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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
Säzen und Absichten übereinkäme, da ich sahe, wie
lebhaft die ausschweifenden Projecte, womit die Eitelkeit
des Alcibiades sie ehemals bezaubert hatte, bey dieser
Gelegenheit wieder aufgewacht waren. Jch versam-
melte also das Volk, und wandte alle Kräfte der Rede-
Kunst, welche bey keinem Volk der Welt so viel ver-
mag, als bey den Atheniensern, dazu an, sie von der
Gründlichkeit meiner Entwürfe zu überzeugen, von
welchen ich sie so viel sehen ließ, als zu Erreichung mei-
ner Absicht nöthig war. Nachdem ich ihnen die Grösse
und den Flor, wozu die Republik, vermöge ihrer na-
türlichen Vortheile und innerlichen Stärke, gelangen
könne, mit den reizendesten Farben abgemahlt hatte;
bemühte ich mich zu beweisen, daß weitläufige Erobe-
rungen, ausser der Gefahr, womit sie durch die Unbe-
ständigkeit des Kriegs-Glüks verbunden seyen, den
Staat endlich nothwendiger Weise unter der Last ihrer
eigenen Grösse erdrüken müßten; daß es einen weit
sicherern und kürzern Weg gebe, Athen zur Königin
des Erdbodens zu machen, indem etwas unläugbares
sey, daß allezeit diejenige Nation den Uebrigen Geseze
vorschreiben werde, welche zu gleicher Zeit die klügste
und die reichste sey; daß der Reichthum allezeit Macht
gebe, so wie die Klugheit den rechten Gebrauch der
Macht lehre; daß Athen in beydem allen andern Völ-
kern überlegen seyn werde, wenn sie auf der einen Seite
fortfahre, die Pfleg-Mutter der Wissenschaften und aller
nüzlichen und schönen Künste zu seyn; auf der andern
aber alle ihre Gedanken darauf richte, sich in der Herr-

schaft

Agathon.
Saͤzen und Abſichten uͤbereinkaͤme, da ich ſahe, wie
lebhaft die ausſchweifenden Projecte, womit die Eitelkeit
des Alcibiades ſie ehemals bezaubert hatte, bey dieſer
Gelegenheit wieder aufgewacht waren. Jch verſam-
melte alſo das Volk, und wandte alle Kraͤfte der Rede-
Kunſt, welche bey keinem Volk der Welt ſo viel ver-
mag, als bey den Athenienſern, dazu an, ſie von der
Gruͤndlichkeit meiner Entwuͤrfe zu uͤberzeugen, von
welchen ich ſie ſo viel ſehen ließ, als zu Erreichung mei-
ner Abſicht noͤthig war. Nachdem ich ihnen die Groͤſſe
und den Flor, wozu die Republik, vermoͤge ihrer na-
tuͤrlichen Vortheile und innerlichen Staͤrke, gelangen
koͤnne, mit den reizendeſten Farben abgemahlt hatte;
bemuͤhte ich mich zu beweiſen, daß weitlaͤufige Erobe-
rungen, auſſer der Gefahr, womit ſie durch die Unbe-
ſtaͤndigkeit des Kriegs-Gluͤks verbunden ſeyen, den
Staat endlich nothwendiger Weiſe unter der Laſt ihrer
eigenen Groͤſſe erdruͤken muͤßten; daß es einen weit
ſicherern und kuͤrzern Weg gebe, Athen zur Koͤnigin
des Erdbodens zu machen, indem etwas unlaͤugbares
ſey, daß allezeit diejenige Nation den Uebrigen Geſeze
vorſchreiben werde, welche zu gleicher Zeit die kluͤgſte
und die reichſte ſey; daß der Reichthum allezeit Macht
gebe, ſo wie die Klugheit den rechten Gebrauch der
Macht lehre; daß Athen in beydem allen andern Voͤl-
kern uͤberlegen ſeyn werde, wenn ſie auf der einen Seite
fortfahre, die Pfleg-Mutter der Wiſſenſchaften und aller
nuͤzlichen und ſchoͤnen Kuͤnſte zu ſeyn; auf der andern
aber alle ihre Gedanken darauf richte, ſich in der Herr-

ſchaft
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[342/0364] Agathon. Saͤzen und Abſichten uͤbereinkaͤme, da ich ſahe, wie lebhaft die ausſchweifenden Projecte, womit die Eitelkeit des Alcibiades ſie ehemals bezaubert hatte, bey dieſer Gelegenheit wieder aufgewacht waren. Jch verſam- melte alſo das Volk, und wandte alle Kraͤfte der Rede- Kunſt, welche bey keinem Volk der Welt ſo viel ver- mag, als bey den Athenienſern, dazu an, ſie von der Gruͤndlichkeit meiner Entwuͤrfe zu uͤberzeugen, von welchen ich ſie ſo viel ſehen ließ, als zu Erreichung mei- ner Abſicht noͤthig war. Nachdem ich ihnen die Groͤſſe und den Flor, wozu die Republik, vermoͤge ihrer na- tuͤrlichen Vortheile und innerlichen Staͤrke, gelangen koͤnne, mit den reizendeſten Farben abgemahlt hatte; bemuͤhte ich mich zu beweiſen, daß weitlaͤufige Erobe- rungen, auſſer der Gefahr, womit ſie durch die Unbe- ſtaͤndigkeit des Kriegs-Gluͤks verbunden ſeyen, den Staat endlich nothwendiger Weiſe unter der Laſt ihrer eigenen Groͤſſe erdruͤken muͤßten; daß es einen weit ſicherern und kuͤrzern Weg gebe, Athen zur Koͤnigin des Erdbodens zu machen, indem etwas unlaͤugbares ſey, daß allezeit diejenige Nation den Uebrigen Geſeze vorſchreiben werde, welche zu gleicher Zeit die kluͤgſte und die reichſte ſey; daß der Reichthum allezeit Macht gebe, ſo wie die Klugheit den rechten Gebrauch der Macht lehre; daß Athen in beydem allen andern Voͤl- kern uͤberlegen ſeyn werde, wenn ſie auf der einen Seite fortfahre, die Pfleg-Mutter der Wiſſenſchaften und aller nuͤzlichen und ſchoͤnen Kuͤnſte zu ſeyn; auf der andern aber alle ihre Gedanken darauf richte, ſich in der Herr- ſchaft

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/364>, abgerufen am 22.11.2024.