Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.Agathon. len, und sich alsdann zu fragen, wie werth ihnen einVaterland seyn würde, welches ihnen so mitgespielt hätte? Sie mögen sich erinnern, daß es insgemein nur auf eine kleine Beleidigung ihrer Eigenliebe ankommt, um ihre Hochachtung gegen eine Person in Verachtung, ihre Liebe in Abscheu, ihre Lobsprüche in Schmähre- den, ihre guten Dienste in Verfolgungen zu verwandeln. Wie oft, meine Herren, hat sich schon um einer nichts bedeutenden Ursache willen, ihre ganze Denkungs-Art von Personen und Sachen geändert? -- Antworten Sie Sich selbst so leise als Sie wollen; denn wir verlan- gen nichts davon zu hören; und wenn Sie, nach die- sem kleinen Blik in sich selbst, unserm Helden nicht ver- geben können, daß er ein Vaterland nicht liebte, wel- ches alles mögliche gethan hatte, sich ihm verhaßt zu machen: So müssen wir zwar die Strenge ihrer Sit- teulehre bewundern; aber -- doch gestehen, daß wir Sie noch mehr bewundern würden, wenn Sie so lange, bis Sie gelernt hätten etwas weniger Parthey- lichkeit für sich selbst zu hegen, etwas mehr Nachsicht gegen andre sich empfohlen seyn lassen wollten. Ueberhaupt hat man Ursache zu glauben, daß Aga- Ueber-
Agathon. len, und ſich alsdann zu fragen, wie werth ihnen einVaterland ſeyn wuͤrde, welches ihnen ſo mitgeſpielt haͤtte? Sie moͤgen ſich erinnern, daß es insgemein nur auf eine kleine Beleidigung ihrer Eigenliebe ankommt, um ihre Hochachtung gegen eine Perſon in Verachtung, ihre Liebe in Abſcheu, ihre Lobſpruͤche in Schmaͤhre- den, ihre guten Dienſte in Verfolgungen zu verwandeln. Wie oft, meine Herren, hat ſich ſchon um einer nichts bedeutenden Urſache willen, ihre ganze Denkungs-Art von Perſonen und Sachen geaͤndert? ‒‒ Antworten Sie Sich ſelbſt ſo leiſe als Sie wollen; denn wir verlan- gen nichts davon zu hoͤren; und wenn Sie, nach die- ſem kleinen Blik in ſich ſelbſt, unſerm Helden nicht ver- geben koͤnnen, daß er ein Vaterland nicht liebte, wel- ches alles moͤgliche gethan hatte, ſich ihm verhaßt zu machen: So muͤſſen wir zwar die Strenge ihrer Sit- teulehre bewundern; aber ‒‒ doch geſtehen, daß wir Sie noch mehr bewundern wuͤrden, wenn Sie ſo lange, bis Sie gelernt haͤtten etwas weniger Parthey- lichkeit fuͤr ſich ſelbſt zu hegen, etwas mehr Nachſicht gegen andre ſich empfohlen ſeyn laſſen wollten. Ueberhaupt hat man Urſache zu glauben, daß Aga- Ueber-
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Agathon.
len, und ſich alsdann zu fragen, wie werth ihnen ein
Vaterland ſeyn wuͤrde, welches ihnen ſo mitgeſpielt
haͤtte? Sie moͤgen ſich erinnern, daß es insgemein nur
auf eine kleine Beleidigung ihrer Eigenliebe ankommt,
um ihre Hochachtung gegen eine Perſon in Verachtung,
ihre Liebe in Abſcheu, ihre Lobſpruͤche in Schmaͤhre-
den, ihre guten Dienſte in Verfolgungen zu verwandeln.
Wie oft, meine Herren, hat ſich ſchon um einer nichts
bedeutenden Urſache willen, ihre ganze Denkungs-Art
von Perſonen und Sachen geaͤndert? ‒‒ Antworten Sie
Sich ſelbſt ſo leiſe als Sie wollen; denn wir verlan-
gen nichts davon zu hoͤren; und wenn Sie, nach die-
ſem kleinen Blik in ſich ſelbſt, unſerm Helden nicht ver-
geben koͤnnen, daß er ein Vaterland nicht liebte, wel-
ches alles moͤgliche gethan hatte, ſich ihm verhaßt zu
machen: So muͤſſen wir zwar die Strenge ihrer Sit-
teulehre bewundern; aber ‒‒ doch geſtehen, daß wir
Sie noch mehr bewundern wuͤrden, wenn Sie ſo
lange, bis Sie gelernt haͤtten etwas weniger Parthey-
lichkeit fuͤr ſich ſelbſt zu hegen, etwas mehr Nachſicht
gegen andre ſich empfohlen ſeyn laſſen wollten.
Ueberhaupt hat man Urſache zu glauben, daß Aga-
thon geſprochen habe wie er dachte, und das iſt zu
Rechtfertigung ſeiner Redlichkeit genug. Und warum
ſollten wir an dieſer zu zweifeln anfangen? Sein gan-
zes Betragen, waͤhrend daß er das Herz des Tyrannen in
ſeinen Haͤnden hatte, bewies, daß er keine Abſichten
hegete, welche ihn genoͤthiget haͤtten, ihm gegen ſeine
Ueber-
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