Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.Siebentes Buch, siebentes Capitel. rer Erwartung sehr betrogen. Die Verachtung, wo-mit mein Gemüth beym Anblik dieses Volkes erfüllt wurde, welches mich vor wenigen Tagen mit so aus- schweifender Freude ins Gefängnis begleitet hatte, und das Gefühl meines eigenen Werthes, waren beyde zu lebhaft; die Begierde, ihnen gutes zu thun, welche die Seele aller meiner Handlungen und Entwürfe ge- wesen war, hatte aufgehört; ich würdigte sie nicht, eine Apologie zu machen, die ich für eine Beschimpfung meines Characters und Lebens gehalten hätte; aber ich wollte ihnen zum leztenmal die Wahrheit sagen: Ehmals, wenn es darum zu thun gewesen war, sie von ihren eignen wahren Vortheilen zu überzeugen, hatte ich aller meiner Beredsamkeit aufgebotten; aber izo, da die Rede bloß von mir selbst war, verschmähte ich den Beystand einer Kunst, worinn der Ruf mir einige Geschiklichkeit zuschrieb. Jn diesem Stüke blieb ich meinem gefaßten Vorsaz getreu; aber nicht der Kürze und Gelassenheit, die ich mir vorgeschrieben hatte; der Affect, in den ich unvermerkt gerieth, machte mich weitläufig und etlichemal bitter. Meine Rede enthielt eine zusammengezogene Erzäh- wandten
Siebentes Buch, ſiebentes Capitel. rer Erwartung ſehr betrogen. Die Verachtung, wo-mit mein Gemuͤth beym Anblik dieſes Volkes erfuͤllt wurde, welches mich vor wenigen Tagen mit ſo aus- ſchweifender Freude ins Gefaͤngnis begleitet hatte, und das Gefuͤhl meines eigenen Werthes, waren beyde zu lebhaft; die Begierde, ihnen gutes zu thun, welche die Seele aller meiner Handlungen und Entwuͤrfe ge- weſen war, hatte aufgehoͤrt; ich wuͤrdigte ſie nicht, eine Apologie zu machen, die ich fuͤr eine Beſchimpfung meines Characters und Lebens gehalten haͤtte; aber ich wollte ihnen zum leztenmal die Wahrheit ſagen: Ehmals, wenn es darum zu thun geweſen war, ſie von ihren eignen wahren Vortheilen zu uͤberzeugen, hatte ich aller meiner Beredſamkeit aufgebotten; aber izo, da die Rede bloß von mir ſelbſt war, verſchmaͤhte ich den Beyſtand einer Kunſt, worinn der Ruf mir einige Geſchiklichkeit zuſchrieb. Jn dieſem Stuͤke blieb ich meinem gefaßten Vorſaz getreu; aber nicht der Kuͤrze und Gelaſſenheit, die ich mir vorgeſchrieben hatte; der Affect, in den ich unvermerkt gerieth, machte mich weitlaͤufig und etlichemal bitter. Meine Rede enthielt eine zuſammengezogene Erzaͤh- wandten
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0389" n="367"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Siebentes Buch, ſiebentes Capitel.</hi></fw><lb/> rer Erwartung ſehr betrogen. Die Verachtung, wo-<lb/> mit mein Gemuͤth beym Anblik dieſes Volkes erfuͤllt<lb/> wurde, welches mich vor wenigen Tagen mit ſo aus-<lb/> ſchweifender Freude ins Gefaͤngnis begleitet hatte, und<lb/> das Gefuͤhl meines eigenen Werthes, waren beyde zu<lb/> lebhaft; die Begierde, ihnen gutes zu thun, welche<lb/> die Seele aller meiner Handlungen und Entwuͤrfe ge-<lb/> weſen war, hatte aufgehoͤrt; ich wuͤrdigte ſie nicht,<lb/> eine Apologie zu machen, die ich fuͤr eine Beſchimpfung<lb/> meines Characters und Lebens gehalten haͤtte; aber<lb/> ich wollte ihnen zum leztenmal die Wahrheit ſagen:<lb/> Ehmals, wenn es darum zu thun geweſen war, ſie<lb/> von ihren eignen wahren Vortheilen zu uͤberzeugen,<lb/> hatte ich aller meiner Beredſamkeit aufgebotten; aber<lb/> izo, da die Rede bloß von mir ſelbſt war, verſchmaͤhte<lb/> ich den Beyſtand einer Kunſt, worinn der Ruf mir<lb/> einige Geſchiklichkeit zuſchrieb. Jn dieſem Stuͤke blieb<lb/> ich meinem gefaßten Vorſaz getreu; aber nicht der<lb/> Kuͤrze und Gelaſſenheit, die ich mir vorgeſchrieben<lb/> hatte; der Affect, in den ich unvermerkt gerieth,<lb/> machte mich weitlaͤufig und etlichemal bitter.</p><lb/> <p>Meine Rede enthielt eine zuſammengezogene Erzaͤh-<lb/> iung meines ganzen Lebenslaufs in Athen; der Grund-<lb/> ſaͤze, welchen ich in der Republik gefolgt war; und<lb/> meiner Gedanken von dem wahren Jntereſſe der Athe-<lb/> nienſer. Jch gieng bey dieſer Gelegenheit ein wenig<lb/> ſtrenge mit ihren Urtheilen und Lieblingsprojecten um;<lb/> und ſagte ihnen, daß ich in der Sache der Schuzver-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">wandten</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [367/0389]
Siebentes Buch, ſiebentes Capitel.
rer Erwartung ſehr betrogen. Die Verachtung, wo-
mit mein Gemuͤth beym Anblik dieſes Volkes erfuͤllt
wurde, welches mich vor wenigen Tagen mit ſo aus-
ſchweifender Freude ins Gefaͤngnis begleitet hatte, und
das Gefuͤhl meines eigenen Werthes, waren beyde zu
lebhaft; die Begierde, ihnen gutes zu thun, welche
die Seele aller meiner Handlungen und Entwuͤrfe ge-
weſen war, hatte aufgehoͤrt; ich wuͤrdigte ſie nicht,
eine Apologie zu machen, die ich fuͤr eine Beſchimpfung
meines Characters und Lebens gehalten haͤtte; aber
ich wollte ihnen zum leztenmal die Wahrheit ſagen:
Ehmals, wenn es darum zu thun geweſen war, ſie
von ihren eignen wahren Vortheilen zu uͤberzeugen,
hatte ich aller meiner Beredſamkeit aufgebotten; aber
izo, da die Rede bloß von mir ſelbſt war, verſchmaͤhte
ich den Beyſtand einer Kunſt, worinn der Ruf mir
einige Geſchiklichkeit zuſchrieb. Jn dieſem Stuͤke blieb
ich meinem gefaßten Vorſaz getreu; aber nicht der
Kuͤrze und Gelaſſenheit, die ich mir vorgeſchrieben
hatte; der Affect, in den ich unvermerkt gerieth,
machte mich weitlaͤufig und etlichemal bitter.
Meine Rede enthielt eine zuſammengezogene Erzaͤh-
iung meines ganzen Lebenslaufs in Athen; der Grund-
ſaͤze, welchen ich in der Republik gefolgt war; und
meiner Gedanken von dem wahren Jntereſſe der Athe-
nienſer. Jch gieng bey dieſer Gelegenheit ein wenig
ſtrenge mit ihren Urtheilen und Lieblingsprojecten um;
und ſagte ihnen, daß ich in der Sache der Schuzver-
wandten
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |