Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

Siebentes Buch, siebentes Capitel.
scheinlich zu finden, welche (wie er sagte) benachrich-
tigt zu seyn glaubten, daß ich mein Daseyn den ver-
stohlenen Liebes-Händeln irgend eines delphischen Prie-
sters zu danken hätte. Jn dieser ganzen Rede ersezte
ein von Bosheit beseelter Wiz den Abgang gründlicher
Beweise; aber die Athenienser waren schon lange ge-
wohnt, sich Wiz für Wahrheit verkauffen zu lassen,
und sich einzubilden, daß sie überzeugt würden, wenn
ihr Geschmak belustigt und ihre Ohren gekizelt wurden.
Sie machte also allen den Eindruk, und vielleicht
noch mehr, als meine Feinde sich davon versprochen
hatten. Die Eifersucht, welche sie in den Gemüthern
anbließ, verwandelte die übermässige Zuneigung, de-
ren Gegenstand ich zwey Jahre lang gewesen war, in
einer Zeit von zwo Stunden in den bittersten Haß. Die
Athenienser erschraken vor dem Abgrund, an dessen
Rand sie sich, durch ihre Verblendung für mich, un-
vermerkt hingezogen sahen. -- Sie erstaunten,
daß sie meine Unfähigkeit zur Staats-Verwaltung,
meine Begierde nach einer unumschränkten Gewalt,
meine weit aussehenden Absichten, und mein heimliches
Verständniß mit ihren Feinden nicht eher wahrgenom-
men hätten; und da es nicht natürlich gewesen wäre,
die Schuld davon auf sich selbst zu nehmen, so schrie-
ben sie es lieber einer Bezauberung zu, wodurch ich
ihre Augen eine Zeitlang zu verschliessen gewußt hätte.
Ein jeder glaubte nun, durch die verderblichen An-
schläge, welche ich gegen die Republik gefaßt habe,
von der Dankbarkeit vollkommen losgezählt zu seyn,

die
Z 3

Siebentes Buch, ſiebentes Capitel.
ſcheinlich zu finden, welche (wie er ſagte) benachrich-
tigt zu ſeyn glaubten, daß ich mein Daſeyn den ver-
ſtohlenen Liebes-Haͤndeln irgend eines delphiſchen Prie-
ſters zu danken haͤtte. Jn dieſer ganzen Rede erſezte
ein von Bosheit beſeelter Wiz den Abgang gruͤndlicher
Beweiſe; aber die Athenienſer waren ſchon lange ge-
wohnt, ſich Wiz fuͤr Wahrheit verkauffen zu laſſen,
und ſich einzubilden, daß ſie uͤberzeugt wuͤrden, wenn
ihr Geſchmak beluſtigt und ihre Ohren gekizelt wurden.
Sie machte alſo allen den Eindruk, und vielleicht
noch mehr, als meine Feinde ſich davon verſprochen
hatten. Die Eiferſucht, welche ſie in den Gemuͤthern
anbließ, verwandelte die uͤbermaͤſſige Zuneigung, de-
ren Gegenſtand ich zwey Jahre lang geweſen war, in
einer Zeit von zwo Stunden in den bitterſten Haß. Die
Athenienſer erſchraken vor dem Abgrund, an deſſen
Rand ſie ſich, durch ihre Verblendung fuͤr mich, un-
vermerkt hingezogen ſahen. — Sie erſtaunten,
daß ſie meine Unfaͤhigkeit zur Staats-Verwaltung,
meine Begierde nach einer unumſchraͤnkten Gewalt,
meine weit ausſehenden Abſichten, und mein heimliches
Verſtaͤndniß mit ihren Feinden nicht eher wahrgenom-
men haͤtten; und da es nicht natuͤrlich geweſen waͤre,
die Schuld davon auf ſich ſelbſt zu nehmen, ſo ſchrie-
ben ſie es lieber einer Bezauberung zu, wodurch ich
ihre Augen eine Zeitlang zu verſchlieſſen gewußt haͤtte.
Ein jeder glaubte nun, durch die verderblichen An-
ſchlaͤge, welche ich gegen die Republik gefaßt habe,
von der Dankbarkeit vollkommen losgezaͤhlt zu ſeyn,

die
Z 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0379" n="357"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Siebentes Buch, &#x017F;iebentes Capitel.</hi></fw><lb/>
&#x017F;cheinlich zu finden, welche (wie er &#x017F;agte) benachrich-<lb/>
tigt zu &#x017F;eyn glaubten, daß ich mein Da&#x017F;eyn den ver-<lb/>
&#x017F;tohlenen Liebes-Ha&#x0364;ndeln irgend eines delphi&#x017F;chen Prie-<lb/>
&#x017F;ters zu danken ha&#x0364;tte. Jn die&#x017F;er ganzen Rede er&#x017F;ezte<lb/>
ein von Bosheit be&#x017F;eelter Wiz den Abgang gru&#x0364;ndlicher<lb/>
Bewei&#x017F;e; aber die Athenien&#x017F;er waren &#x017F;chon lange ge-<lb/>
wohnt, &#x017F;ich Wiz fu&#x0364;r Wahrheit verkauffen zu la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
und &#x017F;ich einzubilden, daß &#x017F;ie u&#x0364;berzeugt wu&#x0364;rden, wenn<lb/>
ihr Ge&#x017F;chmak belu&#x017F;tigt und ihre Ohren gekizelt wurden.<lb/>
Sie machte al&#x017F;o allen den Eindruk, und vielleicht<lb/>
noch mehr, als meine Feinde &#x017F;ich davon ver&#x017F;prochen<lb/>
hatten. Die Eifer&#x017F;ucht, welche &#x017F;ie in den Gemu&#x0364;thern<lb/>
anbließ, verwandelte die u&#x0364;berma&#x0364;&#x017F;&#x017F;ige Zuneigung, de-<lb/>
ren Gegen&#x017F;tand ich zwey Jahre lang gewe&#x017F;en war, in<lb/>
einer Zeit von zwo Stunden in den bitter&#x017F;ten Haß. Die<lb/>
Athenien&#x017F;er er&#x017F;chraken vor dem Abgrund, an de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Rand &#x017F;ie &#x017F;ich, durch ihre Verblendung fu&#x0364;r mich, un-<lb/>
vermerkt hingezogen &#x017F;ahen. &#x2014; Sie er&#x017F;taunten,<lb/>
daß &#x017F;ie meine Unfa&#x0364;higkeit zur Staats-Verwaltung,<lb/>
meine Begierde nach einer unum&#x017F;chra&#x0364;nkten Gewalt,<lb/>
meine weit aus&#x017F;ehenden Ab&#x017F;ichten, und mein heimliches<lb/>
Ver&#x017F;ta&#x0364;ndniß mit ihren Feinden nicht eher wahrgenom-<lb/>
men ha&#x0364;tten; und da es nicht natu&#x0364;rlich gewe&#x017F;en wa&#x0364;re,<lb/>
die Schuld davon auf &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu nehmen, &#x017F;o &#x017F;chrie-<lb/>
ben &#x017F;ie es lieber einer Bezauberung zu, wodurch ich<lb/>
ihre Augen eine Zeitlang zu ver&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en gewußt ha&#x0364;tte.<lb/>
Ein jeder glaubte nun, durch die verderblichen An-<lb/>
&#x017F;chla&#x0364;ge, welche ich gegen die Republik gefaßt habe,<lb/>
von der Dankbarkeit vollkommen losgeza&#x0364;hlt zu &#x017F;eyn,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Z 3</fw><fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[357/0379] Siebentes Buch, ſiebentes Capitel. ſcheinlich zu finden, welche (wie er ſagte) benachrich- tigt zu ſeyn glaubten, daß ich mein Daſeyn den ver- ſtohlenen Liebes-Haͤndeln irgend eines delphiſchen Prie- ſters zu danken haͤtte. Jn dieſer ganzen Rede erſezte ein von Bosheit beſeelter Wiz den Abgang gruͤndlicher Beweiſe; aber die Athenienſer waren ſchon lange ge- wohnt, ſich Wiz fuͤr Wahrheit verkauffen zu laſſen, und ſich einzubilden, daß ſie uͤberzeugt wuͤrden, wenn ihr Geſchmak beluſtigt und ihre Ohren gekizelt wurden. Sie machte alſo allen den Eindruk, und vielleicht noch mehr, als meine Feinde ſich davon verſprochen hatten. Die Eiferſucht, welche ſie in den Gemuͤthern anbließ, verwandelte die uͤbermaͤſſige Zuneigung, de- ren Gegenſtand ich zwey Jahre lang geweſen war, in einer Zeit von zwo Stunden in den bitterſten Haß. Die Athenienſer erſchraken vor dem Abgrund, an deſſen Rand ſie ſich, durch ihre Verblendung fuͤr mich, un- vermerkt hingezogen ſahen. — Sie erſtaunten, daß ſie meine Unfaͤhigkeit zur Staats-Verwaltung, meine Begierde nach einer unumſchraͤnkten Gewalt, meine weit ausſehenden Abſichten, und mein heimliches Verſtaͤndniß mit ihren Feinden nicht eher wahrgenom- men haͤtten; und da es nicht natuͤrlich geweſen waͤre, die Schuld davon auf ſich ſelbſt zu nehmen, ſo ſchrie- ben ſie es lieber einer Bezauberung zu, wodurch ich ihre Augen eine Zeitlang zu verſchlieſſen gewußt haͤtte. Ein jeder glaubte nun, durch die verderblichen An- ſchlaͤge, welche ich gegen die Republik gefaßt habe, von der Dankbarkeit vollkommen losgezaͤhlt zu ſeyn, die Z 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/379
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/379>, abgerufen am 22.11.2024.