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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Neuntes Buch, viertes Capitel.
eingab, daß ich dich diesen Abend zu mir ruffen lassen
sollte. Die Augen gehen mir auf einmal auf -- Wozu
mich diese Leute mit ihren Dreyeken und Schlußreden
nicht gebracht hätten! Kannst du dir wol einbilden, daß
mich dieser Plato mit seinem süssen Geschwäze beynahe
überredet hätte, meine fremden Truppen, und meine
Leibwache nach Hause zu schiken? Ha! nun seh ich wo-
hin alle diese schönen Vergleichungen mit einem Vater
im Schoosse seiner Familie, und mit einem Säugling
an der Brust seiner Amme, und was weiß, ich mit was
noch mehr, abgesehen waren! Die Verräther wollten
mich durch diese süssen Wiegenliedchen erst einschläfern,
hernach entwafnen, und zulezt wenn sie mich mit ihren
gebenedeyten Maximen so fest umwunden hätten, daß
ich weder Arme noch Beine nach meinem Gefallen hätte
rühren können, mich in ganzem Ernst, zu ihrem Wikel-
kind, zu ihrer Puppe, und wozu es ihnen eingefallen
wäre, gemacht haben! Aber sie sollen mir die Erfindung
bezahlen! Jch will diesem verräthrischen Dion -- bist
du thöricht genug, Philistus, und bildest dir ein, daß
er sich nur im Traum einfallen lasse, diese Spiesbürger
von Syracus in Freyheit zu sezen? Regieren will er,
Philistus; das will er, und darum hat er diesen Plato
an meinen Hof kommen lassen, der mir, indessen daß
er das Volk zur Empörung reizen, und sich einen An-
hang machen wollte, so lange und so viel von Gerech-
tigkeit, und Wolthun, und goldnen Zeiten, und väter-
lichem Regiment, und was weiß ich von was für Sal-
badereyen vorschwazen sollte, bis ich mich überreden

liesse,
[Agath. II. Th.] J

Neuntes Buch, viertes Capitel.
eingab, daß ich dich dieſen Abend zu mir ruffen laſſen
ſollte. Die Augen gehen mir auf einmal auf ‒‒ Wozu
mich dieſe Leute mit ihren Dreyeken und Schlußreden
nicht gebracht haͤtten! Kannſt du dir wol einbilden, daß
mich dieſer Plato mit ſeinem ſuͤſſen Geſchwaͤze beynahe
uͤberredet haͤtte, meine fremden Truppen, und meine
Leibwache nach Hauſe zu ſchiken? Ha! nun ſeh ich wo-
hin alle dieſe ſchoͤnen Vergleichungen mit einem Vater
im Schooſſe ſeiner Familie, und mit einem Saͤugling
an der Bruſt ſeiner Amme, und was weiß, ich mit was
noch mehr, abgeſehen waren! Die Verraͤther wollten
mich durch dieſe ſuͤſſen Wiegenliedchen erſt einſchlaͤfern,
hernach entwafnen, und zulezt wenn ſie mich mit ihren
gebenedeyten Maximen ſo feſt umwunden haͤtten, daß
ich weder Arme noch Beine nach meinem Gefallen haͤtte
ruͤhren koͤnnen, mich in ganzem Ernſt, zu ihrem Wikel-
kind, zu ihrer Puppe, und wozu es ihnen eingefallen
waͤre, gemacht haben! Aber ſie ſollen mir die Erfindung
bezahlen! Jch will dieſem verraͤthriſchen Dion ‒‒ biſt
du thoͤricht genug, Philiſtus, und bildeſt dir ein, daß
er ſich nur im Traum einfallen laſſe, dieſe Spiesbuͤrger
von Syracus in Freyheit zu ſezen? Regieren will er,
Philiſtus; das will er, und darum hat er dieſen Plato
an meinen Hof kommen laſſen, der mir, indeſſen daß
er das Volk zur Empoͤrung reizen, und ſich einen An-
hang machen wollte, ſo lange und ſo viel von Gerech-
tigkeit, und Wolthun, und goldnen Zeiten, und vaͤter-
lichem Regiment, und was weiß ich von was fuͤr Sal-
badereyen vorſchwazen ſollte, bis ich mich uͤberreden

lieſſe,
[Agath. II. Th.] J
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[129/0131] Neuntes Buch, viertes Capitel. eingab, daß ich dich dieſen Abend zu mir ruffen laſſen ſollte. Die Augen gehen mir auf einmal auf ‒‒ Wozu mich dieſe Leute mit ihren Dreyeken und Schlußreden nicht gebracht haͤtten! Kannſt du dir wol einbilden, daß mich dieſer Plato mit ſeinem ſuͤſſen Geſchwaͤze beynahe uͤberredet haͤtte, meine fremden Truppen, und meine Leibwache nach Hauſe zu ſchiken? Ha! nun ſeh ich wo- hin alle dieſe ſchoͤnen Vergleichungen mit einem Vater im Schooſſe ſeiner Familie, und mit einem Saͤugling an der Bruſt ſeiner Amme, und was weiß, ich mit was noch mehr, abgeſehen waren! Die Verraͤther wollten mich durch dieſe ſuͤſſen Wiegenliedchen erſt einſchlaͤfern, hernach entwafnen, und zulezt wenn ſie mich mit ihren gebenedeyten Maximen ſo feſt umwunden haͤtten, daß ich weder Arme noch Beine nach meinem Gefallen haͤtte ruͤhren koͤnnen, mich in ganzem Ernſt, zu ihrem Wikel- kind, zu ihrer Puppe, und wozu es ihnen eingefallen waͤre, gemacht haben! Aber ſie ſollen mir die Erfindung bezahlen! Jch will dieſem verraͤthriſchen Dion ‒‒ biſt du thoͤricht genug, Philiſtus, und bildeſt dir ein, daß er ſich nur im Traum einfallen laſſe, dieſe Spiesbuͤrger von Syracus in Freyheit zu ſezen? Regieren will er, Philiſtus; das will er, und darum hat er dieſen Plato an meinen Hof kommen laſſen, der mir, indeſſen daß er das Volk zur Empoͤrung reizen, und ſich einen An- hang machen wollte, ſo lange und ſo viel von Gerech- tigkeit, und Wolthun, und goldnen Zeiten, und vaͤter- lichem Regiment, und was weiß ich von was fuͤr Sal- badereyen vorſchwazen ſollte, bis ich mich uͤberreden lieſſe, [Agath. II. Th.] J

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/131>, abgerufen am 21.11.2024.