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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
Meine Einbildung that das übrige hinzu, was zu Vol-
lendung einer idealischen Schönheit nöthig war. Al-
lein Bestürzung und Ehrfurcht erlaubte mir nicht, dem
Gott genauer ins Gesicht zu sehen; ich glaubte geblen-
det zu seyn, und den Glanz von Augen, welche die
ganze Welt erleuchteten, nicht ertragen zu können. Er
redete mich an; er bezeugte mir sein Wolgefallen an
meinem Dienst, und an der feurigen Begierde, womit
ich, mit Verachtung der irdischen Dinge mich den
himmlischen widmete. Er munterte mich auf, in die-
sem Wege fortzugehen, und mich den Einflüssen der
Unsterblichen leidend zu überlassen; mit der Versiche-
rung, daß ich bestimmt sey, die Anzahl der Glüklichen
zu vermehren, welche er seiner besondern Gunst ge-
würdiget habe. Er verschwand, indem er diese Wor-
te sagte, so plözlich, daß ich nichts dabey beobachten
konnte; und so voreingenommen als mein Gemüth war,
hätte dieser Apollo seine Rolle viel ungeschikter spielen
können, ohne daß mir ein Zweifel gegen seine Gottheit
aufgestiegen wäre. Theogiton, dem ich von dieser Er-
scheinung Nachricht gab, wünschte mir Glük dazu, und
sagte mir von den alten Helden unsrer Nation, welche
einst Lieblinge der Götter gewesen, und nun als Halb-
götter selbst Altäre und Priester hätten, so viel herrli-
che Sachen vor, als er nöthig erachten mochte, meine
Bethörung vollkommen zu machen. Am Ende vergaß
er nicht, mir Anweisung zu geben, wie ich mich bey
einer zweyten Erscheinung gegen den Gott zu verhal-
ten hätte. Jnsonderheit ermahnte er mich, mein Ur-

theil

Agathon.
Meine Einbildung that das uͤbrige hinzu, was zu Vol-
lendung einer idealiſchen Schoͤnheit noͤthig war. Al-
lein Beſtuͤrzung und Ehrfurcht erlaubte mir nicht, dem
Gott genauer ins Geſicht zu ſehen; ich glaubte geblen-
det zu ſeyn, und den Glanz von Augen, welche die
ganze Welt erleuchteten, nicht ertragen zu koͤnnen. Er
redete mich an; er bezeugte mir ſein Wolgefallen an
meinem Dienſt, und an der feurigen Begierde, womit
ich, mit Verachtung der irdiſchen Dinge mich den
himmliſchen widmete. Er munterte mich auf, in die-
ſem Wege fortzugehen, und mich den Einfluͤſſen der
Unſterblichen leidend zu uͤberlaſſen; mit der Verſiche-
rung, daß ich beſtimmt ſey, die Anzahl der Gluͤklichen
zu vermehren, welche er ſeiner beſondern Gunſt ge-
wuͤrdiget habe. Er verſchwand, indem er dieſe Wor-
te ſagte, ſo ploͤzlich, daß ich nichts dabey beobachten
konnte; und ſo voreingenommen als mein Gemuͤth war,
haͤtte dieſer Apollo ſeine Rolle viel ungeſchikter ſpielen
koͤnnen, ohne daß mir ein Zweifel gegen ſeine Gottheit
aufgeſtiegen waͤre. Theogiton, dem ich von dieſer Er-
ſcheinung Nachricht gab, wuͤnſchte mir Gluͤk dazu, und
ſagte mir von den alten Helden unſrer Nation, welche
einſt Lieblinge der Goͤtter geweſen, und nun als Halb-
goͤtter ſelbſt Altaͤre und Prieſter haͤtten, ſo viel herrli-
che Sachen vor, als er noͤthig erachten mochte, meine
Bethoͤrung vollkommen zu machen. Am Ende vergaß
er nicht, mir Anweiſung zu geben, wie ich mich bey
einer zweyten Erſcheinung gegen den Gott zu verhal-
ten haͤtte. Jnſonderheit ermahnte er mich, mein Ur-

theil
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[272/0294] Agathon. Meine Einbildung that das uͤbrige hinzu, was zu Vol- lendung einer idealiſchen Schoͤnheit noͤthig war. Al- lein Beſtuͤrzung und Ehrfurcht erlaubte mir nicht, dem Gott genauer ins Geſicht zu ſehen; ich glaubte geblen- det zu ſeyn, und den Glanz von Augen, welche die ganze Welt erleuchteten, nicht ertragen zu koͤnnen. Er redete mich an; er bezeugte mir ſein Wolgefallen an meinem Dienſt, und an der feurigen Begierde, womit ich, mit Verachtung der irdiſchen Dinge mich den himmliſchen widmete. Er munterte mich auf, in die- ſem Wege fortzugehen, und mich den Einfluͤſſen der Unſterblichen leidend zu uͤberlaſſen; mit der Verſiche- rung, daß ich beſtimmt ſey, die Anzahl der Gluͤklichen zu vermehren, welche er ſeiner beſondern Gunſt ge- wuͤrdiget habe. Er verſchwand, indem er dieſe Wor- te ſagte, ſo ploͤzlich, daß ich nichts dabey beobachten konnte; und ſo voreingenommen als mein Gemuͤth war, haͤtte dieſer Apollo ſeine Rolle viel ungeſchikter ſpielen koͤnnen, ohne daß mir ein Zweifel gegen ſeine Gottheit aufgeſtiegen waͤre. Theogiton, dem ich von dieſer Er- ſcheinung Nachricht gab, wuͤnſchte mir Gluͤk dazu, und ſagte mir von den alten Helden unſrer Nation, welche einſt Lieblinge der Goͤtter geweſen, und nun als Halb- goͤtter ſelbſt Altaͤre und Prieſter haͤtten, ſo viel herrli- che Sachen vor, als er noͤthig erachten mochte, meine Bethoͤrung vollkommen zu machen. Am Ende vergaß er nicht, mir Anweiſung zu geben, wie ich mich bey einer zweyten Erſcheinung gegen den Gott zu verhal- ten haͤtte. Jnſonderheit ermahnte er mich, mein Ur- theil

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/294>, abgerufen am 24.11.2024.