Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite
15.
Ein andermal, da ihr von einem abendschmaus
Nach haus zu gehen träumt, bey einem alten gaden
Vorbey -- auf einmal knarrt ein kleiner fensterladen,
Und eine Nase gukt heraus
So lang als euer arm: ihr sucht, halbstarr vor schrecken,
Ihr zu entliehn, und vorn und hinten stehn
Gespenster da, die ins gesicht euch sehn,
Und feu'rge zungen weit aus langen hälsen recken.
16.
Ihr drükt in todesangst euch seitwärts an die wand
Die gegenüber steht, und eine dürre hand
Fährt durch ein rundes loch euch eiskalt übern rücken,
Und bohrt ins wams sich ein, um euch ins herz zu zwicken.
Ein jedes haar auf euerm kopfe kehrt
Die spitz empor; zur flucht ist jeder weg verwehrt,
Die gasse wird zusehends immer enger,
Stets frostiger die Hand, die Nase immer länger.
17.
Dergleichen, wie gesagt, begegnet oft und viel,
Allein, am end ists doch ein bloßes possenspiel,
Das nachtgespenster sich in unserm schädel machen,
Die nase samt der angst verschwindet im erwachen.
Ich dächt' an euerm platz dem ding nicht weiter nach,
Und hielte mich an das, was mir der Zwerg versprach.
Frisch auf! Mir ahnet was! Es müßte enden,
Wenn wir die Dame nicht in Bagdad wiederfänden.
18. Bey
15.
Ein andermal, da ihr von einem abendſchmaus
Nach haus zu gehen traͤumt, bey einem alten gaden
Vorbey — auf einmal knarrt ein kleiner fenſterladen,
Und eine Naſe gukt heraus
So lang als euer arm: ihr ſucht, halbſtarr vor ſchrecken,
Ihr zu entliehn, und vorn und hinten ſtehn
Geſpenſter da, die ins geſicht euch ſehn,
Und feu'rge zungen weit aus langen haͤlſen recken.
16.
Ihr druͤkt in todesangſt euch ſeitwaͤrts an die wand
Die gegenuͤber ſteht, und eine duͤrre hand
Faͤhrt durch ein rundes loch euch eiskalt uͤbern ruͤcken,
Und bohrt ins wams ſich ein, um euch ins herz zu zwicken.
Ein jedes haar auf euerm kopfe kehrt
Die ſpitz empor; zur flucht iſt jeder weg verwehrt,
Die gaſſe wird zuſehends immer enger,
Stets froſtiger die Hand, die Naſe immer laͤnger.
17.
Dergleichen, wie geſagt, begegnet oft und viel,
Allein, am end iſts doch ein bloßes poſſenſpiel,
Das nachtgeſpenſter ſich in unſerm ſchaͤdel machen,
Die naſe ſamt der angſt verſchwindet im erwachen.
Ich daͤcht' an euerm platz dem ding nicht weiter nach,
Und hielte mich an das, was mir der Zwerg verſprach.
Friſch auf! Mir ahnet was! Es muͤßte enden,
Wenn wir die Dame nicht in Bagdad wiederfaͤnden.
18. Bey
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0081"/>
            <lg n="15">
              <head> <hi rendition="#c">15.</hi> </head><lb/>
              <l><hi rendition="#in">E</hi>in andermal, da ihr von einem abend&#x017F;chmaus</l><lb/>
              <l>Nach haus zu gehen tra&#x0364;umt, bey einem alten gaden</l><lb/>
              <l>Vorbey &#x2014; auf einmal knarrt ein kleiner fen&#x017F;terladen,</l><lb/>
              <l>Und eine Na&#x017F;e gukt heraus</l><lb/>
              <l>So lang als euer arm: ihr &#x017F;ucht, halb&#x017F;tarr vor &#x017F;chrecken,</l><lb/>
              <l>Ihr zu entliehn, und vorn und hinten &#x017F;tehn</l><lb/>
              <l>Ge&#x017F;pen&#x017F;ter da, die ins ge&#x017F;icht euch &#x017F;ehn,</l><lb/>
              <l>Und feu'rge zungen weit aus langen ha&#x0364;l&#x017F;en recken.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="16">
              <head> <hi rendition="#c">16.</hi> </head><lb/>
              <l><hi rendition="#in">I</hi>hr dru&#x0364;kt in todesang&#x017F;t euch &#x017F;eitwa&#x0364;rts an die wand</l><lb/>
              <l>Die gegenu&#x0364;ber &#x017F;teht, und eine du&#x0364;rre hand</l><lb/>
              <l>Fa&#x0364;hrt durch ein rundes loch euch eiskalt u&#x0364;bern ru&#x0364;cken,</l><lb/>
              <l>Und bohrt ins wams &#x017F;ich ein, um euch ins herz zu zwicken.</l><lb/>
              <l>Ein jedes haar auf euerm kopfe kehrt</l><lb/>
              <l>Die &#x017F;pitz empor; zur flucht i&#x017F;t jeder weg verwehrt,</l><lb/>
              <l>Die ga&#x017F;&#x017F;e wird zu&#x017F;ehends immer enger,</l><lb/>
              <l>Stets fro&#x017F;tiger die Hand, die Na&#x017F;e immer la&#x0364;nger.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="17">
              <head> <hi rendition="#c">17.</hi> </head><lb/>
              <l><hi rendition="#in">D</hi>ergleichen, wie ge&#x017F;agt, begegnet oft und viel,</l><lb/>
              <l>Allein, am end i&#x017F;ts doch ein bloßes po&#x017F;&#x017F;en&#x017F;piel,</l><lb/>
              <l>Das nachtge&#x017F;pen&#x017F;ter &#x017F;ich in un&#x017F;erm &#x017F;cha&#x0364;del machen,</l><lb/>
              <l>Die na&#x017F;e &#x017F;amt der ang&#x017F;t ver&#x017F;chwindet im erwachen.</l><lb/>
              <l>Ich da&#x0364;cht' an euerm platz dem ding nicht weiter nach,</l><lb/>
              <l>Und hielte mich an das, was mir der Zwerg ver&#x017F;prach.</l><lb/>
              <l>Fri&#x017F;ch auf! Mir ahnet was! Es mu&#x0364;ßte enden,</l><lb/>
              <l>Wenn wir die Dame nicht in Bagdad wiederfa&#x0364;nden.</l>
            </lg><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">18. Bey</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0081] 15. Ein andermal, da ihr von einem abendſchmaus Nach haus zu gehen traͤumt, bey einem alten gaden Vorbey — auf einmal knarrt ein kleiner fenſterladen, Und eine Naſe gukt heraus So lang als euer arm: ihr ſucht, halbſtarr vor ſchrecken, Ihr zu entliehn, und vorn und hinten ſtehn Geſpenſter da, die ins geſicht euch ſehn, Und feu'rge zungen weit aus langen haͤlſen recken. 16. Ihr druͤkt in todesangſt euch ſeitwaͤrts an die wand Die gegenuͤber ſteht, und eine duͤrre hand Faͤhrt durch ein rundes loch euch eiskalt uͤbern ruͤcken, Und bohrt ins wams ſich ein, um euch ins herz zu zwicken. Ein jedes haar auf euerm kopfe kehrt Die ſpitz empor; zur flucht iſt jeder weg verwehrt, Die gaſſe wird zuſehends immer enger, Stets froſtiger die Hand, die Naſe immer laͤnger. 17. Dergleichen, wie geſagt, begegnet oft und viel, Allein, am end iſts doch ein bloßes poſſenſpiel, Das nachtgeſpenſter ſich in unſerm ſchaͤdel machen, Die naſe ſamt der angſt verſchwindet im erwachen. Ich daͤcht' an euerm platz dem ding nicht weiter nach, Und hielte mich an das, was mir der Zwerg verſprach. Friſch auf! Mir ahnet was! Es muͤßte enden, Wenn wir die Dame nicht in Bagdad wiederfaͤnden. 18. Bey

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/81
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/81>, abgerufen am 22.12.2024.