Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.Siebentes Buch, siebentes Capitel. Wesen zu ziehen, und die andre Hälfte meinen Ver-wandten zuzusprechen. Die Gleichgültigkeit, womit ich mich diesem Urtheil unterwarf, wurde in diesem fatalen Augenblik, der alle meine Handlungen in ein falsches Licht sezte, für einen Troz aufgenommen, wel- cher mich alles Mitleidens unwürdig machre; doch er- laubte man meinen Freunden, sich um mich zu ver- sammeln, mir ihre Dienste anzubieten, und mich aus Athen zu begleiten: welches ich, ungeachtet mir eine längere Frist gegeben worden war, noch in eben der Stunde, mit so leichtem Herzen verließ, als wie ein Gefangener den Kerker verläßt, aus dem er unverhoft in Freyheit gesezt wird. Die Thränen der wenigen, welche mein Fall nicht von mir verscheucht hatte, und meiner guten Hausgenossen, waren das einzige, was bey einem Abschiede, den wir auf ewig von einander nahmen, mein Herz erweichte; und ihre guten Wün- sche alles, was ich von den Wirkungen ihrer mitleidi- gen und dankbaren Sorgfalt annahm. Jch befand mich nun wieder ungefehr in eben den diesen A a 2
Siebentes Buch, ſiebentes Capitel. Weſen zu ziehen, und die andre Haͤlfte meinen Ver-wandten zuzuſprechen. Die Gleichguͤltigkeit, womit ich mich dieſem Urtheil unterwarf, wurde in dieſem fatalen Augenblik, der alle meine Handlungen in ein falſches Licht ſezte, fuͤr einen Troz aufgenommen, wel- cher mich alles Mitleidens unwuͤrdig machre; doch er- laubte man meinen Freunden, ſich um mich zu ver- ſammeln, mir ihre Dienſte anzubieten, und mich aus Athen zu begleiten: welches ich, ungeachtet mir eine laͤngere Friſt gegeben worden war, noch in eben der Stunde, mit ſo leichtem Herzen verließ, als wie ein Gefangener den Kerker verlaͤßt, aus dem er unverhoft in Freyheit geſezt wird. Die Thraͤnen der wenigen, welche mein Fall nicht von mir verſcheucht hatte, und meiner guten Hausgenoſſen, waren das einzige, was bey einem Abſchiede, den wir auf ewig von einander nahmen, mein Herz erweichte; und ihre guten Wuͤn- ſche alles, was ich von den Wirkungen ihrer mitleidi- gen und dankbaren Sorgfalt annahm. Jch befand mich nun wieder ungefehr in eben den dieſen A a 2
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Siebentes Buch, ſiebentes Capitel.
Weſen zu ziehen, und die andre Haͤlfte meinen Ver-
wandten zuzuſprechen. Die Gleichguͤltigkeit, womit
ich mich dieſem Urtheil unterwarf, wurde in dieſem
fatalen Augenblik, der alle meine Handlungen in ein
falſches Licht ſezte, fuͤr einen Troz aufgenommen, wel-
cher mich alles Mitleidens unwuͤrdig machre; doch er-
laubte man meinen Freunden, ſich um mich zu ver-
ſammeln, mir ihre Dienſte anzubieten, und mich aus
Athen zu begleiten: welches ich, ungeachtet mir eine
laͤngere Friſt gegeben worden war, noch in eben der
Stunde, mit ſo leichtem Herzen verließ, als wie ein
Gefangener den Kerker verlaͤßt, aus dem er unverhoft
in Freyheit geſezt wird. Die Thraͤnen der wenigen,
welche mein Fall nicht von mir verſcheucht hatte, und
meiner guten Hausgenoſſen, waren das einzige, was
bey einem Abſchiede, den wir auf ewig von einander
nahmen, mein Herz erweichte; und ihre guten Wuͤn-
ſche alles, was ich von den Wirkungen ihrer mitleidi-
gen und dankbaren Sorgfalt annahm.
Jch befand mich nun wieder ungefehr in eben den
Umſtaͤnden, worinn ich vor einigen Jahren unter dem
Cypreſſenbaum im Vorhofe meines noch unbekannten
Vaters zu Corinth gelegen war. Die groſſen Veraͤn-
derungen, die manchfaltigen Scenen von Reichthum,
Anſehen, Gewalt und aͤuſſerlichem Schimmer, durch
welche mich das Gluͤk in dieſer kurzen Zwiſchenzeit
herumgedreht hatte, waren nun wie ein Traum voruͤ-
ber; aber die weſentlichen Vortheile, die von allen
dieſen
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