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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
Wie wurde sie durch die verdunkelte Vorzüge ihrer un-
glüklichen Nebenbuhlerin herausgehoben! Himmel! wie
war es möglich, daß die Beyschläferin eines Alcibiades,
eines Hippias -- eines jeden andern, der ihr ge-
fiel, fähig seyn konnte, diese liebenswürdige Unschuld
auszulöschen, deren keusche Umarmungen, anstatt seine
Tugend in Gefahr zu sezen, ihr neues Leben, neue
Stärke gegeben hatten? -- Er trieb die Ver-
gleichung so weit sie gehen konnte. Beyde hatten ihn
geliebt; aber, welch ein Unterschied in der Art zu lie-
ben! welch ein Unterschied zwischen jener Nacht --
an die er sich izt mit Abscheu erinnerte -- wo
Danae, nachdem sie alle ihre Reizungen, alles was
die schlaueste Verführungs-Kunst erfinden kan; zugleich
mit dem magischen Kräften der Musik aufgebotten, seine
Sinnen zu berauschen und sein ganzes Wesen in wol-
lüstige Begierden aufzulösen, sich selbst mit zuvorkom-
mender Güte in seine Arme geworfen hatte -- und
den elysischen Nächten, die ihm an Psychens Seite in
der reinen Wonne entkörperter Geister, wie ein einziger
himmlischer Augenblik, vorübergeflossen waren! --
Arme Danae! So gar die Reizungen ihrer Figur ver-
lohren bey dieser Vergleichung einen Vorzug, den ihnen
nur das partheylichste Vorurtheil absprechen konnte.
Diese Gestalt der Liebes-Göttin, bey deren Anschauen
seine entzükte Seele in Wollust zerflossen war, sank izt,
mit der jungfräulichen Geschmeidigkeit der jungen
Psyche verglichen, in seiner gramsüchtigen Einbildung

zu

Agathon.
Wie wurde ſie durch die verdunkelte Vorzuͤge ihrer un-
gluͤklichen Nebenbuhlerin herausgehoben! Himmel! wie
war es moͤglich, daß die Beyſchlaͤferin eines Alcibiades,
eines Hippias — eines jeden andern, der ihr ge-
fiel, faͤhig ſeyn konnte, dieſe liebenswuͤrdige Unſchuld
auszuloͤſchen, deren keuſche Umarmungen, anſtatt ſeine
Tugend in Gefahr zu ſezen, ihr neues Leben, neue
Staͤrke gegeben hatten? — Er trieb die Ver-
gleichung ſo weit ſie gehen konnte. Beyde hatten ihn
geliebt; aber, welch ein Unterſchied in der Art zu lie-
ben! welch ein Unterſchied zwiſchen jener Nacht —
an die er ſich izt mit Abſcheu erinnerte — wo
Danae, nachdem ſie alle ihre Reizungen, alles was
die ſchlaueſte Verfuͤhrungs-Kunſt erfinden kan; zugleich
mit dem magiſchen Kraͤften der Muſik aufgebotten, ſeine
Sinnen zu berauſchen und ſein ganzes Weſen in wol-
luͤſtige Begierden aufzuloͤſen, ſich ſelbſt mit zuvorkom-
mender Guͤte in ſeine Arme geworfen hatte — und
den elyſiſchen Naͤchten, die ihm an Pſychens Seite in
der reinen Wonne entkoͤrperter Geiſter, wie ein einziger
himmliſcher Augenblik, voruͤbergefloſſen waren! —
Arme Danae! So gar die Reizungen ihrer Figur ver-
lohren bey dieſer Vergleichung einen Vorzug, den ihnen
nur das partheylichſte Vorurtheil abſprechen konnte.
Dieſe Geſtalt der Liebes-Goͤttin, bey deren Anſchauen
ſeine entzuͤkte Seele in Wolluſt zerfloſſen war, ſank izt,
mit der jungfraͤulichen Geſchmeidigkeit der jungen
Pſyche verglichen, in ſeiner gramſuͤchtigen Einbildung

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[28/0030] Agathon. Wie wurde ſie durch die verdunkelte Vorzuͤge ihrer un- gluͤklichen Nebenbuhlerin herausgehoben! Himmel! wie war es moͤglich, daß die Beyſchlaͤferin eines Alcibiades, eines Hippias — eines jeden andern, der ihr ge- fiel, faͤhig ſeyn konnte, dieſe liebenswuͤrdige Unſchuld auszuloͤſchen, deren keuſche Umarmungen, anſtatt ſeine Tugend in Gefahr zu ſezen, ihr neues Leben, neue Staͤrke gegeben hatten? — Er trieb die Ver- gleichung ſo weit ſie gehen konnte. Beyde hatten ihn geliebt; aber, welch ein Unterſchied in der Art zu lie- ben! welch ein Unterſchied zwiſchen jener Nacht — an die er ſich izt mit Abſcheu erinnerte — wo Danae, nachdem ſie alle ihre Reizungen, alles was die ſchlaueſte Verfuͤhrungs-Kunſt erfinden kan; zugleich mit dem magiſchen Kraͤften der Muſik aufgebotten, ſeine Sinnen zu berauſchen und ſein ganzes Weſen in wol- luͤſtige Begierden aufzuloͤſen, ſich ſelbſt mit zuvorkom- mender Guͤte in ſeine Arme geworfen hatte — und den elyſiſchen Naͤchten, die ihm an Pſychens Seite in der reinen Wonne entkoͤrperter Geiſter, wie ein einziger himmliſcher Augenblik, voruͤbergefloſſen waren! — Arme Danae! So gar die Reizungen ihrer Figur ver- lohren bey dieſer Vergleichung einen Vorzug, den ihnen nur das partheylichſte Vorurtheil abſprechen konnte. Dieſe Geſtalt der Liebes-Goͤttin, bey deren Anſchauen ſeine entzuͤkte Seele in Wolluſt zerfloſſen war, ſank izt, mit der jungfraͤulichen Geſchmeidigkeit der jungen Pſyche verglichen, in ſeiner gramſuͤchtigen Einbildung zu

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/30>, abgerufen am 21.11.2024.