Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Eilftes Buch, viertes Capitel.
wesen wäre. Er trug seinen Freund auf den Sopha,
auf welchen sich Danae neben ihn hinwarf, und da er
nun schon genug wußte, um zu sehen, daß er hier wei-
ter nichts helfen konnte, so entfernte er sich unver-
merkt weit genug, um unsre Liebenden von dem Zwang
einer Zurükhaltung zu entledigen, welche in so sonder-
baren Augenbliken ein grösseres Uebel ist, als die un-
empfindlichen Leute sich vorstellen können. Allmählich
bekam Agathon, an der Seite der gefühlvollen Danae,
und von einem ihrer schönen Arme umschlungen, das
Vermögen zu athmen wieder; sein Gestcht ruhte an
ihrem Busen, und die Thränen, welche ihn zu benezen
anfiengen, waren das erste, was ihr seine wiederkeh-
rende Empfindung anzeigte. Jhre erste Bewegung war,
sich von ihm zurükzuziehen; aber ihr Herz versagte ihr
die Kraft dazu; es sagte ihr, was in dem seinigen vor-
gieng, und sie hatte den Muth nicht, ihm eine Lind-
rung zu entziehen, welche er so nöthig zu haben schien,
und in der That nöthig hatte. Allein in wenigen Augen-
bliken machte er sich selbst den Vorwurf, daß er einer
so grossen Gütigkeit unwürdig sey -- er rafte sich auf,
warf sich zu ihren Füssen, umfaßte ihre Knie mit einer
Empfindung, welche mit Worten nicht ausgedrükt wer-
den kann, versuchte es sie anzusehen, und sank, weil er
ihren Anblik nicht auszuhalten vermochte, mit Thränen
beschwemmtem Gesicht, auf ihren Schooß nieder. Danae
konnte nun nicht zweifeln, daß sie geliebt werde, und
es kostete sie, die Entzükung zurükzuhalten, worinn sie
durch diese Gewißheit gesezt wurde; aber es war noth-

wendig,
Y 5

Eilftes Buch, viertes Capitel.
weſen waͤre. Er trug ſeinen Freund auf den Sopha,
auf welchen ſich Danae neben ihn hinwarf, und da er
nun ſchon genug wußte, um zu ſehen, daß er hier wei-
ter nichts helfen konnte, ſo entfernte er ſich unver-
merkt weit genug, um unſre Liebenden von dem Zwang
einer Zuruͤkhaltung zu entledigen, welche in ſo ſonder-
baren Augenbliken ein groͤſſeres Uebel iſt, als die un-
empfindlichen Leute ſich vorſtellen koͤnnen. Allmaͤhlich
bekam Agathon, an der Seite der gefuͤhlvollen Danae,
und von einem ihrer ſchoͤnen Arme umſchlungen, das
Vermoͤgen zu athmen wieder; ſein Geſtcht ruhte an
ihrem Buſen, und die Thraͤnen, welche ihn zu benezen
anfiengen, waren das erſte, was ihr ſeine wiederkeh-
rende Empfindung anzeigte. Jhre erſte Bewegung war,
ſich von ihm zuruͤkzuziehen; aber ihr Herz verſagte ihr
die Kraft dazu; es ſagte ihr, was in dem ſeinigen vor-
gieng, und ſie hatte den Muth nicht, ihm eine Lind-
rung zu entziehen, welche er ſo noͤthig zu haben ſchien,
und in der That noͤthig hatte. Allein in wenigen Augen-
bliken machte er ſich ſelbſt den Vorwurf, daß er einer
ſo groſſen Guͤtigkeit unwuͤrdig ſey ‒‒ er rafte ſich auf,
warf ſich zu ihren Fuͤſſen, umfaßte ihre Knie mit einer
Empfindung, welche mit Worten nicht ausgedruͤkt wer-
den kann, verſuchte es ſie anzuſehen, und ſank, weil er
ihren Anblik nicht auszuhalten vermochte, mit Thraͤnen
beſchwemmtem Geſicht, auf ihren Schooß nieder. Danae
konnte nun nicht zweifeln, daß ſie geliebt werde, und
es koſtete ſie, die Entzuͤkung zuruͤkzuhalten, worinn ſie
durch dieſe Gewißheit geſezt wurde; aber es war noth-

wendig,
Y 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0347" n="345"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Eilftes Buch, viertes Capitel.</hi></fw><lb/>
we&#x017F;en wa&#x0364;re. Er trug &#x017F;einen Freund auf den Sopha,<lb/>
auf welchen &#x017F;ich Danae neben ihn hinwarf, und da er<lb/>
nun &#x017F;chon genug wußte, um zu &#x017F;ehen, daß er hier wei-<lb/>
ter nichts helfen konnte, &#x017F;o entfernte er &#x017F;ich unver-<lb/>
merkt weit genug, um un&#x017F;re Liebenden von dem Zwang<lb/>
einer Zuru&#x0364;khaltung zu entledigen, welche in &#x017F;o &#x017F;onder-<lb/>
baren Augenbliken ein gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;eres Uebel i&#x017F;t, als die un-<lb/>
empfindlichen Leute &#x017F;ich vor&#x017F;tellen ko&#x0364;nnen. Allma&#x0364;hlich<lb/>
bekam Agathon, an der Seite der gefu&#x0364;hlvollen Danae,<lb/>
und von einem ihrer &#x017F;cho&#x0364;nen Arme um&#x017F;chlungen, das<lb/>
Vermo&#x0364;gen zu athmen wieder; &#x017F;ein Ge&#x017F;tcht ruhte an<lb/>
ihrem Bu&#x017F;en, und die Thra&#x0364;nen, welche ihn zu benezen<lb/>
anfiengen, waren das er&#x017F;te, was ihr &#x017F;eine wiederkeh-<lb/>
rende Empfindung anzeigte. Jhre er&#x017F;te Bewegung war,<lb/>
&#x017F;ich von ihm zuru&#x0364;kzuziehen; aber ihr Herz ver&#x017F;agte ihr<lb/>
die Kraft dazu; es &#x017F;agte ihr, was in dem &#x017F;einigen vor-<lb/>
gieng, und &#x017F;ie hatte den Muth nicht, ihm eine Lind-<lb/>
rung zu entziehen, welche er &#x017F;o no&#x0364;thig zu haben &#x017F;chien,<lb/>
und in der That no&#x0364;thig hatte. Allein in wenigen Augen-<lb/>
bliken machte er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t den Vorwurf, daß er einer<lb/>
&#x017F;o gro&#x017F;&#x017F;en Gu&#x0364;tigkeit unwu&#x0364;rdig &#x017F;ey &#x2012;&#x2012; er rafte &#x017F;ich auf,<lb/>
warf &#x017F;ich zu ihren Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, umfaßte ihre Knie mit einer<lb/>
Empfindung, welche mit Worten nicht ausgedru&#x0364;kt wer-<lb/>
den kann, ver&#x017F;uchte es &#x017F;ie anzu&#x017F;ehen, und &#x017F;ank, weil er<lb/>
ihren Anblik nicht auszuhalten vermochte, mit Thra&#x0364;nen<lb/>
be&#x017F;chwemmtem Ge&#x017F;icht, auf ihren Schooß nieder. Danae<lb/>
konnte nun nicht zweifeln, daß &#x017F;ie geliebt werde, und<lb/>
es ko&#x017F;tete &#x017F;ie, die Entzu&#x0364;kung zuru&#x0364;kzuhalten, worinn &#x017F;ie<lb/>
durch die&#x017F;e Gewißheit ge&#x017F;ezt wurde; aber es war noth-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Y 5</fw><fw place="bottom" type="catch">wendig,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[345/0347] Eilftes Buch, viertes Capitel. weſen waͤre. Er trug ſeinen Freund auf den Sopha, auf welchen ſich Danae neben ihn hinwarf, und da er nun ſchon genug wußte, um zu ſehen, daß er hier wei- ter nichts helfen konnte, ſo entfernte er ſich unver- merkt weit genug, um unſre Liebenden von dem Zwang einer Zuruͤkhaltung zu entledigen, welche in ſo ſonder- baren Augenbliken ein groͤſſeres Uebel iſt, als die un- empfindlichen Leute ſich vorſtellen koͤnnen. Allmaͤhlich bekam Agathon, an der Seite der gefuͤhlvollen Danae, und von einem ihrer ſchoͤnen Arme umſchlungen, das Vermoͤgen zu athmen wieder; ſein Geſtcht ruhte an ihrem Buſen, und die Thraͤnen, welche ihn zu benezen anfiengen, waren das erſte, was ihr ſeine wiederkeh- rende Empfindung anzeigte. Jhre erſte Bewegung war, ſich von ihm zuruͤkzuziehen; aber ihr Herz verſagte ihr die Kraft dazu; es ſagte ihr, was in dem ſeinigen vor- gieng, und ſie hatte den Muth nicht, ihm eine Lind- rung zu entziehen, welche er ſo noͤthig zu haben ſchien, und in der That noͤthig hatte. Allein in wenigen Augen- bliken machte er ſich ſelbſt den Vorwurf, daß er einer ſo groſſen Guͤtigkeit unwuͤrdig ſey ‒‒ er rafte ſich auf, warf ſich zu ihren Fuͤſſen, umfaßte ihre Knie mit einer Empfindung, welche mit Worten nicht ausgedruͤkt wer- den kann, verſuchte es ſie anzuſehen, und ſank, weil er ihren Anblik nicht auszuhalten vermochte, mit Thraͤnen beſchwemmtem Geſicht, auf ihren Schooß nieder. Danae konnte nun nicht zweifeln, daß ſie geliebt werde, und es koſtete ſie, die Entzuͤkung zuruͤkzuhalten, worinn ſie durch dieſe Gewißheit geſezt wurde; aber es war noth- wendig, Y 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/347
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/347>, abgerufen am 22.11.2024.