Dem sey indessen wie ihm wolle, so hatte Aristipp nichts angelegners, als des nächsten Morgens den Prin- zen, dem er bey seinem Aufstehen aufzuwarten pflegte, von dem neuangekommenen Agathon zu unterhalten, und eine so vortheilhafte Abschilderung von ihm zu ma- chen, daß Dionys begierig wurde, diesen ausserordent- lichen Menschen von Person zu kennen. Aristipp er- hielt also den Auftrag, ihn unverzüglich nach Hofe zu bringen; und er vollzog denselben, ohne unsern Hel- den merken zu lassen, wieviel Antheil er an dieser Neu- gier des Prinzen gehabt hatte.
Agathon sah eine so bald erfolgende Einladung als ein gutes Omen an, und machte keine Schwierigkeit sie an- zunehmen. Er erschien also vor dem Dionys, der ihn mitten unter seinen Hofleuten auf eine sehr leutselige Art empfieng. Er erfuhr bey dieser Gelegenheit aber- mal, daß die Schönheit eine stumme Empfehlung an alle Menschen, welche Augen haben, ist. Diese Ge- stalt des Vaticanischen Apollo, die ihm schon so man- chen guten -- und schlimmen -- Dienst gethan, die ihm die Verfolgungen der Pythia und die Zuneigung der Athenienser zugezogen, ihn in den Augen der thrazischen Bacchantinnen zum Gott, und in den Augen der schönen Danae zum liebenswürdigsten der Sterblichen gemacht hatte --- Diese Gestalt, diese einnehmende Gesichts- Bildung, diese mit Würde und Anstand zusammenflies- sende Grazie, welche allen seinen Bewegungen und Hand- lungen eigen war -- thaten ihre Würkung, und zogen
ihm
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Neuntes Buch, fuͤnftes Capitel.
Dem ſey indeſſen wie ihm wolle, ſo hatte Ariſtipp nichts angelegners, als des naͤchſten Morgens den Prin- zen, dem er bey ſeinem Aufſtehen aufzuwarten pflegte, von dem neuangekommenen Agathon zu unterhalten, und eine ſo vortheilhafte Abſchilderung von ihm zu ma- chen, daß Dionys begierig wurde, dieſen auſſerordent- lichen Menſchen von Perſon zu kennen. Ariſtipp er- hielt alſo den Auftrag, ihn unverzuͤglich nach Hofe zu bringen; und er vollzog denſelben, ohne unſern Hel- den merken zu laſſen, wieviel Antheil er an dieſer Neu- gier des Prinzen gehabt hatte.
Agathon ſah eine ſo bald erfolgende Einladung als ein gutes Omen an, und machte keine Schwierigkeit ſie an- zunehmen. Er erſchien alſo vor dem Dionys, der ihn mitten unter ſeinen Hofleuten auf eine ſehr leutſelige Art empfieng. Er erfuhr bey dieſer Gelegenheit aber- mal, daß die Schoͤnheit eine ſtumme Empfehlung an alle Menſchen, welche Augen haben, iſt. Dieſe Ge- ſtalt des Vaticaniſchen Apollo, die ihm ſchon ſo man- chen guten ‒‒ und ſchlimmen ‒‒ Dienſt gethan, die ihm die Verfolgungen der Pythia und die Zuneigung der Athenienſer zugezogen, ihn in den Augen der thraziſchen Bacchantinnen zum Gott, und in den Augen der ſchoͤnen Danae zum liebenswuͤrdigſten der Sterblichen gemacht hatte ‒‒‒ Dieſe Geſtalt, dieſe einnehmende Geſichts- Bildung, dieſe mit Wuͤrde und Anſtand zuſammenflieſ- ſende Grazie, welche allen ſeinen Bewegungen und Hand- lungen eigen war ‒‒ thaten ihre Wuͤrkung, und zogen
ihm
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Neuntes Buch, fuͤnftes Capitel.
Dem ſey indeſſen wie ihm wolle, ſo hatte Ariſtipp
nichts angelegners, als des naͤchſten Morgens den Prin-
zen, dem er bey ſeinem Aufſtehen aufzuwarten pflegte,
von dem neuangekommenen Agathon zu unterhalten,
und eine ſo vortheilhafte Abſchilderung von ihm zu ma-
chen, daß Dionys begierig wurde, dieſen auſſerordent-
lichen Menſchen von Perſon zu kennen. Ariſtipp er-
hielt alſo den Auftrag, ihn unverzuͤglich nach Hofe zu
bringen; und er vollzog denſelben, ohne unſern Hel-
den merken zu laſſen, wieviel Antheil er an dieſer Neu-
gier des Prinzen gehabt hatte.
Agathon ſah eine ſo bald erfolgende Einladung als ein
gutes Omen an, und machte keine Schwierigkeit ſie an-
zunehmen. Er erſchien alſo vor dem Dionys, der ihn
mitten unter ſeinen Hofleuten auf eine ſehr leutſelige
Art empfieng. Er erfuhr bey dieſer Gelegenheit aber-
mal, daß die Schoͤnheit eine ſtumme Empfehlung an
alle Menſchen, welche Augen haben, iſt. Dieſe Ge-
ſtalt des Vaticaniſchen Apollo, die ihm ſchon ſo man-
chen guten ‒‒ und ſchlimmen ‒‒ Dienſt gethan, die ihm
die Verfolgungen der Pythia und die Zuneigung der
Athenienſer zugezogen, ihn in den Augen der thraziſchen
Bacchantinnen zum Gott, und in den Augen der ſchoͤnen
Danae zum liebenswuͤrdigſten der Sterblichen gemacht
hatte ‒‒‒ Dieſe Geſtalt, dieſe einnehmende Geſichts-
Bildung, dieſe mit Wuͤrde und Anſtand zuſammenflieſ-
ſende Grazie, welche allen ſeinen Bewegungen und Hand-
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/171>, abgerufen am 21.11.2024.
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