Wurzeln in Asien, das deuten uns die ältesten Mythen und die Urelemente der Sprache, der Schrift, der Sitten und Gesetze der europäischen Völkerschaften; auch die Bildung der Griechen hat ihre Wurzel jenseit des Hellesponts, oder vielmehr sie hat sich mit dieser Wurzel von asiatischem Bo¬ den losgerissen und sie in griechische Erde ver¬ pflanzt. Es gab eine Zeit, wo die Griechen noch nicht Griechen waren, eine Zeit, wo ihr Geist noch versenkt war in den starren Natursymbolen des Orients, wo Priesterherrschaft und Kastengeist noch die Entfaltung des öffentlichen Lebens hemmte, wo ihre Sinne sich noch mit einem dämmernden Flor umzogen und sie nur noch die ersten Ver¬ suche machten, sich aus den bleiernen Armen der asiatischen Tradition loszuringen und ihr Leben auf eigenthümliche Weise zu gestalten. Nicht immer ward der griechische Olymp von Göttern bewohnt, wie Homer sie schildert, nicht immer war den Griechen wüste Phantasie und Abgeschmacktheit ein Greuel, ihre ältesten Götterdynastien, ihre Thier- und Menschenungeheuer, Sphinxen und Centauren, ihre pelasgischen Kabiren verrathen uns nur zu deutlich eine frühere Bildungsstufe, auf der sie den Aegyptern und Indiern ähnlicher sehen, als sich selbst in späterer Zeit. Lange Zeit mögen sie in dieser dunkeln Naturmystik befangen gewe¬
Wurzeln in Aſien, das deuten uns die aͤlteſten Mythen und die Urelemente der Sprache, der Schrift, der Sitten und Geſetze der europaͤiſchen Voͤlkerſchaften; auch die Bildung der Griechen hat ihre Wurzel jenſeit des Hellesponts, oder vielmehr ſie hat ſich mit dieſer Wurzel von aſiatiſchem Bo¬ den losgeriſſen und ſie in griechiſche Erde ver¬ pflanzt. Es gab eine Zeit, wo die Griechen noch nicht Griechen waren, eine Zeit, wo ihr Geiſt noch verſenkt war in den ſtarren Naturſymbolen des Orients, wo Prieſterherrſchaft und Kaſtengeiſt noch die Entfaltung des oͤffentlichen Lebens hemmte, wo ihre Sinne ſich noch mit einem daͤmmernden Flor umzogen und ſie nur noch die erſten Ver¬ ſuche machten, ſich aus den bleiernen Armen der aſiatiſchen Tradition loszuringen und ihr Leben auf eigenthuͤmliche Weiſe zu geſtalten. Nicht immer ward der griechiſche Olymp von Goͤttern bewohnt, wie Homer ſie ſchildert, nicht immer war den Griechen wuͤſte Phantaſie und Abgeſchmacktheit ein Greuel, ihre aͤlteſten Goͤtterdynaſtien, ihre Thier- und Menſchenungeheuer, Sphinxen und Centauren, ihre pelasgiſchen Kabiren verrathen uns nur zu deutlich eine fruͤhere Bildungsſtufe, auf der ſie den Aegyptern und Indiern aͤhnlicher ſehen, als ſich ſelbſt in ſpaͤterer Zeit. Lange Zeit moͤgen ſie in dieſer dunkeln Naturmyſtik befangen gewe¬
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Wurzeln in Aſien, das deuten uns die aͤlteſten
Mythen und die Urelemente der Sprache, der
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Voͤlkerſchaften; auch die Bildung der Griechen hat
ihre Wurzel jenſeit des Hellesponts, oder vielmehr
ſie hat ſich mit dieſer Wurzel von aſiatiſchem Bo¬
den losgeriſſen und ſie in griechiſche Erde ver¬
pflanzt. Es gab eine Zeit, wo die Griechen noch
nicht Griechen waren, eine Zeit, wo ihr Geiſt
noch verſenkt war in den ſtarren Naturſymbolen
des Orients, wo Prieſterherrſchaft und Kaſtengeiſt
noch die Entfaltung des oͤffentlichen Lebens hemmte,
wo ihre Sinne ſich noch mit einem daͤmmernden
Flor umzogen und ſie nur noch die erſten Ver¬
ſuche machten, ſich aus den bleiernen Armen der
aſiatiſchen Tradition loszuringen und ihr Leben auf
eigenthuͤmliche Weiſe zu geſtalten. Nicht immer
ward der griechiſche Olymp von Goͤttern bewohnt,
wie Homer ſie ſchildert, nicht immer war den
Griechen wuͤſte Phantaſie und Abgeſchmacktheit
ein Greuel, ihre aͤlteſten Goͤtterdynaſtien, ihre
Thier- und Menſchenungeheuer, Sphinxen und
Centauren, ihre pelasgiſchen Kabiren verrathen uns
nur zu deutlich eine fruͤhere Bildungsſtufe, auf
der ſie den Aegyptern und Indiern aͤhnlicher ſehen,
als ſich ſelbſt in ſpaͤterer Zeit. Lange Zeit moͤgen
ſie in dieſer dunkeln Naturmyſtik befangen gewe¬
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/117>, abgerufen am 24.11.2024.
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