Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.Agathon. Ajax sieht zwo Sonnen, ein doppeltes Thebe. Wasfür ein untrügliches Kennzeichen hast du, das Wahre von dem was nur scheint; das was du würklich em- pfindest, von dem was du dir nur einbildest; das was du richtig empfindest, von dem was eine verstimmte Nerve dich empfinden macht, zu unterscheiden? Und wie, wenn alle Empfindung betröge, und nichts von allem was ist, so wäre, wie du es empfindest? Agathon. Darum bekümmere ich mich wenig. Gesezt, die Sonne sey nicht so, wie ich sie sehe und fühle; für mich ist sie darum nicht minder so, wie ich sie sehe und fühle, und das ist für mich genug. Jhr Einfluß in das System aller meiner übrigen Empfindungen ist darum nicht weniger würklich, wenn sie gleich nicht so ist, wie sie sich meinen Sinnen darstellt, ja wenn sie gar nicht ist. Hippias. Die Anwendung hievon, wenn dirs beliebt? Agathon. Die Empfindung, die ich von dem höchsten Geiste ha- be, hat in das innerliche System des meinigen den nehmlichen Einfluß, den die Empfindung die ich von der Sonne habe, auf mein körperliches System hat. Hippias. Wie so? Agathon. Wenn sich mein Leib übel befindet, so vermehrt die Abwe-
Agathon. Ajax ſieht zwo Sonnen, ein doppeltes Thebe. Wasfuͤr ein untruͤgliches Kennzeichen haſt du, das Wahre von dem was nur ſcheint; das was du wuͤrklich em- pfindeſt, von dem was du dir nur einbildeſt; das was du richtig empfindeſt, von dem was eine verſtimmte Nerve dich empfinden macht, zu unterſcheiden? Und wie, wenn alle Empfindung betroͤge, und nichts von allem was iſt, ſo waͤre, wie du es empfindeſt? Agathon. Darum bekuͤmmere ich mich wenig. Geſezt, die Sonne ſey nicht ſo, wie ich ſie ſehe und fuͤhle; fuͤr mich iſt ſie darum nicht minder ſo, wie ich ſie ſehe und fuͤhle, und das iſt fuͤr mich genug. Jhr Einfluß in das Syſtem aller meiner uͤbrigen Empfindungen iſt darum nicht weniger wuͤrklich, wenn ſie gleich nicht ſo iſt, wie ſie ſich meinen Sinnen darſtellt, ja wenn ſie gar nicht iſt. Hippias. Die Anwendung hievon, wenn dirs beliebt? Agathon. Die Empfindung, die ich von dem hoͤchſten Geiſte ha- be, hat in das innerliche Syſtem des meinigen den nehmlichen Einfluß, den die Empfindung die ich von der Sonne habe, auf mein koͤrperliches Syſtem hat. Hippias. Wie ſo? Agathon. Wenn ſich mein Leib uͤbel befindet, ſo vermehrt die Abwe-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#HIP"> <p><pb facs="#f0086" n="64"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Agathon.</hi></hi></fw><lb/> Ajax ſieht zwo Sonnen, ein doppeltes Thebe. Was<lb/> fuͤr ein untruͤgliches Kennzeichen haſt du, das Wahre<lb/> von dem was nur ſcheint; das was du wuͤrklich em-<lb/> pfindeſt, von dem was du dir nur einbildeſt; das was<lb/> du richtig empfindeſt, von dem was eine verſtimmte<lb/> Nerve dich empfinden macht, zu unterſcheiden? Und<lb/> wie, wenn alle Empfindung betroͤge, und nichts von<lb/> allem was iſt, ſo waͤre, wie du es empfindeſt?</p> </sp><lb/> <sp who="#AGA"> <speaker> <hi rendition="#g">Agathon.</hi> </speaker><lb/> <p>Darum bekuͤmmere ich mich wenig. Geſezt, die<lb/> Sonne ſey nicht ſo, wie ich ſie ſehe und fuͤhle; fuͤr<lb/> mich iſt ſie darum nicht minder ſo, wie ich ſie ſehe und<lb/> fuͤhle, und das iſt fuͤr mich genug. Jhr Einfluß in<lb/> das Syſtem aller meiner uͤbrigen Empfindungen iſt<lb/> darum nicht weniger wuͤrklich, wenn ſie gleich nicht ſo<lb/> iſt, wie ſie ſich meinen Sinnen darſtellt, ja wenn ſie<lb/> gar nicht iſt.</p> </sp><lb/> <sp who="#HIP"> <speaker> <hi rendition="#g">Hippias.</hi> </speaker><lb/> <p>Die Anwendung hievon, wenn dirs beliebt?</p> </sp><lb/> <sp who="#AGA"> <speaker> <hi rendition="#g">Agathon.</hi> </speaker><lb/> <p>Die Empfindung, die ich von dem hoͤchſten Geiſte ha-<lb/> be, hat in das innerliche Syſtem des meinigen den<lb/> nehmlichen Einfluß, den die Empfindung die ich von<lb/> der Sonne habe, auf mein koͤrperliches Syſtem hat.</p> </sp><lb/> <sp who="#HIP"> <speaker> <hi rendition="#g">Hippias.</hi> </speaker><lb/> <p>Wie ſo?</p> </sp><lb/> <sp who="#AGA"> <speaker> <hi rendition="#g">Agathon.</hi> </speaker><lb/> <p>Wenn ſich mein Leib uͤbel befindet, ſo vermehrt die<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Abwe-</fw><lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [64/0086]
Agathon.
Ajax ſieht zwo Sonnen, ein doppeltes Thebe. Was
fuͤr ein untruͤgliches Kennzeichen haſt du, das Wahre
von dem was nur ſcheint; das was du wuͤrklich em-
pfindeſt, von dem was du dir nur einbildeſt; das was
du richtig empfindeſt, von dem was eine verſtimmte
Nerve dich empfinden macht, zu unterſcheiden? Und
wie, wenn alle Empfindung betroͤge, und nichts von
allem was iſt, ſo waͤre, wie du es empfindeſt?
Agathon.
Darum bekuͤmmere ich mich wenig. Geſezt, die
Sonne ſey nicht ſo, wie ich ſie ſehe und fuͤhle; fuͤr
mich iſt ſie darum nicht minder ſo, wie ich ſie ſehe und
fuͤhle, und das iſt fuͤr mich genug. Jhr Einfluß in
das Syſtem aller meiner uͤbrigen Empfindungen iſt
darum nicht weniger wuͤrklich, wenn ſie gleich nicht ſo
iſt, wie ſie ſich meinen Sinnen darſtellt, ja wenn ſie
gar nicht iſt.
Hippias.
Die Anwendung hievon, wenn dirs beliebt?
Agathon.
Die Empfindung, die ich von dem hoͤchſten Geiſte ha-
be, hat in das innerliche Syſtem des meinigen den
nehmlichen Einfluß, den die Empfindung die ich von
der Sonne habe, auf mein koͤrperliches Syſtem hat.
Hippias.
Wie ſo?
Agathon.
Wenn ſich mein Leib uͤbel befindet, ſo vermehrt die
Abwe-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |