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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Siebentes Buch, sechstes Capitel.
meiner Absichten proportioniert war, und ich desto
weiter von Ehrsucht, und andern eigennüzigen Leiden-
schaften entfernt zu seyn glaubte, je gewisser ich mir
bewußt war, daß ich (wenn ich es für erlaubt gehal-
ten hätte, mich in der Wahl einer Lebensart bloß mei-
ner Privatneigung zu überlassen,) eine von dem Städ-
tischen Getümmel entfernte Musse, und den Umgang
mit den Musen, die ich alle zugleich liebte, der Ehre,
eine ganze Welt zu beherrschen, vorgezogen hätte: So
glaubte ich mich nicht genug vorbereiten zu können,
eh ich auf einem Theater erschiene, wo der erste Auf-
tritt gemeiniglich das Glük des ganzen Schauspiels
entscheidet. Jch widerstund bey etlichen Gelegenheiten,
welche mich aufzufodern schienen, so wol dem Zudringen
meiner Freunde, als meiner eigenen Neigung, ob es
gleich, seit dem Aleibiades mit so gutem Erfolg den
Anfang gemacht hatte, nicht an jungen Leuten fehlte,
welche, ohne sich durch andre Talente, als die Geschik-
lichkeit ein Gastmal anzuordnen, sich zierlich zu klei-
den, zu tanzen, und die Cithar zu spielen, bekannt
gemacht zu haben, vermessen genug waren, nach einer
durchgeschwärmten Nacht aus den Armen einer Buh-
lerin in die Versammlung des Volks zu hüpfen, und
von Salben triefend mit einer tändelhaften Geschwä-
zigkeit von den Gebrechen des Staats, und den Feh-
lern der öffentlichen Verwaltung zu plaudern.

Endlich ereignete sich ein Fall, wo das Jnteresse ei-
nes Frenndes, den ich vorzüglich liebte, alle meine Be-

denk-

Siebentes Buch, ſechstes Capitel.
meiner Abſichten proportioniert war, und ich deſto
weiter von Ehrſucht, und andern eigennuͤzigen Leiden-
ſchaften entfernt zu ſeyn glaubte, je gewiſſer ich mir
bewußt war, daß ich (wenn ich es fuͤr erlaubt gehal-
ten haͤtte, mich in der Wahl einer Lebensart bloß mei-
ner Privatneigung zu uͤberlaſſen,) eine von dem Staͤd-
tiſchen Getuͤmmel entfernte Muſſe, und den Umgang
mit den Muſen, die ich alle zugleich liebte, der Ehre,
eine ganze Welt zu beherrſchen, vorgezogen haͤtte: So
glaubte ich mich nicht genug vorbereiten zu koͤnnen,
eh ich auf einem Theater erſchiene, wo der erſte Auf-
tritt gemeiniglich das Gluͤk des ganzen Schauſpiels
entſcheidet. Jch widerſtund bey etlichen Gelegenheiten,
welche mich aufzufodern ſchienen, ſo wol dem Zudringen
meiner Freunde, als meiner eigenen Neigung, ob es
gleich, ſeit dem Aleibiades mit ſo gutem Erfolg den
Anfang gemacht hatte, nicht an jungen Leuten fehlte,
welche, ohne ſich durch andre Talente, als die Geſchik-
lichkeit ein Gaſtmal anzuordnen, ſich zierlich zu klei-
den, zu tanzen, und die Cithar zu ſpielen, bekannt
gemacht zu haben, vermeſſen genug waren, nach einer
durchgeſchwaͤrmten Nacht aus den Armen einer Buh-
lerin in die Verſammlung des Volks zu huͤpfen, und
von Salben triefend mit einer taͤndelhaften Geſchwaͤ-
zigkeit von den Gebrechen des Staats, und den Feh-
lern der oͤffentlichen Verwaltung zu plaudern.

Endlich ereignete ſich ein Fall, wo das Jntereſſe ei-
nes Frenndes, den ich vorzuͤglich liebte, alle meine Be-

denk-
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[335/0357] Siebentes Buch, ſechstes Capitel. meiner Abſichten proportioniert war, und ich deſto weiter von Ehrſucht, und andern eigennuͤzigen Leiden- ſchaften entfernt zu ſeyn glaubte, je gewiſſer ich mir bewußt war, daß ich (wenn ich es fuͤr erlaubt gehal- ten haͤtte, mich in der Wahl einer Lebensart bloß mei- ner Privatneigung zu uͤberlaſſen,) eine von dem Staͤd- tiſchen Getuͤmmel entfernte Muſſe, und den Umgang mit den Muſen, die ich alle zugleich liebte, der Ehre, eine ganze Welt zu beherrſchen, vorgezogen haͤtte: So glaubte ich mich nicht genug vorbereiten zu koͤnnen, eh ich auf einem Theater erſchiene, wo der erſte Auf- tritt gemeiniglich das Gluͤk des ganzen Schauſpiels entſcheidet. Jch widerſtund bey etlichen Gelegenheiten, welche mich aufzufodern ſchienen, ſo wol dem Zudringen meiner Freunde, als meiner eigenen Neigung, ob es gleich, ſeit dem Aleibiades mit ſo gutem Erfolg den Anfang gemacht hatte, nicht an jungen Leuten fehlte, welche, ohne ſich durch andre Talente, als die Geſchik- lichkeit ein Gaſtmal anzuordnen, ſich zierlich zu klei- den, zu tanzen, und die Cithar zu ſpielen, bekannt gemacht zu haben, vermeſſen genug waren, nach einer durchgeſchwaͤrmten Nacht aus den Armen einer Buh- lerin in die Verſammlung des Volks zu huͤpfen, und von Salben triefend mit einer taͤndelhaften Geſchwaͤ- zigkeit von den Gebrechen des Staats, und den Feh- lern der oͤffentlichen Verwaltung zu plaudern. Endlich ereignete ſich ein Fall, wo das Jntereſſe ei- nes Frenndes, den ich vorzuͤglich liebte, alle meine Be- denk-

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/357>, abgerufen am 22.11.2024.