Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite
18.
Kaum ist der Held hineingegangen,
Indessen Scherasmin im hof die pferde hält,
So eilt die schöne magd den Ritter zu empfangen.
Mit schwarzen haaren, die ihr den rücken niederhangen,
Im langen weißen rock, der bis zur erde fällt,
Und den am leichtbedeckten busen
Ein goldnes band zusammenhält,
Schien sie wie ein modell zu Grazien oder Musen.
19.
Was für ein engel (spricht, indem sie seine hand
Nur kaum berührt, das Mädchen süßerröthend)
Was für ein engel, Herr, hat euch mir zugesandt?
Ich stund am fenster just, zur Heil'gen Jungfrau betend,
Als ihr erschient. Gewiß hat sie's gethan,
Und als von ihr geschickt nimmt Angela euch an;
Von ihr, die schon so oft sich meiner angenommen,
Zu hülfe mir gesandt, seyd tausendmal willkommen!
20.
Doch laßt uns nicht verziehn; denn jeder augenblick
Ist mir verhaßt, den wir in diesem kerker weilen.
Ich komme nicht, spricht Hüon, so zu eilen:
Wo ist der Ries'? -- O der, versezt sie, liegt, zum glück,
In tiefem schlaf; und wohl, daß ihr ihn so getroffen;
Denn, ist er wieder auferweckt,
Vergebens würdet ihr ihm anzusiegen hoffen,
Solang der zauberring an seinem finger steckt.
21. Je-
D 3
18.
Kaum iſt der Held hineingegangen,
Indeſſen Scherasmin im hof die pferde haͤlt,
So eilt die ſchoͤne magd den Ritter zu empfangen.
Mit ſchwarzen haaren, die ihr den ruͤcken niederhangen,
Im langen weißen rock, der bis zur erde faͤllt,
Und den am leichtbedeckten buſen
Ein goldnes band zuſammenhaͤlt,
Schien ſie wie ein modell zu Grazien oder Muſen.
19.
Was fuͤr ein engel (ſpricht, indem ſie ſeine hand
Nur kaum beruͤhrt, das Maͤdchen ſuͤßerroͤthend)
Was fuͤr ein engel, Herr, hat euch mir zugeſandt?
Ich ſtund am fenſter juſt, zur Heil'gen Jungfrau betend,
Als ihr erſchient. Gewiß hat ſie's gethan,
Und als von ihr geſchickt nimmt Angela euch an;
Von ihr, die ſchon ſo oft ſich meiner angenommen,
Zu huͤlfe mir geſandt, ſeyd tauſendmal willkommen!
20.
Doch laßt uns nicht verziehn; denn jeder augenblick
Iſt mir verhaßt, den wir in dieſem kerker weilen.
Ich komme nicht, ſpricht Huͤon, ſo zu eilen:
Wo iſt der Rieſ'? — O der, verſezt ſie, liegt, zum gluͤck,
In tiefem ſchlaf; und wohl, daß ihr ihn ſo getroffen;
Denn, iſt er wieder auferweckt,
Vergebens wuͤrdet ihr ihm anzuſiegen hoffen,
Solang der zauberring an ſeinem finger ſteckt.
21. Je-
D 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0059"/>
            <lg n="18">
              <head> <hi rendition="#c">18.</hi> </head><lb/>
              <l><hi rendition="#in">K</hi>aum i&#x017F;t der Held hineingegangen,</l><lb/>
              <l>Inde&#x017F;&#x017F;en Scherasmin im hof die pferde ha&#x0364;lt,</l><lb/>
              <l>So eilt die &#x017F;cho&#x0364;ne magd den Ritter zu empfangen.</l><lb/>
              <l>Mit &#x017F;chwarzen haaren, die ihr den ru&#x0364;cken niederhangen,</l><lb/>
              <l>Im langen weißen rock, der bis zur erde fa&#x0364;llt,</l><lb/>
              <l>Und den am leichtbedeckten bu&#x017F;en</l><lb/>
              <l>Ein goldnes band zu&#x017F;ammenha&#x0364;lt,</l><lb/>
              <l>Schien &#x017F;ie wie ein modell zu Grazien oder Mu&#x017F;en.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="19">
              <head> <hi rendition="#c">19.</hi> </head><lb/>
              <l><hi rendition="#in">W</hi>as fu&#x0364;r ein engel (&#x017F;pricht, indem &#x017F;ie &#x017F;eine hand</l><lb/>
              <l>Nur kaum beru&#x0364;hrt, das Ma&#x0364;dchen &#x017F;u&#x0364;ßerro&#x0364;thend)</l><lb/>
              <l>Was fu&#x0364;r ein engel, Herr, hat euch mir zuge&#x017F;andt?</l><lb/>
              <l>Ich &#x017F;tund am fen&#x017F;ter ju&#x017F;t, zur Heil'gen Jungfrau betend,</l><lb/>
              <l>Als ihr er&#x017F;chient. Gewiß hat &#x017F;ie's gethan,</l><lb/>
              <l>Und als von ihr ge&#x017F;chickt nimmt Angela euch an;</l><lb/>
              <l>Von ihr, die &#x017F;chon &#x017F;o oft &#x017F;ich meiner angenommen,</l><lb/>
              <l>Zu hu&#x0364;lfe mir ge&#x017F;andt, &#x017F;eyd tau&#x017F;endmal willkommen!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="20">
              <head> <hi rendition="#c">20.</hi> </head><lb/>
              <l><hi rendition="#in">D</hi>och laßt uns nicht verziehn; denn jeder augenblick</l><lb/>
              <l>I&#x017F;t mir verhaßt, den wir in die&#x017F;em kerker weilen.</l><lb/>
              <l>Ich komme nicht, &#x017F;pricht Hu&#x0364;on, &#x017F;o zu eilen:</l><lb/>
              <l>Wo i&#x017F;t der Rie&#x017F;'? &#x2014; O der, ver&#x017F;ezt &#x017F;ie, liegt, zum glu&#x0364;ck,</l><lb/>
              <l>In tiefem &#x017F;chlaf; und wohl, daß ihr ihn &#x017F;o getroffen;</l><lb/>
              <l>Denn, i&#x017F;t er wieder auferweckt,</l><lb/>
              <l>Vergebens wu&#x0364;rdet ihr ihm anzu&#x017F;iegen hoffen,</l><lb/>
              <l>Solang der zauberring an &#x017F;einem finger &#x017F;teckt.</l>
            </lg><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">D 3</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">21. Je-</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0059] 18. Kaum iſt der Held hineingegangen, Indeſſen Scherasmin im hof die pferde haͤlt, So eilt die ſchoͤne magd den Ritter zu empfangen. Mit ſchwarzen haaren, die ihr den ruͤcken niederhangen, Im langen weißen rock, der bis zur erde faͤllt, Und den am leichtbedeckten buſen Ein goldnes band zuſammenhaͤlt, Schien ſie wie ein modell zu Grazien oder Muſen. 19. Was fuͤr ein engel (ſpricht, indem ſie ſeine hand Nur kaum beruͤhrt, das Maͤdchen ſuͤßerroͤthend) Was fuͤr ein engel, Herr, hat euch mir zugeſandt? Ich ſtund am fenſter juſt, zur Heil'gen Jungfrau betend, Als ihr erſchient. Gewiß hat ſie's gethan, Und als von ihr geſchickt nimmt Angela euch an; Von ihr, die ſchon ſo oft ſich meiner angenommen, Zu huͤlfe mir geſandt, ſeyd tauſendmal willkommen! 20. Doch laßt uns nicht verziehn; denn jeder augenblick Iſt mir verhaßt, den wir in dieſem kerker weilen. Ich komme nicht, ſpricht Huͤon, ſo zu eilen: Wo iſt der Rieſ'? — O der, verſezt ſie, liegt, zum gluͤck, In tiefem ſchlaf; und wohl, daß ihr ihn ſo getroffen; Denn, iſt er wieder auferweckt, Vergebens wuͤrdet ihr ihm anzuſiegen hoffen, Solang der zauberring an ſeinem finger ſteckt. 21. Je- D 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/59
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/59>, abgerufen am 22.12.2024.