Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.Neuntes Buch, viertes Capitel. sagten ihm hierüber alles was die gesunde Politik sagenkan; und Plato insonderheit bewieß ihm, daß es nicht auf die Form der Verfassung ankomme, wenn ein Staat glüklich seyn solle, sondern auf die innerliche Güte der Gesezgebung, auf tugendhafte Sitten, auf die Weis- heit desjenigen, dem die Handhabung der Geseze an- vertraut sey. Seine Meynung gieng dahin, daß Dionys nicht nöthig habe, sich der obersten Gewalt zu begeben, indem es nur von ihm abhange, durch die vollkom- mene Beobachtung aller Pflichten eines weisen und tu- gendhaften Regenten die Tyraunie in eine rechtmässige Monarchie zu verwandeln; welcher die Völker sich desto williger unterwerfen würden, da sie durch ein natürli- ches Gefühl ihres Unvermögens sich selbst zu regieren, geneigt gemacht würden, sich regieren zu lassen; ja den- jenigen als eine gegenwärtige Gottheit zu verehren, wel- cher sie schüze, und für ihre Glükseligkeit arbeite. Dion stimmte hierinn nicht gänzlich mit seinem Freunde eines J 4
Neuntes Buch, viertes Capitel. ſagten ihm hieruͤber alles was die geſunde Politik ſagenkan; und Plato inſonderheit bewieß ihm, daß es nicht auf die Form der Verfaſſung ankomme, wenn ein Staat gluͤklich ſeyn ſolle, ſondern auf die innerliche Guͤte der Geſezgebung, auf tugendhafte Sitten, auf die Weis- heit desjenigen, dem die Handhabung der Geſeze an- vertraut ſey. Seine Meynung gieng dahin, daß Dionys nicht noͤthig habe, ſich der oberſten Gewalt zu begeben, indem es nur von ihm abhange, durch die vollkom- mene Beobachtung aller Pflichten eines weiſen und tu- gendhaften Regenten die Tyraunie in eine rechtmaͤſſige Monarchie zu verwandeln; welcher die Voͤlker ſich deſto williger unterwerfen wuͤrden, da ſie durch ein natuͤrli- ches Gefuͤhl ihres Unvermoͤgens ſich ſelbſt zu regieren, geneigt gemacht wuͤrden, ſich regieren zu laſſen; ja den- jenigen als eine gegenwaͤrtige Gottheit zu verehren, wel- cher ſie ſchuͤze, und fuͤr ihre Gluͤkſeligkeit arbeite. Dion ſtimmte hierinn nicht gaͤnzlich mit ſeinem Freunde eines J 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0137" n="135"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Neuntes Buch, viertes Capitel.</hi></fw><lb/> ſagten ihm hieruͤber alles was die geſunde Politik ſagen<lb/> kan; und Plato inſonderheit bewieß ihm, daß es nicht<lb/> auf die Form der Verfaſſung ankomme, wenn ein Staat<lb/> gluͤklich ſeyn ſolle, ſondern auf die innerliche Guͤte der<lb/> Geſezgebung, auf tugendhafte Sitten, auf die Weis-<lb/> heit desjenigen, dem die Handhabung der Geſeze an-<lb/> vertraut ſey. Seine Meynung gieng dahin, daß Dionys<lb/> nicht noͤthig habe, ſich der oberſten Gewalt zu begeben,<lb/> indem es nur von ihm abhange, durch die vollkom-<lb/> mene Beobachtung aller Pflichten eines weiſen und tu-<lb/> gendhaften Regenten die Tyraunie in eine rechtmaͤſſige<lb/> Monarchie zu verwandeln; welcher die Voͤlker ſich deſto<lb/> williger unterwerfen wuͤrden, da ſie durch ein natuͤrli-<lb/> ches Gefuͤhl ihres Unvermoͤgens ſich ſelbſt zu regieren,<lb/> geneigt gemacht wuͤrden, ſich regieren zu laſſen; ja den-<lb/> jenigen als eine gegenwaͤrtige Gottheit zu verehren, wel-<lb/> cher ſie ſchuͤze, und fuͤr ihre Gluͤkſeligkeit arbeite.</p><lb/> <p>Dion ſtimmte hierinn nicht gaͤnzlich mit ſeinem Freunde<lb/> uͤberein. Die Wahrheit war, daß er den Dionys beſ-<lb/> ſer kannte, und weil er ſich wenig Hofnung machte,<lb/> daß ſeine guten Diſpoſitionen von langer Dauer ſeyn<lb/> wuͤrden, gerne ſo ſchnell als moͤglich einen ſolchen Ge-<lb/> brauch davon gemacht haͤtte, wodurch ihm die Macht<lb/> Boͤſes zu thun, auf den Fall, daß ihn der Wille dazu<lb/> wieder ankaͤme, benommen worden waͤre. Er breitete<lb/> ſich alſo mit Nachdruk uͤber die Vortheile einer wolge-<lb/> ordneten Ariſtocratie vor der Regierung eines Einzigen<lb/> aus, und bewies, wie gefaͤhrlich es ſey, den Wolſtand<lb/> <fw place="bottom" type="sig">J 4</fw><fw place="bottom" type="catch">eines</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [135/0137]
Neuntes Buch, viertes Capitel.
ſagten ihm hieruͤber alles was die geſunde Politik ſagen
kan; und Plato inſonderheit bewieß ihm, daß es nicht
auf die Form der Verfaſſung ankomme, wenn ein Staat
gluͤklich ſeyn ſolle, ſondern auf die innerliche Guͤte der
Geſezgebung, auf tugendhafte Sitten, auf die Weis-
heit desjenigen, dem die Handhabung der Geſeze an-
vertraut ſey. Seine Meynung gieng dahin, daß Dionys
nicht noͤthig habe, ſich der oberſten Gewalt zu begeben,
indem es nur von ihm abhange, durch die vollkom-
mene Beobachtung aller Pflichten eines weiſen und tu-
gendhaften Regenten die Tyraunie in eine rechtmaͤſſige
Monarchie zu verwandeln; welcher die Voͤlker ſich deſto
williger unterwerfen wuͤrden, da ſie durch ein natuͤrli-
ches Gefuͤhl ihres Unvermoͤgens ſich ſelbſt zu regieren,
geneigt gemacht wuͤrden, ſich regieren zu laſſen; ja den-
jenigen als eine gegenwaͤrtige Gottheit zu verehren, wel-
cher ſie ſchuͤze, und fuͤr ihre Gluͤkſeligkeit arbeite.
Dion ſtimmte hierinn nicht gaͤnzlich mit ſeinem Freunde
uͤberein. Die Wahrheit war, daß er den Dionys beſ-
ſer kannte, und weil er ſich wenig Hofnung machte,
daß ſeine guten Diſpoſitionen von langer Dauer ſeyn
wuͤrden, gerne ſo ſchnell als moͤglich einen ſolchen Ge-
brauch davon gemacht haͤtte, wodurch ihm die Macht
Boͤſes zu thun, auf den Fall, daß ihn der Wille dazu
wieder ankaͤme, benommen worden waͤre. Er breitete
ſich alſo mit Nachdruk uͤber die Vortheile einer wolge-
ordneten Ariſtocratie vor der Regierung eines Einzigen
aus, und bewies, wie gefaͤhrlich es ſey, den Wolſtand
eines
J 4
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |