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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Siebentes Buch, fünftes Capitel.
nen, wie viel leichter es sey, es zum Tempel eines
ewigen Friedens und der allgemeinen Glükseligkeit der
Welt zu machen. Diese schönen Speculationen gaben
etliche mal den Stof zu den Unterredungn ab, womit ich
meinem Vater des Abends die Zeit zu verkürzen pflegte.
Die Lebhaftigkeit meiner Einbildungskraft schien ihn
eben so sehr zu belustigen, als sein Herz, dessen Eben-
bild er in dem meinigen erkannte, sich an den tugend-
haften Gesinnungen vergnügte, welche er, wie ich selbst,
(vielleicht beyde ein wenig zu partheyisch) für die
Triebfedern meiner politischen Träume hielt. Alles,
was er mir von den Schwierigkeiten ihrer Ausfüh-
rung, die er mit der Quadratur des Cirkels in eine
Classe sezte, sagen konnte, überzeugte mich so wenig,
als einen Verliebten die Einwendungen eines Freun-
des, der bey kaltem Blut ist, überzeugen werden.
Jch hatte eine Antwort für alle; und dieser neue
Schwung, den mein Enthusiasmus bekommen hatte,
wurde bald so stark, daß ich es kaum erwarten konnte,
mich in Athen, und in Umstände zu sezen, wo ich die
erste Hand an dieses grosse Werk, wozu ich gewidmet
zu seyn glaubte, legen könnte.

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Siebentes Buch, fuͤnftes Capitel.
nen, wie viel leichter es ſey, es zum Tempel eines
ewigen Friedens und der allgemeinen Gluͤkſeligkeit der
Welt zu machen. Dieſe ſchoͤnen Speculationen gaben
etliche mal den Stof zu den Unterredungn ab, womit ich
meinem Vater des Abends die Zeit zu verkuͤrzen pflegte.
Die Lebhaftigkeit meiner Einbildungskraft ſchien ihn
eben ſo ſehr zu beluſtigen, als ſein Herz, deſſen Eben-
bild er in dem meinigen erkannte, ſich an den tugend-
haften Geſinnungen vergnuͤgte, welche er, wie ich ſelbſt,
(vielleicht beyde ein wenig zu partheyiſch) fuͤr die
Triebfedern meiner politiſchen Traͤume hielt. Alles,
was er mir von den Schwierigkeiten ihrer Ausfuͤh-
rung, die er mit der Quadratur des Cirkels in eine
Claſſe ſezte, ſagen konnte, uͤberzeugte mich ſo wenig,
als einen Verliebten die Einwendungen eines Freun-
des, der bey kaltem Blut iſt, uͤberzeugen werden.
Jch hatte eine Antwort fuͤr alle; und dieſer neue
Schwung, den mein Enthuſiaſmus bekommen hatte,
wurde bald ſo ſtark, daß ich es kaum erwarten konnte,
mich in Athen, und in Umſtaͤnde zu ſezen, wo ich die
erſte Hand an dieſes groſſe Werk, wozu ich gewidmet
zu ſeyn glaubte, legen koͤnnte.

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[329/0351] Siebentes Buch, fuͤnftes Capitel. nen, wie viel leichter es ſey, es zum Tempel eines ewigen Friedens und der allgemeinen Gluͤkſeligkeit der Welt zu machen. Dieſe ſchoͤnen Speculationen gaben etliche mal den Stof zu den Unterredungn ab, womit ich meinem Vater des Abends die Zeit zu verkuͤrzen pflegte. Die Lebhaftigkeit meiner Einbildungskraft ſchien ihn eben ſo ſehr zu beluſtigen, als ſein Herz, deſſen Eben- bild er in dem meinigen erkannte, ſich an den tugend- haften Geſinnungen vergnuͤgte, welche er, wie ich ſelbſt, (vielleicht beyde ein wenig zu partheyiſch) fuͤr die Triebfedern meiner politiſchen Traͤume hielt. Alles, was er mir von den Schwierigkeiten ihrer Ausfuͤh- rung, die er mit der Quadratur des Cirkels in eine Claſſe ſezte, ſagen konnte, uͤberzeugte mich ſo wenig, als einen Verliebten die Einwendungen eines Freun- des, der bey kaltem Blut iſt, uͤberzeugen werden. Jch hatte eine Antwort fuͤr alle; und dieſer neue Schwung, den mein Enthuſiaſmus bekommen hatte, wurde bald ſo ſtark, daß ich es kaum erwarten konnte, mich in Athen, und in Umſtaͤnde zu ſezen, wo ich die erſte Hand an dieſes groſſe Werk, wozu ich gewidmet zu ſeyn glaubte, legen koͤnnte. Sechs- X 5

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/351>, abgerufen am 22.11.2024.