doch ſagte er mir, daß
die Moͤglichkeit der Sache keinem Zweifel unterworfen
ſey, und bezauberte mich ganz mit dem Gemaͤhlde, ſo
er mir von der Gluͤkſeligkeit derjenigen machte, welche
von den Goͤttern wuͤrdig geachtet wuͤrden, zu ihrem
geheimen Umgang zugelaſſen zu werden. Die geheim-
nisvolle Mine, die er annahm, ſo bald ich nach den
Mitteln hiezu zu gelangen fragte, bewog mich, den
Vorſaz zu faſſen, zu warten, biß er ſelbſt fuͤr gut fin-
den wuͤrde, ſich deutlicher zu entdeken. Er that es
nicht; aber er machte ſo viele Gelegenheiten, meine
erregte Neugierigkeit zu entflammen, daß ich mich nicht
lange enthalten konnte, neue Fragen zu thun. End-
lich fuͤhrte er mich einsmals tief im geheiligten Hayn
des Apollo in eine Grotte, welche ein uralter Glaube
der Bewohner des Landes von den Nymphen bewohnt
glaubte, deren Bilder, aus Cypreſſenholz geſchnizt, in
Blinden von Muſchelwerk das Jnnerſte der Hoͤhle zierten.

Hier ließ er mich auf eine bemooste Bank nieder-
ſizen, und fieng nach einer viel verſprechenden Vorrede
an, mir, wie er ſagte, das geheime Heiligthum der
goͤttlichen Philoſophie des Hermes und Orpheus aufzu-

ſchlieſſen.
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[267/0289] Siebentes Buch, zweytes Capitel, ihrem Umgang geſchikt gemacht hatte. Jch entdekte endlich dem Theogiton (ſo hieß der Prieſter) meine lange geheim gehaltene Gedanken. Er erklaͤrte ſich auf eine Art daruͤber, welche meine Neubegterde rege machte, ohne ſie zu befriedigen; er ließ mich merken, daß die- ſes Geheimniſſe ſeyen, welche er Bedenken trage, meiner Jugend anzuvertrauen: Doch ſagte er mir, daß die Moͤglichkeit der Sache keinem Zweifel unterworfen ſey, und bezauberte mich ganz mit dem Gemaͤhlde, ſo er mir von der Gluͤkſeligkeit derjenigen machte, welche von den Goͤttern wuͤrdig geachtet wuͤrden, zu ihrem geheimen Umgang zugelaſſen zu werden. Die geheim- nisvolle Mine, die er annahm, ſo bald ich nach den Mitteln hiezu zu gelangen fragte, bewog mich, den Vorſaz zu faſſen, zu warten, biß er ſelbſt fuͤr gut fin- den wuͤrde, ſich deutlicher zu entdeken. Er that es nicht; aber er machte ſo viele Gelegenheiten, meine erregte Neugierigkeit zu entflammen, daß ich mich nicht lange enthalten konnte, neue Fragen zu thun. End- lich fuͤhrte er mich einsmals tief im geheiligten Hayn des Apollo in eine Grotte, welche ein uralter Glaube der Bewohner des Landes von den Nymphen bewohnt glaubte, deren Bilder, aus Cypreſſenholz geſchnizt, in Blinden von Muſchelwerk das Jnnerſte der Hoͤhle zierten. Hier ließ er mich auf eine bemooste Bank nieder- ſizen, und fieng nach einer viel verſprechenden Vorrede an, mir, wie er ſagte, das geheime Heiligthum der goͤttlichen Philoſophie des Hermes und Orpheus aufzu- ſchlieſſen.

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/289>, abgerufen am 24.11.2024.