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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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17.
Er sezt sich vor die thür auf eine bank von stein,
Um, müde wie er ist und schwach von langem fasten,
Im schatten da ein wenig auszurasten,
Und eine Sclavin bringt ihm etwas brod und wein.
Sie sieht dem Mann im braunen pilgerkleide
Erstaunt ins aug', und Er der Sclavin ebenfalls,
Und, sich mit einem schrey des schreckens und der freude
Erkennend, fallen sie einander um den hals.
18.
Bist du es, Fatme, ruft an ihrer nassen wange
Der Pilger freudig aus; ist möglich? -- Ach! schon lange
Ließ Scherasmin die hoffnung sich vergehn --
Ists möglich daß wir uns zu Tunis wiedersehn?
Was für ein wind hat euch in diese Heydenlande
Verweht? Und wo ist Hüon und Amande?
Ach, Scherasmin, schreyt Fatme laut, und bricht
In thränen aus -- Sie sind -- Ich Arme! -- Frage nicht!
19.
Was sagst du, ruft der Alte, -- Gott verhüte!
Was sind sie? Sprich! -- "Ach Scherasmin, sie sind" --
Mehr bringt sie nicht heraus! Das stockende geblüte
Erstikt die red' in ihrer brust -- Sie sind? --
O Gott! schluchzt Scherasmin, und weinet wie ein kind
An Fatmens hals -- In ihrer vollen blüthe!
Es ist zu hart! Allein mir schwahnte lang vorher
Nichts gutes! Fatme -- ach! die Probe war zu schwer!
20. So-
17.
Er ſezt ſich vor die thuͤr auf eine bank von ſtein,
Um, muͤde wie er iſt und ſchwach von langem faſten,
Im ſchatten da ein wenig auszuraſten,
Und eine Sclavin bringt ihm etwas brod und wein.
Sie ſieht dem Mann im braunen pilgerkleide
Erſtaunt ins aug', und Er der Sclavin ebenfalls,
Und, ſich mit einem ſchrey des ſchreckens und der freude
Erkennend, fallen ſie einander um den hals.
18.
Biſt du es, Fatme, ruft an ihrer naſſen wange
Der Pilger freudig aus; iſt moͤglich? — Ach! ſchon lange
Ließ Scherasmin die hoffnung ſich vergehn —
Iſts moͤglich daß wir uns zu Tunis wiederſehn?
Was fuͤr ein wind hat euch in dieſe Heydenlande
Verweht? Und wo iſt Huͤon und Amande?
Ach, Scherasmin, ſchreyt Fatme laut, und bricht
In thraͤnen aus — Sie ſind — Ich Arme! — Frage nicht!
19.
Was ſagſt du, ruft der Alte, — Gott verhuͤte!
Was ſind ſie? Sprich! — „Ach Scherasmin, ſie ſind“ —
Mehr bringt ſie nicht heraus! Das ſtockende gebluͤte
Erſtikt die red' in ihrer bruſt — Sie ſind? —
O Gott! ſchluchzt Scherasmin, und weinet wie ein kind
An Fatmens hals — In ihrer vollen bluͤthe!
Es iſt zu hart! Allein mir ſchwahnte lang vorher
Nichts gutes! Fatme — ach! die Probe war zu ſchwer!
20. So-
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[0230] 17. Er ſezt ſich vor die thuͤr auf eine bank von ſtein, Um, muͤde wie er iſt und ſchwach von langem faſten, Im ſchatten da ein wenig auszuraſten, Und eine Sclavin bringt ihm etwas brod und wein. Sie ſieht dem Mann im braunen pilgerkleide Erſtaunt ins aug', und Er der Sclavin ebenfalls, Und, ſich mit einem ſchrey des ſchreckens und der freude Erkennend, fallen ſie einander um den hals. 18. Biſt du es, Fatme, ruft an ihrer naſſen wange Der Pilger freudig aus; iſt moͤglich? — Ach! ſchon lange Ließ Scherasmin die hoffnung ſich vergehn — Iſts moͤglich daß wir uns zu Tunis wiederſehn? Was fuͤr ein wind hat euch in dieſe Heydenlande Verweht? Und wo iſt Huͤon und Amande? Ach, Scherasmin, ſchreyt Fatme laut, und bricht In thraͤnen aus — Sie ſind — Ich Arme! — Frage nicht! 19. Was ſagſt du, ruft der Alte, — Gott verhuͤte! Was ſind ſie? Sprich! — „Ach Scherasmin, ſie ſind“ — Mehr bringt ſie nicht heraus! Das ſtockende gebluͤte Erſtikt die red' in ihrer bruſt — Sie ſind? — O Gott! ſchluchzt Scherasmin, und weinet wie ein kind An Fatmens hals — In ihrer vollen bluͤthe! Es iſt zu hart! Allein mir ſchwahnte lang vorher Nichts gutes! Fatme — ach! die Probe war zu ſchwer! 20. So-

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/230>, abgerufen am 16.05.2024.