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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
alle die es nicht sind, zu öffentlichen, oder doch gewiß
zu immerwährenden heimlichen Feinden haben muß.
Eine Wahrheit, welche in der Natur der Sachen so
gegründet, und durch eine nie unterbrochene Erfahrung
so bestätiget ist, daß wir weit bessere Ursache zu fra-
gen haben: Wie sollte ein Mann, der sich so wol be-
trug, keine Feinde gehabt haben? Es konnte nicht an-
ders seyn als daß derjenige, dessen beständige Bemühung
dahin gieng, seinen Prinzen tugendhaft, oder doch
wenigstens seine Schwachheiten unschädlich zu machen,
sich den herzlichen Haß dieser Höflinge zuziehen mußte,
welche (wie Montesquieu von allen Hofleuten behauptet)
nichts so sehr fürchten, als die Tugend des Fürsten,
und keinen zuverlässigern Grund ihrer Hofnungen ken-
nen, als seine Schwachheiten. Sie konnten nicht an-
ders als den Agathon für denjenigen ansehen, der al-
len ihren Absichten und Entwürfen im Wege stuhnd.
Er verlangte zum Exempel, daß man vorher Verdienste
haben müsse, eh man an Belohnungen Ansprüche mache;
sie wußten einen kürzern und bequemern Weg; einen
Weg auf welchem zu allen Zeiten (die Regierungen
der Antonine und Juliane ausgenommen) die nichts-
würdigsten Leute an Höfen ihr Glük gemacht haben --
kriechende Schmeicheley, blinde Gefälligkeit gegen die
Leidenschaften unsrer Obern, Gefühllosigkeit gegen alle
Regungen des Gewissens und der Menschlichkeit, Taub-
heit gegen die Stimme aller Pflichten, unerschrokne
Unverschämtheit sich selbst Talente und Verdienste bey-
zulegen, die man nie gehabt hat; fertige Bereitwillig-

keit

Agathon.
alle die es nicht ſind, zu oͤffentlichen, oder doch gewiß
zu immerwaͤhrenden heimlichen Feinden haben muß.
Eine Wahrheit, welche in der Natur der Sachen ſo
gegruͤndet, und durch eine nie unterbrochene Erfahrung
ſo beſtaͤtiget iſt, daß wir weit beſſere Urſache zu fra-
gen haben: Wie ſollte ein Mann, der ſich ſo wol be-
trug, keine Feinde gehabt haben? Es konnte nicht an-
ders ſeyn als daß derjenige, deſſen beſtaͤndige Bemuͤhung
dahin gieng, ſeinen Prinzen tugendhaft, oder doch
wenigſtens ſeine Schwachheiten unſchaͤdlich zu machen,
ſich den herzlichen Haß dieſer Hoͤflinge zuziehen mußte,
welche (wie Montesquieu von allen Hofleuten behauptet)
nichts ſo ſehr fuͤrchten, als die Tugend des Fuͤrſten,
und keinen zuverlaͤſſigern Grund ihrer Hofnungen ken-
nen, als ſeine Schwachheiten. Sie konnten nicht an-
ders als den Agathon fuͤr denjenigen anſehen, der al-
len ihren Abſichten und Entwuͤrfen im Wege ſtuhnd.
Er verlangte zum Exempel, daß man vorher Verdienſte
haben muͤſſe, eh man an Belohnungen Anſpruͤche mache;
ſie wußten einen kuͤrzern und bequemern Weg; einen
Weg auf welchem zu allen Zeiten (die Regierungen
der Antonine und Juliane ausgenommen) die nichts-
wuͤrdigſten Leute an Hoͤfen ihr Gluͤk gemacht haben ‒‒
kriechende Schmeicheley, blinde Gefaͤlligkeit gegen die
Leidenſchaften unſrer Obern, Gefuͤhlloſigkeit gegen alle
Regungen des Gewiſſens und der Menſchlichkeit, Taub-
heit gegen die Stimme aller Pflichten, unerſchrokne
Unverſchaͤmtheit ſich ſelbſt Talente und Verdienſte bey-
zulegen, die man nie gehabt hat; fertige Bereitwillig-

keit
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[214/0216] Agathon. alle die es nicht ſind, zu oͤffentlichen, oder doch gewiß zu immerwaͤhrenden heimlichen Feinden haben muß. Eine Wahrheit, welche in der Natur der Sachen ſo gegruͤndet, und durch eine nie unterbrochene Erfahrung ſo beſtaͤtiget iſt, daß wir weit beſſere Urſache zu fra- gen haben: Wie ſollte ein Mann, der ſich ſo wol be- trug, keine Feinde gehabt haben? Es konnte nicht an- ders ſeyn als daß derjenige, deſſen beſtaͤndige Bemuͤhung dahin gieng, ſeinen Prinzen tugendhaft, oder doch wenigſtens ſeine Schwachheiten unſchaͤdlich zu machen, ſich den herzlichen Haß dieſer Hoͤflinge zuziehen mußte, welche (wie Montesquieu von allen Hofleuten behauptet) nichts ſo ſehr fuͤrchten, als die Tugend des Fuͤrſten, und keinen zuverlaͤſſigern Grund ihrer Hofnungen ken- nen, als ſeine Schwachheiten. Sie konnten nicht an- ders als den Agathon fuͤr denjenigen anſehen, der al- len ihren Abſichten und Entwuͤrfen im Wege ſtuhnd. Er verlangte zum Exempel, daß man vorher Verdienſte haben muͤſſe, eh man an Belohnungen Anſpruͤche mache; ſie wußten einen kuͤrzern und bequemern Weg; einen Weg auf welchem zu allen Zeiten (die Regierungen der Antonine und Juliane ausgenommen) die nichts- wuͤrdigſten Leute an Hoͤfen ihr Gluͤk gemacht haben ‒‒ kriechende Schmeicheley, blinde Gefaͤlligkeit gegen die Leidenſchaften unſrer Obern, Gefuͤhlloſigkeit gegen alle Regungen des Gewiſſens und der Menſchlichkeit, Taub- heit gegen die Stimme aller Pflichten, unerſchrokne Unverſchaͤmtheit ſich ſelbſt Talente und Verdienſte bey- zulegen, die man nie gehabt hat; fertige Bereitwillig- keit

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/216>, abgerufen am 24.11.2024.