Dionys hatte, von ihm aufgemuntert, angefangen, unvermerkt wieder eine grössere Freyheit bey seiner Tafel einzuführen; die Anzahl und die Beschaffenheit der Gäste, welche er fast täglich einlud, gab den Vorwand dazu; und Plato, welcher bey aller erhabenen Austeri- tät seiner Grundsäze, einen kleinen Ansaz zu einem Hof- manne hatte, machte es, wie es gewisse ehrwürdige Männer an gewissen Höfen zu machen pflegen; er sprach bey jeder Gelegenheit von den Vorzügen der Nüchtern- heit und Mässigkeit, und aß und trank immer dazu, wie ein andrer. Diese kleine Erweiterung der allzuen- gen Grenzen der academischen Frugalität, von wel- cher der Vater der Academie selbst gestehen mußte, daß sie sich für den Hof eines Fürsten nicht schike, erlaubte den vornehmsten Syracusanern, und jedem, der dem Prinzen seine Ergebenheit bezeugen wollte, ihm präch- tige Feste zu geben; wo die Freude zwar ungebun- dener herrschte, aber doch durch die Gesellschaft der Musen und Grazien einen Schein von Bescheidenheit er- hielt, welcher die Strenge der Weisheit mit ihr aus- söhnen konnte. Timocrat machte sich diesen Umstand zu Nuz. Er lud den Prinzen, den ganzen Hof, und die Vornehmsten der Stadt ein, auf seinem Landhause die Wiederkunft des Frühlings zu begehen, dessen alles ver- jüngende Kraft, zum Unglük für den ohnehin übelbe- festigten Platonismus des Dionys, auch diesem Prinzen die Begierden und die Kräfte der Jugend wieder einzu- hauchen schien. Die schlaueste Wollust, hinter eine verblendende Pracht verstekt, hatte dieses Fest angeordnet.
Timocrat
Agathon.
Dionys hatte, von ihm aufgemuntert, angefangen, unvermerkt wieder eine groͤſſere Freyheit bey ſeiner Tafel einzufuͤhren; die Anzahl und die Beſchaffenheit der Gaͤſte, welche er faſt taͤglich einlud, gab den Vorwand dazu; und Plato, welcher bey aller erhabenen Auſteri- taͤt ſeiner Grundſaͤze, einen kleinen Anſaz zu einem Hof- manne hatte, machte es, wie es gewiſſe ehrwuͤrdige Maͤnner an gewiſſen Hoͤfen zu machen pflegen; er ſprach bey jeder Gelegenheit von den Vorzuͤgen der Nuͤchtern- heit und Maͤſſigkeit, und aß und trank immer dazu, wie ein andrer. Dieſe kleine Erweiterung der allzuen- gen Grenzen der academiſchen Frugalitaͤt, von wel- cher der Vater der Academie ſelbſt geſtehen mußte, daß ſie ſich fuͤr den Hof eines Fuͤrſten nicht ſchike, erlaubte den vornehmſten Syracuſanern, und jedem, der dem Prinzen ſeine Ergebenheit bezeugen wollte, ihm praͤch- tige Feſte zu geben; wo die Freude zwar ungebun- dener herrſchte, aber doch durch die Geſellſchaft der Muſen und Grazien einen Schein von Beſcheidenheit er- hielt, welcher die Strenge der Weisheit mit ihr aus- ſoͤhnen konnte. Timocrat machte ſich dieſen Umſtand zu Nuz. Er lud den Prinzen, den ganzen Hof, und die Vornehmſten der Stadt ein, auf ſeinem Landhauſe die Wiederkunft des Fruͤhlings zu begehen, deſſen alles ver- juͤngende Kraft, zum Ungluͤk fuͤr den ohnehin uͤbelbe- feſtigten Platoniſmus des Dionys, auch dieſem Prinzen die Begierden und die Kraͤfte der Jugend wieder einzu- hauchen ſchien. Die ſchlaueſte Wolluſt, hinter eine verblendende Pracht verſtekt, hatte dieſes Feſt angeordnet.
Timocrat
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0142"n="140"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Agathon.</hi></hi></fw><lb/><p>Dionys hatte, von ihm aufgemuntert, angefangen,<lb/>
unvermerkt wieder eine groͤſſere Freyheit bey ſeiner Tafel<lb/>
einzufuͤhren; die Anzahl und die Beſchaffenheit der<lb/>
Gaͤſte, welche er faſt taͤglich einlud, gab den Vorwand<lb/>
dazu; und Plato, welcher bey aller erhabenen Auſteri-<lb/>
taͤt ſeiner Grundſaͤze, einen kleinen Anſaz zu einem Hof-<lb/>
manne hatte, machte es, wie es gewiſſe ehrwuͤrdige<lb/>
Maͤnner an gewiſſen Hoͤfen zu machen pflegen; er ſprach<lb/>
bey jeder Gelegenheit von den Vorzuͤgen der Nuͤchtern-<lb/>
heit und Maͤſſigkeit, und aß und trank immer dazu,<lb/>
wie ein andrer. Dieſe kleine Erweiterung der allzuen-<lb/>
gen Grenzen der academiſchen Frugalitaͤt, von wel-<lb/>
cher der Vater der Academie ſelbſt geſtehen mußte, daß<lb/>ſie ſich fuͤr den Hof eines Fuͤrſten nicht ſchike, erlaubte<lb/>
den vornehmſten Syracuſanern, und jedem, der dem<lb/>
Prinzen ſeine Ergebenheit bezeugen wollte, ihm praͤch-<lb/>
tige Feſte zu geben; wo die Freude zwar ungebun-<lb/>
dener herrſchte, aber doch durch die Geſellſchaft der<lb/>
Muſen und Grazien einen Schein von Beſcheidenheit er-<lb/>
hielt, welcher die Strenge der Weisheit mit ihr aus-<lb/>ſoͤhnen konnte. Timocrat machte ſich dieſen Umſtand zu<lb/>
Nuz. Er lud den Prinzen, den ganzen Hof, und die<lb/>
Vornehmſten der Stadt ein, auf ſeinem Landhauſe die<lb/>
Wiederkunft des Fruͤhlings zu begehen, deſſen alles ver-<lb/>
juͤngende Kraft, zum Ungluͤk fuͤr den ohnehin uͤbelbe-<lb/>
feſtigten Platoniſmus des Dionys, auch dieſem Prinzen<lb/>
die Begierden und die Kraͤfte der Jugend wieder einzu-<lb/>
hauchen ſchien. Die ſchlaueſte Wolluſt, hinter eine<lb/>
verblendende Pracht verſtekt, hatte dieſes Feſt angeordnet.<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Timocrat</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[140/0142]
Agathon.
Dionys hatte, von ihm aufgemuntert, angefangen,
unvermerkt wieder eine groͤſſere Freyheit bey ſeiner Tafel
einzufuͤhren; die Anzahl und die Beſchaffenheit der
Gaͤſte, welche er faſt taͤglich einlud, gab den Vorwand
dazu; und Plato, welcher bey aller erhabenen Auſteri-
taͤt ſeiner Grundſaͤze, einen kleinen Anſaz zu einem Hof-
manne hatte, machte es, wie es gewiſſe ehrwuͤrdige
Maͤnner an gewiſſen Hoͤfen zu machen pflegen; er ſprach
bey jeder Gelegenheit von den Vorzuͤgen der Nuͤchtern-
heit und Maͤſſigkeit, und aß und trank immer dazu,
wie ein andrer. Dieſe kleine Erweiterung der allzuen-
gen Grenzen der academiſchen Frugalitaͤt, von wel-
cher der Vater der Academie ſelbſt geſtehen mußte, daß
ſie ſich fuͤr den Hof eines Fuͤrſten nicht ſchike, erlaubte
den vornehmſten Syracuſanern, und jedem, der dem
Prinzen ſeine Ergebenheit bezeugen wollte, ihm praͤch-
tige Feſte zu geben; wo die Freude zwar ungebun-
dener herrſchte, aber doch durch die Geſellſchaft der
Muſen und Grazien einen Schein von Beſcheidenheit er-
hielt, welcher die Strenge der Weisheit mit ihr aus-
ſoͤhnen konnte. Timocrat machte ſich dieſen Umſtand zu
Nuz. Er lud den Prinzen, den ganzen Hof, und die
Vornehmſten der Stadt ein, auf ſeinem Landhauſe die
Wiederkunft des Fruͤhlings zu begehen, deſſen alles ver-
juͤngende Kraft, zum Ungluͤk fuͤr den ohnehin uͤbelbe-
feſtigten Platoniſmus des Dionys, auch dieſem Prinzen
die Begierden und die Kraͤfte der Jugend wieder einzu-
hauchen ſchien. Die ſchlaueſte Wolluſt, hinter eine
verblendende Pracht verſtekt, hatte dieſes Feſt angeordnet.
Timocrat
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/142>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.