Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.42. Es wundert euch vielleicht, wie eine Frau, wie ich,Zu solchen dingen kömmt, die selbst dem Fürstenstamme Verborgen sind und sonsten männiglich? So wisset dann, ich bin die mutter von der Amme Der schönen Rezia, bey der sie alles gilt, Wiewol schon sechzehn volle Jahre Verflossen sind, seit Fatme sie gestillt; Nun merkt ihr leicht, woher ich manchmal was erfahre. 43. Man weiß, daß schon seit Jahren der Kalif,Auf seine Tochter stolz, nicht selten An Festen, die er gab, sie mit zur tafel rief, Wo schöner männer viel sich ihr vor augen stellten. Allein auch das weiß stadt und land, Daß keiner je vor ihr besonders gnade fand; Sie schien sie nicht sowohl mit mädchenhaftem grauen Als mit verachtung anzuschauen. 44. Indessen ward geglaubt, sie könne Babekan(So heißt der Prinz, den sich zum Tochtermann Der Sultan auserwählt) vor allen andern leiden. Nicht, daß beym kommen oder scheiden Das herz ihr höher schlug; ihn nicht mit fleiß zu meiden War wohl das höchste was er über sie gewann: Allein, sie war doch sonst von niemand eingenommen, Die liebe, dachte man, wird schon im Ehstand kommen. 45. Je-
42. Es wundert euch vielleicht, wie eine Frau, wie ich,Zu ſolchen dingen koͤmmt, die ſelbſt dem Fuͤrſtenſtamme Verborgen ſind und ſonſten maͤnniglich? So wiſſet dann, ich bin die mutter von der Amme Der ſchoͤnen Rezia, bey der ſie alles gilt, Wiewol ſchon ſechzehn volle Jahre Verfloſſen ſind, ſeit Fatme ſie geſtillt; Nun merkt ihr leicht, woher ich manchmal was erfahre. 43. Man weiß, daß ſchon ſeit Jahren der Kalif,Auf ſeine Tochter ſtolz, nicht ſelten An Feſten, die er gab, ſie mit zur tafel rief, Wo ſchoͤner maͤnner viel ſich ihr vor augen ſtellten. Allein auch das weiß ſtadt und land, Daß keiner je vor ihr beſonders gnade fand; Sie ſchien ſie nicht ſowohl mit maͤdchenhaftem grauen Als mit verachtung anzuſchauen. 44. Indeſſen ward geglaubt, ſie koͤnne Babekan(So heißt der Prinz, den ſich zum Tochtermann Der Sultan auserwaͤhlt) vor allen andern leiden. Nicht, daß beym kommen oder ſcheiden Das herz ihr hoͤher ſchlug; ihn nicht mit fleiß zu meiden War wohl das hoͤchſte was er uͤber ſie gewann: Allein, ſie war doch ſonſt von niemand eingenommen, Die liebe, dachte man, wird ſchon im Ehſtand kommen. 45. Je-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0090"/> <lg n="42"> <head> <hi rendition="#c">42.</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">E</hi>s wundert euch vielleicht, wie eine Frau, wie ich,</l><lb/> <l>Zu ſolchen dingen koͤmmt, die ſelbſt dem Fuͤrſtenſtamme</l><lb/> <l>Verborgen ſind und ſonſten maͤnniglich?</l><lb/> <l>So wiſſet dann, ich bin die mutter von der Amme</l><lb/> <l>Der ſchoͤnen Rezia, bey der ſie alles gilt,</l><lb/> <l>Wiewol ſchon ſechzehn volle Jahre</l><lb/> <l>Verfloſſen ſind, ſeit Fatme ſie geſtillt;</l><lb/> <l>Nun merkt ihr leicht, woher ich manchmal was erfahre.</l> </lg><lb/> <lg n="43"> <head> <hi rendition="#c">43.</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">M</hi>an weiß, daß ſchon ſeit Jahren der Kalif,</l><lb/> <l>Auf ſeine Tochter ſtolz, nicht ſelten</l><lb/> <l>An Feſten, die er gab, ſie mit zur tafel rief,</l><lb/> <l>Wo ſchoͤner maͤnner viel ſich ihr vor augen ſtellten.</l><lb/> <l>Allein auch das weiß ſtadt und land,</l><lb/> <l>Daß keiner je vor ihr beſonders gnade fand;</l><lb/> <l>Sie ſchien ſie nicht ſowohl mit maͤdchenhaftem grauen</l><lb/> <l>Als mit verachtung anzuſchauen.</l> </lg><lb/> <lg n="44"> <head> <hi rendition="#c">44.</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">I</hi>ndeſſen ward geglaubt, ſie koͤnne Babekan</l><lb/> <l>(So heißt der Prinz, den ſich zum Tochtermann</l><lb/> <l>Der Sultan auserwaͤhlt) vor allen andern leiden.</l><lb/> <l>Nicht, daß beym kommen oder ſcheiden</l><lb/> <l>Das herz ihr hoͤher ſchlug; ihn nicht mit fleiß zu meiden</l><lb/> <l>War wohl das hoͤchſte was er uͤber ſie gewann:</l><lb/> <l>Allein, ſie war doch ſonſt von niemand eingenommen,</l><lb/> <l>Die liebe, dachte man, wird ſchon im Ehſtand kommen.</l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="catch">45. Je-</fw><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0090]
42.
Es wundert euch vielleicht, wie eine Frau, wie ich,
Zu ſolchen dingen koͤmmt, die ſelbſt dem Fuͤrſtenſtamme
Verborgen ſind und ſonſten maͤnniglich?
So wiſſet dann, ich bin die mutter von der Amme
Der ſchoͤnen Rezia, bey der ſie alles gilt,
Wiewol ſchon ſechzehn volle Jahre
Verfloſſen ſind, ſeit Fatme ſie geſtillt;
Nun merkt ihr leicht, woher ich manchmal was erfahre.
43.
Man weiß, daß ſchon ſeit Jahren der Kalif,
Auf ſeine Tochter ſtolz, nicht ſelten
An Feſten, die er gab, ſie mit zur tafel rief,
Wo ſchoͤner maͤnner viel ſich ihr vor augen ſtellten.
Allein auch das weiß ſtadt und land,
Daß keiner je vor ihr beſonders gnade fand;
Sie ſchien ſie nicht ſowohl mit maͤdchenhaftem grauen
Als mit verachtung anzuſchauen.
44.
Indeſſen ward geglaubt, ſie koͤnne Babekan
(So heißt der Prinz, den ſich zum Tochtermann
Der Sultan auserwaͤhlt) vor allen andern leiden.
Nicht, daß beym kommen oder ſcheiden
Das herz ihr hoͤher ſchlug; ihn nicht mit fleiß zu meiden
War wohl das hoͤchſte was er uͤber ſie gewann:
Allein, ſie war doch ſonſt von niemand eingenommen,
Die liebe, dachte man, wird ſchon im Ehſtand kommen.
45. Je-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |