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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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54.
Alfonso nannt' er sich, bevor er aus den wogen
Der welt geborgen ward, und Leon war das land
Das ihn gebahr. Zum fürstendienst erzogen,
Lief er mit tausenden, vom schein wie sie betrogen,
Dem blendwerk nach, das immer vor der hand
Ihm schwebt, und immer im ergreiffen ihm entschwand,
Dem schimmernden gespenst, das ewig opfer heischet,
Und, gleich dem stein der Narr'n, die hofnung ewig täuschet.
55.
Und als er dergestalt des Lebens beste zeit
Im rausch des selbstbetrugs an Könige verpfändet,
Und gut und blut, mit feur'ger willigkeit
Und unerkannter treu, in ihrem dienst verschwendet:
Sah er ganz unverhoft, im schönsten morgenroth
Der gunst, durch schnellen fall sich frey von seinen ketten;
Noch glüklich, aus der schifbruchsnoth
Das leben wenigstens auf einem Bret zu retten.
56.
In diesem sturm, der alles ihm geraubt,
Blieb ihm ein schaz, wodurch (ganz gegen hofes sitte)
Alfonso sich vollkommen schadlos glaubt,
Ein liebend weib, ein freund, und eine hütte.
Laß, Himmel, diese mir, war nun die einz'ge bitte
Die sein befriedigt herz zu wagen sich erlaubt.
Zehn jahre lang ward ihm was er sich bat gegeben.
Allein, sein schiksal war auch dies zu überleben.
57. Drey
54.
Alfonſo nannt' er ſich, bevor er aus den wogen
Der welt geborgen ward, und Leon war das land
Das ihn gebahr. Zum fuͤrſtendienſt erzogen,
Lief er mit tauſenden, vom ſchein wie ſie betrogen,
Dem blendwerk nach, das immer vor der hand
Ihm ſchwebt, und immer im ergreiffen ihm entſchwand,
Dem ſchimmernden geſpenſt, das ewig opfer heiſchet,
Und, gleich dem ſtein der Narr'n, die hofnung ewig taͤuſchet.
55.
Und als er dergeſtalt des Lebens beſte zeit
Im rauſch des ſelbſtbetrugs an Koͤnige verpfaͤndet,
Und gut und blut, mit feur'ger willigkeit
Und unerkannter treu, in ihrem dienſt verſchwendet:
Sah er ganz unverhoft, im ſchoͤnſten morgenroth
Der gunſt, durch ſchnellen fall ſich frey von ſeinen ketten;
Noch gluͤklich, aus der ſchifbruchsnoth
Das leben wenigſtens auf einem Bret zu retten.
56.
In dieſem ſturm, der alles ihm geraubt,
Blieb ihm ein ſchaz, wodurch (ganz gegen hofes ſitte)
Alfonſo ſich vollkommen ſchadlos glaubt,
Ein liebend weib, ein freund, und eine huͤtte.
Laß, Himmel, dieſe mir, war nun die einz'ge bitte
Die ſein befriedigt herz zu wagen ſich erlaubt.
Zehn jahre lang ward ihm was er ſich bat gegeben.
Allein, ſein ſchikſal war auch dies zu uͤberleben.
57. Drey
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[0202] 54. Alfonſo nannt' er ſich, bevor er aus den wogen Der welt geborgen ward, und Leon war das land Das ihn gebahr. Zum fuͤrſtendienſt erzogen, Lief er mit tauſenden, vom ſchein wie ſie betrogen, Dem blendwerk nach, das immer vor der hand Ihm ſchwebt, und immer im ergreiffen ihm entſchwand, Dem ſchimmernden geſpenſt, das ewig opfer heiſchet, Und, gleich dem ſtein der Narr'n, die hofnung ewig taͤuſchet. 55. Und als er dergeſtalt des Lebens beſte zeit Im rauſch des ſelbſtbetrugs an Koͤnige verpfaͤndet, Und gut und blut, mit feur'ger willigkeit Und unerkannter treu, in ihrem dienſt verſchwendet: Sah er ganz unverhoft, im ſchoͤnſten morgenroth Der gunſt, durch ſchnellen fall ſich frey von ſeinen ketten; Noch gluͤklich, aus der ſchifbruchsnoth Das leben wenigſtens auf einem Bret zu retten. 56. In dieſem ſturm, der alles ihm geraubt, Blieb ihm ein ſchaz, wodurch (ganz gegen hofes ſitte) Alfonſo ſich vollkommen ſchadlos glaubt, Ein liebend weib, ein freund, und eine huͤtte. Laß, Himmel, dieſe mir, war nun die einz'ge bitte Die ſein befriedigt herz zu wagen ſich erlaubt. Zehn jahre lang ward ihm was er ſich bat gegeben. Allein, ſein ſchikſal war auch dies zu uͤberleben. 57. Drey

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/202>, abgerufen am 16.05.2024.