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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Zehentes Buch, drittes Capitel.
sten Theil verlezt worden. Der Affect, in welchen er
dadurch gesezt werden mußte, gab allen Gegenständen,
die er vor sich hatte, eine andre Farbe. Dionys, des-
sen Laster er ehmals mit freundschaftlichen Augen als
Schwachheiten betrachtet hatte, stellte sich ihm izt in
der häßlichen Gestalt eines Tyrannen dar. Je besser
er vorhin von Philistus gedacht hatte, desto abscheuli-
cher fand er izt seinen Character, nachdem er ihn ein-
mal falsch und niederträchtig gefunden hatte; es war
nichts so schlimm und schändlich, daß er einem solchen
Manne nicht zutraute. Die reizenden Bilder, welche
er sich von der Glükseligkeit Siciliens unter seiner Ver-
waltung gemacht hatte, erhielten durch den Unmuth,
sie vor seinen Augen vernichten zu sehen, eine desto grös-
sere Gewalt über seine Einbildungs-Kraft. Es war ihm
unerträglich, Leute, welche nur darum seine Feinde
waren, weil sie Feinde alles Guten, Feinde der Tugend
und der öffentlichen Wolfahrt waren, einen solchen Sieg
davontragen zu lassen. Er hielt es für eine allgemeine
Pflicht, sich den Unternehmungen der Bösen zu wider-
sezen, und die Stelle, welche er beynahe zwey Jahre
lang in Sicilien behauptet hatte, machte (wie er
glaubte) seinen Beruf zur besondern Ausübung dieser
Pflicht in gegenwärtigem Falle unzweifelhaft. Diese
Betrachtungen hatten, ausser ihrer eigenthümlichen
Stärke, noch sein Herz und seine Einbildungs-Kraft
auf ihrer Seite; und mußten also nothwendig alles über-
wägen, was die Klugheit dagegen einwenden konnte.

Sobald

Zehentes Buch, drittes Capitel.
ſten Theil verlezt worden. Der Affect, in welchen er
dadurch geſezt werden mußte, gab allen Gegenſtaͤnden,
die er vor ſich hatte, eine andre Farbe. Dionys, deſ-
ſen Laſter er ehmals mit freundſchaftlichen Augen als
Schwachheiten betrachtet hatte, ſtellte ſich ihm izt in
der haͤßlichen Geſtalt eines Tyrannen dar. Je beſſer
er vorhin von Philiſtus gedacht hatte, deſto abſcheuli-
cher fand er izt ſeinen Character, nachdem er ihn ein-
mal falſch und niedertraͤchtig gefunden hatte; es war
nichts ſo ſchlimm und ſchaͤndlich, daß er einem ſolchen
Manne nicht zutraute. Die reizenden Bilder, welche
er ſich von der Gluͤkſeligkeit Siciliens unter ſeiner Ver-
waltung gemacht hatte, erhielten durch den Unmuth,
ſie vor ſeinen Augen vernichten zu ſehen, eine deſto groͤſ-
ſere Gewalt uͤber ſeine Einbildungs-Kraft. Es war ihm
unertraͤglich, Leute, welche nur darum ſeine Feinde
waren, weil ſie Feinde alles Guten, Feinde der Tugend
und der oͤffentlichen Wolfahrt waren, einen ſolchen Sieg
davontragen zu laſſen. Er hielt es fuͤr eine allgemeine
Pflicht, ſich den Unternehmungen der Boͤſen zu wider-
ſezen, und die Stelle, welche er beynahe zwey Jahre
lang in Sicilien behauptet hatte, machte (wie er
glaubte) ſeinen Beruf zur beſondern Ausuͤbung dieſer
Pflicht in gegenwaͤrtigem Falle unzweifelhaft. Dieſe
Betrachtungen hatten, auſſer ihrer eigenthuͤmlichen
Staͤrke, noch ſein Herz und ſeine Einbildungs-Kraft
auf ihrer Seite; und mußten alſo nothwendig alles uͤber-
waͤgen, was die Klugheit dagegen einwenden konnte.

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[253/0255] Zehentes Buch, drittes Capitel. ſten Theil verlezt worden. Der Affect, in welchen er dadurch geſezt werden mußte, gab allen Gegenſtaͤnden, die er vor ſich hatte, eine andre Farbe. Dionys, deſ- ſen Laſter er ehmals mit freundſchaftlichen Augen als Schwachheiten betrachtet hatte, ſtellte ſich ihm izt in der haͤßlichen Geſtalt eines Tyrannen dar. Je beſſer er vorhin von Philiſtus gedacht hatte, deſto abſcheuli- cher fand er izt ſeinen Character, nachdem er ihn ein- mal falſch und niedertraͤchtig gefunden hatte; es war nichts ſo ſchlimm und ſchaͤndlich, daß er einem ſolchen Manne nicht zutraute. Die reizenden Bilder, welche er ſich von der Gluͤkſeligkeit Siciliens unter ſeiner Ver- waltung gemacht hatte, erhielten durch den Unmuth, ſie vor ſeinen Augen vernichten zu ſehen, eine deſto groͤſ- ſere Gewalt uͤber ſeine Einbildungs-Kraft. Es war ihm unertraͤglich, Leute, welche nur darum ſeine Feinde waren, weil ſie Feinde alles Guten, Feinde der Tugend und der oͤffentlichen Wolfahrt waren, einen ſolchen Sieg davontragen zu laſſen. Er hielt es fuͤr eine allgemeine Pflicht, ſich den Unternehmungen der Boͤſen zu wider- ſezen, und die Stelle, welche er beynahe zwey Jahre lang in Sicilien behauptet hatte, machte (wie er glaubte) ſeinen Beruf zur beſondern Ausuͤbung dieſer Pflicht in gegenwaͤrtigem Falle unzweifelhaft. Dieſe Betrachtungen hatten, auſſer ihrer eigenthuͤmlichen Staͤrke, noch ſein Herz und ſeine Einbildungs-Kraft auf ihrer Seite; und mußten alſo nothwendig alles uͤber- waͤgen, was die Klugheit dagegen einwenden konnte. Sobald

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/255>, abgerufen am 24.11.2024.