Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Agathon.
mit so schnödem Undank erwiedern? Einer Geliebten,
in dem Augenblik, da sie in die getreue Arme eines
Freundes zurük zu eilen glaubt, einen Dolch in diesen
Busen stossen, welcher sich von Zärtlichkeit überwallend
an den seinigen drüken will? -- in der That, eine
rührende Vorstellung; und wie viel mehr wurde sie es
noch durch die unvermerkt sich einschleichende Erinnerung,
was für ein Busen das war! -- Sie verlassen;
sich heimlich von ihr hinweg stehlen -- würde sie
den Tod von seiner Hand, in Vergleichung mit einer
solchen Grausamkeit, nicht als eine Wohlthat angenom-
men haben? So würde es ihm gewesen seyn, wenn er
sich an ihren Plaz sezte; und das thut die Leidenschaft
allezeit, wenn sie ihren Vortheil dabey findet.

Allen diesen zärtlichen Bildern stellte sein gefaßter Ent-
schluß zwar die Gründe, welche wir kennen, entgegen:
Aber diese Gründe hatten von dem Augenblik an, da
sich sein Herz wieder auf die Seite der schönen Feindin
seiner Tugend neigte, die Hälfte von ihrer Stärke ver-
lohren. Die Gefahr war dringend: jede Minute war,
so zu sagen, entscheidend. Denn die Wiederkunft der
Danae war ungewiß; und es ist nicht zu zweifeln, daß
sie, wofern sie noch zu rechter Zeit angelangt wäre,
Mittel gefunden hätte, alle die widrigen Eindrüke der
Verrätherey des Sophisten aus einem Herzen, welches
so viel Vortheil dabey hatte sie unschuldig zu finden,
auszulöschen.

Ein

Agathon.
mit ſo ſchnoͤdem Undank erwiedern? Einer Geliebten,
in dem Augenblik, da ſie in die getreue Arme eines
Freundes zuruͤk zu eilen glaubt, einen Dolch in dieſen
Buſen ſtoſſen, welcher ſich von Zaͤrtlichkeit uͤberwallend
an den ſeinigen druͤken will? — in der That, eine
ruͤhrende Vorſtellung; und wie viel mehr wurde ſie es
noch durch die unvermerkt ſich einſchleichende Erinnerung,
was fuͤr ein Buſen das war! — Sie verlaſſen;
ſich heimlich von ihr hinweg ſtehlen — wuͤrde ſie
den Tod von ſeiner Hand, in Vergleichung mit einer
ſolchen Grauſamkeit, nicht als eine Wohlthat angenom-
men haben? So wuͤrde es ihm geweſen ſeyn, wenn er
ſich an ihren Plaz ſezte; und das thut die Leidenſchaft
allezeit, wenn ſie ihren Vortheil dabey findet.

Allen dieſen zaͤrtlichen Bildern ſtellte ſein gefaßter Ent-
ſchluß zwar die Gruͤnde, welche wir kennen, entgegen:
Aber dieſe Gruͤnde hatten von dem Augenblik an, da
ſich ſein Herz wieder auf die Seite der ſchoͤnen Feindin
ſeiner Tugend neigte, die Haͤlfte von ihrer Staͤrke ver-
lohren. Die Gefahr war dringend: jede Minute war,
ſo zu ſagen, entſcheidend. Denn die Wiederkunft der
Danae war ungewiß; und es iſt nicht zu zweifeln, daß
ſie, wofern ſie noch zu rechter Zeit angelangt waͤre,
Mittel gefunden haͤtte, alle die widrigen Eindruͤke der
Verraͤtherey des Sophiſten aus einem Herzen, welches
ſo viel Vortheil dabey hatte ſie unſchuldig zu finden,
auszuloͤſchen.

Ein
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0052" n="50"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Agathon.</hi></hi></fw><lb/>
mit &#x017F;o &#x017F;chno&#x0364;dem Undank erwiedern? Einer Geliebten,<lb/>
in dem Augenblik, da &#x017F;ie in die getreue Arme eines<lb/>
Freundes zuru&#x0364;k zu eilen glaubt, einen Dolch in die&#x017F;en<lb/>
Bu&#x017F;en &#x017F;to&#x017F;&#x017F;en, welcher &#x017F;ich von Za&#x0364;rtlichkeit u&#x0364;berwallend<lb/>
an den &#x017F;einigen dru&#x0364;ken will? &#x2014; in der That, eine<lb/>
ru&#x0364;hrende Vor&#x017F;tellung; und wie viel mehr wurde &#x017F;ie es<lb/>
noch durch die unvermerkt &#x017F;ich ein&#x017F;chleichende Erinnerung,<lb/>
was fu&#x0364;r ein Bu&#x017F;en das war! &#x2014; Sie verla&#x017F;&#x017F;en;<lb/>
&#x017F;ich heimlich von ihr hinweg &#x017F;tehlen &#x2014; wu&#x0364;rde &#x017F;ie<lb/>
den Tod von &#x017F;einer Hand, in Vergleichung mit einer<lb/>
&#x017F;olchen Grau&#x017F;amkeit, nicht als eine Wohlthat angenom-<lb/>
men haben? So wu&#x0364;rde es ihm gewe&#x017F;en &#x017F;eyn, wenn er<lb/>
&#x017F;ich an ihren Plaz &#x017F;ezte; und das thut die Leiden&#x017F;chaft<lb/>
allezeit, wenn &#x017F;ie ihren Vortheil dabey findet.</p><lb/>
            <p>Allen die&#x017F;en za&#x0364;rtlichen Bildern &#x017F;tellte &#x017F;ein gefaßter Ent-<lb/>
&#x017F;chluß zwar die Gru&#x0364;nde, welche wir kennen, entgegen:<lb/>
Aber die&#x017F;e Gru&#x0364;nde hatten von dem Augenblik an, da<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;ein Herz wieder auf die Seite der &#x017F;cho&#x0364;nen Feindin<lb/>
&#x017F;einer Tugend neigte, die Ha&#x0364;lfte von ihrer Sta&#x0364;rke ver-<lb/>
lohren. Die Gefahr war dringend: jede Minute war,<lb/>
&#x017F;o zu &#x017F;agen, ent&#x017F;cheidend. Denn die Wiederkunft der<lb/>
Danae war ungewiß; und es i&#x017F;t nicht zu zweifeln, daß<lb/>
&#x017F;ie, wofern &#x017F;ie noch zu rechter Zeit angelangt wa&#x0364;re,<lb/>
Mittel gefunden ha&#x0364;tte, alle die widrigen Eindru&#x0364;ke der<lb/>
Verra&#x0364;therey des Sophi&#x017F;ten aus einem Herzen, welches<lb/>
&#x017F;o viel Vortheil dabey hatte &#x017F;ie un&#x017F;chuldig zu finden,<lb/>
auszulo&#x0364;&#x017F;chen.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Ein</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0052] Agathon. mit ſo ſchnoͤdem Undank erwiedern? Einer Geliebten, in dem Augenblik, da ſie in die getreue Arme eines Freundes zuruͤk zu eilen glaubt, einen Dolch in dieſen Buſen ſtoſſen, welcher ſich von Zaͤrtlichkeit uͤberwallend an den ſeinigen druͤken will? — in der That, eine ruͤhrende Vorſtellung; und wie viel mehr wurde ſie es noch durch die unvermerkt ſich einſchleichende Erinnerung, was fuͤr ein Buſen das war! — Sie verlaſſen; ſich heimlich von ihr hinweg ſtehlen — wuͤrde ſie den Tod von ſeiner Hand, in Vergleichung mit einer ſolchen Grauſamkeit, nicht als eine Wohlthat angenom- men haben? So wuͤrde es ihm geweſen ſeyn, wenn er ſich an ihren Plaz ſezte; und das thut die Leidenſchaft allezeit, wenn ſie ihren Vortheil dabey findet. Allen dieſen zaͤrtlichen Bildern ſtellte ſein gefaßter Ent- ſchluß zwar die Gruͤnde, welche wir kennen, entgegen: Aber dieſe Gruͤnde hatten von dem Augenblik an, da ſich ſein Herz wieder auf die Seite der ſchoͤnen Feindin ſeiner Tugend neigte, die Haͤlfte von ihrer Staͤrke ver- lohren. Die Gefahr war dringend: jede Minute war, ſo zu ſagen, entſcheidend. Denn die Wiederkunft der Danae war ungewiß; und es iſt nicht zu zweifeln, daß ſie, wofern ſie noch zu rechter Zeit angelangt waͤre, Mittel gefunden haͤtte, alle die widrigen Eindruͤke der Verraͤtherey des Sophiſten aus einem Herzen, welches ſo viel Vortheil dabey hatte ſie unſchuldig zu finden, auszuloͤſchen. Ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/52
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/52>, abgerufen am 22.11.2024.