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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Achtes Buch, sechstes Capitel.
gendhafte Begierde, in einem weiten Umfang gutes zu
thun, war, deren gehoffete Befriedigung ihm diesen
Vorschmak des göttlichsten Vergnügens gab, dessen die
menschliche Natur fähig ist. Seine Erfahrungen, so
viel sie ihn auch gekostet hatten, schienen ihm izt nicht zu
theuer erkauft, da er dadurch desto tüchtiger zu seyn hofte,
die Klippen zu vermeiden, an denen die Klugheit oder
die Tugend derjenigen zu scheitern pflegt, welche sich
den öffentlichen Angelegenheiten unterziehen. Er sezte
sich fest vor, sich durch keine zweyte Danae mehr irre
machen zu lassen. Er glaubte sich in diesem Stüke desto
besser auf sich selbst verlassen zu können, da er stark ge-
nug gewesen war, sich von der ersten loszureissen, und
es mit gutem Fug für unmöglich halten konnte, je-
mals auf eine noch gefährlichere Probe gesezt zu wer-
den. Ohne Ehrgeiz, ohne Habsucht, immer wachsam auf
die schwache Seite seines Herzens, die er kennen gelernt
hatte, dachte er nicht, daß er von andern Leidenschaf-
ten, welche vielleicht noch in seinem Busen schlum-
merten, etwas zu besorgen haben könne. Keine übel-
weissagende Besorgnisse störten ihn in dem unvermisch-
ten Genusse seiner Hoffnungen; sie beschäftigten ihn
wachend und selbst in Träumen; sie waren der vor-
nehmste Jnhalt seiner Gespräche mit dem Syracusischen
Kaufmanne, sie machten ihm die Beschwerden der
Reise unmerklich, und entschädigten ihn überflüssig für
den Verlust der ehemals geliebten Danae; einen Verlust
der mit jedem neuen Morgen kleiner in seinen Augen
wurde; und so führten ihn günstige Winde und ein ge-

schikter
E 2

Achtes Buch, ſechstes Capitel.
gendhafte Begierde, in einem weiten Umfang gutes zu
thun, war, deren gehoffete Befriedigung ihm dieſen
Vorſchmak des goͤttlichſten Vergnuͤgens gab, deſſen die
menſchliche Natur faͤhig iſt. Seine Erfahrungen, ſo
viel ſie ihn auch gekoſtet hatten, ſchienen ihm izt nicht zu
theuer erkauft, da er dadurch deſto tuͤchtiger zu ſeyn hofte,
die Klippen zu vermeiden, an denen die Klugheit oder
die Tugend derjenigen zu ſcheitern pflegt, welche ſich
den oͤffentlichen Angelegenheiten unterziehen. Er ſezte
ſich feſt vor, ſich durch keine zweyte Danae mehr irre
machen zu laſſen. Er glaubte ſich in dieſem Stuͤke deſto
beſſer auf ſich ſelbſt verlaſſen zu koͤnnen, da er ſtark ge-
nug geweſen war, ſich von der erſten loszureiſſen, und
es mit gutem Fug fuͤr unmoͤglich halten konnte, je-
mals auf eine noch gefaͤhrlichere Probe geſezt zu wer-
den. Ohne Ehrgeiz, ohne Habſucht, immer wachſam auf
die ſchwache Seite ſeines Herzens, die er kennen gelernt
hatte, dachte er nicht, daß er von andern Leidenſchaf-
ten, welche vielleicht noch in ſeinem Buſen ſchlum-
merten, etwas zu beſorgen haben koͤnne. Keine uͤbel-
weiſſagende Beſorgniſſe ſtoͤrten ihn in dem unvermiſch-
ten Genuſſe ſeiner Hoffnungen; ſie beſchaͤftigten ihn
wachend und ſelbſt in Traͤumen; ſie waren der vor-
nehmſte Jnhalt ſeiner Geſpraͤche mit dem Syracuſiſchen
Kaufmanne, ſie machten ihm die Beſchwerden der
Reiſe unmerklich, und entſchaͤdigten ihn uͤberfluͤſſig fuͤr
den Verluſt der ehemals geliebten Danae; einen Verluſt
der mit jedem neuen Morgen kleiner in ſeinen Augen
wurde; und ſo fuͤhrten ihn guͤnſtige Winde und ein ge-

ſchikter
E 2
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[67/0069] Achtes Buch, ſechstes Capitel. gendhafte Begierde, in einem weiten Umfang gutes zu thun, war, deren gehoffete Befriedigung ihm dieſen Vorſchmak des goͤttlichſten Vergnuͤgens gab, deſſen die menſchliche Natur faͤhig iſt. Seine Erfahrungen, ſo viel ſie ihn auch gekoſtet hatten, ſchienen ihm izt nicht zu theuer erkauft, da er dadurch deſto tuͤchtiger zu ſeyn hofte, die Klippen zu vermeiden, an denen die Klugheit oder die Tugend derjenigen zu ſcheitern pflegt, welche ſich den oͤffentlichen Angelegenheiten unterziehen. Er ſezte ſich feſt vor, ſich durch keine zweyte Danae mehr irre machen zu laſſen. Er glaubte ſich in dieſem Stuͤke deſto beſſer auf ſich ſelbſt verlaſſen zu koͤnnen, da er ſtark ge- nug geweſen war, ſich von der erſten loszureiſſen, und es mit gutem Fug fuͤr unmoͤglich halten konnte, je- mals auf eine noch gefaͤhrlichere Probe geſezt zu wer- den. Ohne Ehrgeiz, ohne Habſucht, immer wachſam auf die ſchwache Seite ſeines Herzens, die er kennen gelernt hatte, dachte er nicht, daß er von andern Leidenſchaf- ten, welche vielleicht noch in ſeinem Buſen ſchlum- merten, etwas zu beſorgen haben koͤnne. Keine uͤbel- weiſſagende Beſorgniſſe ſtoͤrten ihn in dem unvermiſch- ten Genuſſe ſeiner Hoffnungen; ſie beſchaͤftigten ihn wachend und ſelbſt in Traͤumen; ſie waren der vor- nehmſte Jnhalt ſeiner Geſpraͤche mit dem Syracuſiſchen Kaufmanne, ſie machten ihm die Beſchwerden der Reiſe unmerklich, und entſchaͤdigten ihn uͤberfluͤſſig fuͤr den Verluſt der ehemals geliebten Danae; einen Verluſt der mit jedem neuen Morgen kleiner in ſeinen Augen wurde; und ſo fuͤhrten ihn guͤnſtige Winde und ein ge- ſchikter E 2

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/69>, abgerufen am 22.11.2024.