Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.Zehentes Buch, erstes Capitel. Einfall oder barokischen Ausdruk ihrer Empfindungenwo nicht zu lachen macht, doch dergestalt abkühlt, daß es ihm hernach sehr schwer wird, uns wieder in die Fassung zu sezen, worinn er uns haben möchte. -- Man tadelt das -- und denkt nicht daran, daß seine Stüke eben darinn natürliche Abbildungen des menschlichen Le- bens sind. Das Leben der meisten Menschen, und (wenn wir anders [Agath. II. Th.] N
Zehentes Buch, erſtes Capitel. Einfall oder barokiſchen Ausdruk ihrer Empfindungenwo nicht zu lachen macht, doch dergeſtalt abkuͤhlt, daß es ihm hernach ſehr ſchwer wird, uns wieder in die Faſſung zu ſezen, worinn er uns haben moͤchte. ‒‒ Man tadelt das ‒‒ und denkt nicht daran, daß ſeine Stuͤke eben darinn natuͤrliche Abbildungen des menſchlichen Le- bens ſind. Das Leben der meiſten Menſchen, und (wenn wir anders [Agath. II. Th.] N
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Zehentes Buch, erſtes Capitel.
Einfall oder barokiſchen Ausdruk ihrer Empfindungen
wo nicht zu lachen macht, doch dergeſtalt abkuͤhlt, daß
es ihm hernach ſehr ſchwer wird, uns wieder in die
Faſſung zu ſezen, worinn er uns haben moͤchte. ‒‒ Man
tadelt das ‒‒ und denkt nicht daran, daß ſeine Stuͤke
eben darinn natuͤrliche Abbildungen des menſchlichen Le-
bens ſind.
Das Leben der meiſten Menſchen, und (wenn wir
es ſagen duͤrften) der Lebenslauf der groſſen Staats-
Koͤrper ſelbſt, in ſo fern wir ſie als eben ſo viel mora-
liſche Weſen betrachten, gleicht den Haupt- und Staats-
Actionen im alten gothiſchen Geſchmak in ſo vielen
Puncten, daß man beynahe auf die Gedanken kommen
moͤchte, die Erfinder dieſer leztern ſeyen kluͤger geweſen
als man gemeiniglich denkt, und haͤtten, wofern ſie
nicht gar die heimliche Abſicht gehabt, das menſchliche
Leben laͤcherlich zu machen, wenigſtens die Natur eben
ſo getreu nachahmen wollen, als die Griechen ſich an-
gelegen ſeyn lieſſen ſie zu verſchoͤnern. Um izo nichts
von der zufaͤlligen Aehnlichkeit zu ſagen, daß in dieſen
Stuͤken, ſo wie im Leben, die wichtigſten Rollen ſehr
oft gerade durch die ſchlechteſten Acteurs geſpielt wer-
den ‒‒ was kan aͤhnlicher ſeyn, als es beyde Arten der
Haupt und Staats-Actionen einander in der Anlage,
in der Abtheilung und Diſpoſition der Scenen, im
Knoten und in der Entwiklung zu ſeyn pflegen. Wie
ſelten fragen die Urheber der einen und der andern ſich
ſelbſt, warum ſie dieſes oder jenes gerade ſo und nicht
anders
[Agath. II. Th.] N
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