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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
wol sey. Dem ungeachtet bezeugte er ein so ungedul-
diges Verlangen, die Dame des Hauses zu sehen, daß
Critolaus aus allem was er an ihm wahrnahm, zu
muthmassen anfieng, daß irgend ein Geheimniß darun-
ter verborgen feyn müsse, dessen Entwiklung er begierig
erwartete. Jnzwischen kam der Sclave, den sie abge-
schikt hatten, sie bey seiner Gebieterin zu melden, mit
der Antwort zurük, daß er Besehl habe sie in ihr Zim-
mer zuführen. Und hier ist es, wo wir mehr als
jemals zu wünschen versucht sind, daß dieses Buch von
niemand gelesen werden möchte, der keine schönen See-
len glaubt. Die Situation, worinn man unsern Hel-
den in wenigen Augenbliken sehen wird, ist vielleicht
eine von den delicatesten, in welche man in seinem
Leben kommen kan. Wäre hier die Rede von solchen
phantasierten Charactern, wie diejenige, welche aus dem
Gehirn der Verfasserin der geheimen Geschichte von
Burgund
, und der Königin von Navarra hervor-
gegangen sind, so würden wir uns kaum in einer klei-
nern Verlegenheit befinden, als Agathon selbst, da er
mit pochendem Herzen und schwerathmender Brust dem
Sclaven folgte, der ihn ins Vorgemach einer Unbe-
kannten führte, von der er fast mit gleicher Heftigkeit
wünschte und fürchtete, daß es Danae seyn möchte.
Allein da Agathon und Danae so gut historische Per-
sonen sind als Brutus, Portia, und hundert andre,
welche darum nicht weniger existiert haben, weil sie
nicht gerade so dachten, und handelten wie gewöhnliche
Leute: So bekümmern wir uns wenig, wie dieser Aga-

thon

Agathon.
wol ſey. Dem ungeachtet bezeugte er ein ſo ungedul-
diges Verlangen, die Dame des Hauſes zu ſehen, daß
Critolaus aus allem was er an ihm wahrnahm, zu
muthmaſſen anfieng, daß irgend ein Geheimniß darun-
ter verborgen feyn muͤſſe, deſſen Entwiklung er begierig
erwartete. Jnzwiſchen kam der Sclave, den ſie abge-
ſchikt hatten, ſie bey ſeiner Gebieterin zu melden, mit
der Antwort zuruͤk, daß er Beſehl habe ſie in ihr Zim-
mer zufuͤhren. Und hier iſt es, wo wir mehr als
jemals zu wuͤnſchen verſucht ſind, daß dieſes Buch von
niemand geleſen werden moͤchte, der keine ſchoͤnen See-
len glaubt. Die Situation, worinn man unſern Hel-
den in wenigen Augenbliken ſehen wird, iſt vielleicht
eine von den delicateſten, in welche man in ſeinem
Leben kommen kan. Waͤre hier die Rede von ſolchen
phantaſierten Charactern, wie diejenige, welche aus dem
Gehirn der Verfaſſerin der geheimen Geſchichte von
Burgund
, und der Koͤnigin von Navarra hervor-
gegangen ſind, ſo wuͤrden wir uns kaum in einer klei-
nern Verlegenheit befinden, als Agathon ſelbſt, da er
mit pochendem Herzen und ſchwerathmender Bruſt dem
Sclaven folgte, der ihn ins Vorgemach einer Unbe-
kannten fuͤhrte, von der er faſt mit gleicher Heftigkeit
wuͤnſchte und fuͤrchtete, daß es Danae ſeyn moͤchte.
Allein da Agathon und Danae ſo gut hiſtoriſche Per-
ſonen ſind als Brutus, Portia, und hundert andre,
welche darum nicht weniger exiſtiert haben, weil ſie
nicht gerade ſo dachten, und handelten wie gewoͤhnliche
Leute: So bekuͤmmern wir uns wenig, wie dieſer Aga-

thon
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[342/0344] Agathon. wol ſey. Dem ungeachtet bezeugte er ein ſo ungedul- diges Verlangen, die Dame des Hauſes zu ſehen, daß Critolaus aus allem was er an ihm wahrnahm, zu muthmaſſen anfieng, daß irgend ein Geheimniß darun- ter verborgen feyn muͤſſe, deſſen Entwiklung er begierig erwartete. Jnzwiſchen kam der Sclave, den ſie abge- ſchikt hatten, ſie bey ſeiner Gebieterin zu melden, mit der Antwort zuruͤk, daß er Beſehl habe ſie in ihr Zim- mer zufuͤhren. Und hier iſt es, wo wir mehr als jemals zu wuͤnſchen verſucht ſind, daß dieſes Buch von niemand geleſen werden moͤchte, der keine ſchoͤnen See- len glaubt. Die Situation, worinn man unſern Hel- den in wenigen Augenbliken ſehen wird, iſt vielleicht eine von den delicateſten, in welche man in ſeinem Leben kommen kan. Waͤre hier die Rede von ſolchen phantaſierten Charactern, wie diejenige, welche aus dem Gehirn der Verfaſſerin der geheimen Geſchichte von Burgund, und der Koͤnigin von Navarra hervor- gegangen ſind, ſo wuͤrden wir uns kaum in einer klei- nern Verlegenheit befinden, als Agathon ſelbſt, da er mit pochendem Herzen und ſchwerathmender Bruſt dem Sclaven folgte, der ihn ins Vorgemach einer Unbe- kannten fuͤhrte, von der er faſt mit gleicher Heftigkeit wuͤnſchte und fuͤrchtete, daß es Danae ſeyn moͤchte. Allein da Agathon und Danae ſo gut hiſtoriſche Per- ſonen ſind als Brutus, Portia, und hundert andre, welche darum nicht weniger exiſtiert haben, weil ſie nicht gerade ſo dachten, und handelten wie gewoͤhnliche Leute: So bekuͤmmern wir uns wenig, wie dieſer Aga- thon

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/344>, abgerufen am 23.11.2024.