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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
nehm, daß er Mühe hatte sich wieder von ihr loszu-
reissen. Auch die Mahlerey und die Musik, die Schwe-
stern der Dichtkunst, deren höhere Theorie sich in den
geheimnißvollesten Tieffen der Philosophie verliehrt, hat-
ten einen Antheil an seinen Stunden, und halfen ihm,
das allzueinförmige in den Beschäftigungen seines Geistes,
und die schädlichen Folgen, die aus der Einschränkung
desselben auf eine einzige Art von Gegenständen entsprin-
gen, zu vermeiden.

Die häuffigen Unterredungen, welche er mit dem
weisen Archytas hatte, trugen viel und vielleicht das
Meiste bey, seinen Geist in den tiefsinnigern Specula-
tionen über die metaphysischen Gegenstände, von Abwe-
gen zurükzuhalten. Agathon, welcher ehmals, da al-
les in seiner Seele zur Empfindung wurde, seinen Bey-
fall zu leicht überraschen ließ; fand izt, seitdem er mit
kälterm Blute philosophierte, beynahe alles zweifelhaft;
die Zahl der menschlichen Begriffe und Meynungen,
welche die Probe einer ruhigen, gleichgültigen und ge-
nauen Prüfung aushielten, wurde alle Tage kleiner für
ihn; die Systeme der dogmatischen Weisen verschwanden
nach und nach, und zerflossen vor den Stralen der prü-
fenden Vernunft, wie die Luft-Schlösser und Zauber-
Gärten, welche wir zuweilen an Sommer-Morgen im
düftigen Gewölke zu sehen glauben, vor der aufgehenden
Sonne. Der weise Archytas billigte den bescheidnen
Scepticismus seines Freundes; aber indem er ihn von
allzukühnen Reisen im Lande der Jdeen zu den wenigen

einfäl-

Agathon.
nehm, daß er Muͤhe hatte ſich wieder von ihr loszu-
reiſſen. Auch die Mahlerey und die Muſik, die Schwe-
ſtern der Dichtkunſt, deren hoͤhere Theorie ſich in den
geheimnißvolleſten Tieffen der Philoſophie verliehrt, hat-
ten einen Antheil an ſeinen Stunden, und halfen ihm,
das allzueinfoͤrmige in den Beſchaͤftigungen ſeines Geiſtes,
und die ſchaͤdlichen Folgen, die aus der Einſchraͤnkung
deſſelben auf eine einzige Art von Gegenſtaͤnden entſprin-
gen, zu vermeiden.

Die haͤuffigen Unterredungen, welche er mit dem
weiſen Archytas hatte, trugen viel und vielleicht das
Meiſte bey, ſeinen Geiſt in den tiefſinnigern Specula-
tionen uͤber die metaphyſiſchen Gegenſtaͤnde, von Abwe-
gen zuruͤkzuhalten. Agathon, welcher ehmals, da al-
les in ſeiner Seele zur Empfindung wurde, ſeinen Bey-
fall zu leicht uͤberraſchen ließ; fand izt, ſeitdem er mit
kaͤlterm Blute philoſophierte, beynahe alles zweifelhaft;
die Zahl der menſchlichen Begriffe und Meynungen,
welche die Probe einer ruhigen, gleichguͤltigen und ge-
nauen Pruͤfung aushielten, wurde alle Tage kleiner fuͤr
ihn; die Syſteme der dogmatiſchen Weiſen verſchwanden
nach und nach, und zerfloſſen vor den Stralen der pruͤ-
fenden Vernunft, wie die Luft-Schloͤſſer und Zauber-
Gaͤrten, welche wir zuweilen an Sommer-Morgen im
duͤftigen Gewoͤlke zu ſehen glauben, vor der aufgehenden
Sonne. Der weiſe Archytas billigte den beſcheidnen
Scepticiſmus ſeines Freundes; aber indem er ihn von
allzukuͤhnen Reiſen im Lande der Jdeen zu den wenigen

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[330/0332] Agathon. nehm, daß er Muͤhe hatte ſich wieder von ihr loszu- reiſſen. Auch die Mahlerey und die Muſik, die Schwe- ſtern der Dichtkunſt, deren hoͤhere Theorie ſich in den geheimnißvolleſten Tieffen der Philoſophie verliehrt, hat- ten einen Antheil an ſeinen Stunden, und halfen ihm, das allzueinfoͤrmige in den Beſchaͤftigungen ſeines Geiſtes, und die ſchaͤdlichen Folgen, die aus der Einſchraͤnkung deſſelben auf eine einzige Art von Gegenſtaͤnden entſprin- gen, zu vermeiden. Die haͤuffigen Unterredungen, welche er mit dem weiſen Archytas hatte, trugen viel und vielleicht das Meiſte bey, ſeinen Geiſt in den tiefſinnigern Specula- tionen uͤber die metaphyſiſchen Gegenſtaͤnde, von Abwe- gen zuruͤkzuhalten. Agathon, welcher ehmals, da al- les in ſeiner Seele zur Empfindung wurde, ſeinen Bey- fall zu leicht uͤberraſchen ließ; fand izt, ſeitdem er mit kaͤlterm Blute philoſophierte, beynahe alles zweifelhaft; die Zahl der menſchlichen Begriffe und Meynungen, welche die Probe einer ruhigen, gleichguͤltigen und ge- nauen Pruͤfung aushielten, wurde alle Tage kleiner fuͤr ihn; die Syſteme der dogmatiſchen Weiſen verſchwanden nach und nach, und zerfloſſen vor den Stralen der pruͤ- fenden Vernunft, wie die Luft-Schloͤſſer und Zauber- Gaͤrten, welche wir zuweilen an Sommer-Morgen im duͤftigen Gewoͤlke zu ſehen glauben, vor der aufgehenden Sonne. Der weiſe Archytas billigte den beſcheidnen Scepticiſmus ſeines Freundes; aber indem er ihn von allzukuͤhnen Reiſen im Lande der Jdeen zu den wenigen einfaͤl-

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/332>, abgerufen am 24.11.2024.