Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.Neuntes Buch, fünftes Capitel. dienen; aber das hätte eine Geschmeidigkeit, eine klugeMischung von Nachgiebigkeit und Zurükhaltung erfor- dert, wozu der Verfasser des Cratylus und Timäus nie- mals fähig seyn werde. Ueberdem hätte er sich zu deut- lich merken lassen, daß er gekommen sey, den Hofmeister des Prinzen zu machen; ein Umstand, der schon für sich allein alles habe verderben müssen. Denn die schwäch- sten Fürsten seyen allemal diejenigen, vor denen man am sorgfältigsten verbergen müsse, daß man weiter sehe als sie; sie würden sich's zur Schande rechnen, sich von dem grössesten Geist in der Welt regieren zu lassen, so bald sie glauben, daß er eine solche Absicht im Schilde führe; und daher komme es, daß sie sich oft lieber der schimpflichen Herrschaft eines Cammerdieners oder einer Maitresse unterwerfen, welche die Kunstgriffe besizen, ihre Gewalt über das Gemüth des Herrn unter sclavi- schen Schmeicheleyen oder schlauen Liebkosungen zu ver- bergen. Plato sey zu einem Minister eines so jungen Prinzen zu spizfündig, und zu einem Günstling zu alt gewesen; zudem habe ihm seine vertraute Freundschaft mit dem Dion geschadet, da sie seinen heimlichen Fein- den beständige Gelegenheit gegeben, ihn dem Prinzen verdächtig zu machen. Endlich habe der Einfall, aus Sicilien eine platonische Republik zu machen an sich selbst nichts getaugt. Der National-Geist der Sicilianer sey eine Zusammensezung von so schlimmen Eigenschaften, daß es, seiner Meynung nach, dem weisesten Gesezge- ber unmöglich bleiben würde, sie zur republicanischen Tugend umzubilden; und Dionys, welcher unter ge- wissen
Neuntes Buch, fuͤnftes Capitel. dienen; aber das haͤtte eine Geſchmeidigkeit, eine klugeMiſchung von Nachgiebigkeit und Zuruͤkhaltung erfor- dert, wozu der Verfaſſer des Cratylus und Timaͤus nie- mals faͤhig ſeyn werde. Ueberdem haͤtte er ſich zu deut- lich merken laſſen, daß er gekommen ſey, den Hofmeiſter des Prinzen zu machen; ein Umſtand, der ſchon fuͤr ſich allein alles habe verderben muͤſſen. Denn die ſchwaͤch- ſten Fuͤrſten ſeyen allemal diejenigen, vor denen man am ſorgfaͤltigſten verbergen muͤſſe, daß man weiter ſehe als ſie; ſie wuͤrden ſich’s zur Schande rechnen, ſich von dem groͤſſeſten Geiſt in der Welt regieren zu laſſen, ſo bald ſie glauben, daß er eine ſolche Abſicht im Schilde fuͤhre; und daher komme es, daß ſie ſich oft lieber der ſchimpflichen Herrſchaft eines Cammerdieners oder einer Maitreſſe unterwerfen, welche die Kunſtgriffe beſizen, ihre Gewalt uͤber das Gemuͤth des Herrn unter ſclavi- ſchen Schmeicheleyen oder ſchlauen Liebkoſungen zu ver- bergen. Plato ſey zu einem Miniſter eines ſo jungen Prinzen zu ſpizfuͤndig, und zu einem Guͤnſtling zu alt geweſen; zudem habe ihm ſeine vertraute Freundſchaft mit dem Dion geſchadet, da ſie ſeinen heimlichen Fein- den beſtaͤndige Gelegenheit gegeben, ihn dem Prinzen verdaͤchtig zu machen. Endlich habe der Einfall, aus Sicilien eine platoniſche Republik zu machen an ſich ſelbſt nichts getaugt. Der National-Geiſt der Sicilianer ſey eine Zuſammenſezung von ſo ſchlimmen Eigenſchaften, daß es, ſeiner Meynung nach, dem weiſeſten Geſezge- ber unmoͤglich bleiben wuͤrde, ſie zur republicaniſchen Tugend umzubilden; und Dionys, welcher unter ge- wiſſen
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0159" n="157"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Neuntes Buch, fuͤnftes Capitel.</hi></fw><lb/> dienen; aber das haͤtte eine Geſchmeidigkeit, eine kluge<lb/> Miſchung von Nachgiebigkeit und Zuruͤkhaltung erfor-<lb/> dert, wozu der Verfaſſer des Cratylus und Timaͤus nie-<lb/> mals faͤhig ſeyn werde. Ueberdem haͤtte er ſich zu deut-<lb/> lich merken laſſen, daß er gekommen ſey, den Hofmeiſter<lb/> des Prinzen zu machen; ein Umſtand, der ſchon fuͤr<lb/> ſich allein alles habe verderben muͤſſen. Denn die ſchwaͤch-<lb/> ſten Fuͤrſten ſeyen allemal diejenigen, vor denen man<lb/> am ſorgfaͤltigſten verbergen muͤſſe, daß man weiter ſehe<lb/> als ſie; ſie wuͤrden ſich’s zur Schande rechnen, ſich von<lb/> dem groͤſſeſten Geiſt in der Welt regieren zu laſſen, ſo<lb/> bald ſie glauben, daß er eine ſolche Abſicht im Schilde<lb/> fuͤhre; und daher komme es, daß ſie ſich oft lieber der<lb/> ſchimpflichen Herrſchaft eines Cammerdieners oder einer<lb/> Maitreſſe unterwerfen, welche die Kunſtgriffe beſizen,<lb/> ihre Gewalt uͤber das Gemuͤth des Herrn unter ſclavi-<lb/> ſchen Schmeicheleyen oder ſchlauen Liebkoſungen zu ver-<lb/> bergen. Plato ſey zu einem Miniſter eines ſo jungen<lb/> Prinzen zu ſpizfuͤndig, und zu einem Guͤnſtling zu alt<lb/> geweſen; zudem habe ihm ſeine vertraute Freundſchaft<lb/> mit dem Dion geſchadet, da ſie ſeinen heimlichen Fein-<lb/> den beſtaͤndige Gelegenheit gegeben, ihn dem Prinzen<lb/> verdaͤchtig zu machen. Endlich habe der Einfall, aus<lb/> Sicilien eine platoniſche Republik zu machen an ſich ſelbſt<lb/> nichts getaugt. Der National-Geiſt der Sicilianer ſey<lb/> eine Zuſammenſezung von ſo ſchlimmen Eigenſchaften,<lb/> daß es, ſeiner Meynung nach, dem weiſeſten Geſezge-<lb/> ber unmoͤglich bleiben wuͤrde, ſie zur republicaniſchen<lb/> Tugend umzubilden; und Dionys, welcher unter ge-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">wiſſen</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [157/0159]
Neuntes Buch, fuͤnftes Capitel.
dienen; aber das haͤtte eine Geſchmeidigkeit, eine kluge
Miſchung von Nachgiebigkeit und Zuruͤkhaltung erfor-
dert, wozu der Verfaſſer des Cratylus und Timaͤus nie-
mals faͤhig ſeyn werde. Ueberdem haͤtte er ſich zu deut-
lich merken laſſen, daß er gekommen ſey, den Hofmeiſter
des Prinzen zu machen; ein Umſtand, der ſchon fuͤr
ſich allein alles habe verderben muͤſſen. Denn die ſchwaͤch-
ſten Fuͤrſten ſeyen allemal diejenigen, vor denen man
am ſorgfaͤltigſten verbergen muͤſſe, daß man weiter ſehe
als ſie; ſie wuͤrden ſich’s zur Schande rechnen, ſich von
dem groͤſſeſten Geiſt in der Welt regieren zu laſſen, ſo
bald ſie glauben, daß er eine ſolche Abſicht im Schilde
fuͤhre; und daher komme es, daß ſie ſich oft lieber der
ſchimpflichen Herrſchaft eines Cammerdieners oder einer
Maitreſſe unterwerfen, welche die Kunſtgriffe beſizen,
ihre Gewalt uͤber das Gemuͤth des Herrn unter ſclavi-
ſchen Schmeicheleyen oder ſchlauen Liebkoſungen zu ver-
bergen. Plato ſey zu einem Miniſter eines ſo jungen
Prinzen zu ſpizfuͤndig, und zu einem Guͤnſtling zu alt
geweſen; zudem habe ihm ſeine vertraute Freundſchaft
mit dem Dion geſchadet, da ſie ſeinen heimlichen Fein-
den beſtaͤndige Gelegenheit gegeben, ihn dem Prinzen
verdaͤchtig zu machen. Endlich habe der Einfall, aus
Sicilien eine platoniſche Republik zu machen an ſich ſelbſt
nichts getaugt. Der National-Geiſt der Sicilianer ſey
eine Zuſammenſezung von ſo ſchlimmen Eigenſchaften,
daß es, ſeiner Meynung nach, dem weiſeſten Geſezge-
ber unmoͤglich bleiben wuͤrde, ſie zur republicaniſchen
Tugend umzubilden; und Dionys, welcher unter ge-
wiſſen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |