greisen alma mater, die als Ahnfrau unserer Universitäten ihr faltenreiches, mottenzerfressenes Gewand auf dem Boden der Aula einherschleift, und ihre alten Liebhaber-Pedanten durch junge und frische zu rekrutiren sucht. Zittert vor ihrer dürren Umarmung, vor dem Kuß ihrer gespen¬ stischen grauen Lippen, denn sie saugt euch das Blut langsam aus den Adern und schrumpft die Hochgefühle eurer Brust zu jenem Minimum zusammen, das etwa einem alten ausgedörrten Wilhelm Traugott Krug oder Christian Daniel Beck kaum verschlägt, um damit den letzten Athemzug für den Himmel zu bestreiten. Denkt daran, daß alle große Deutsche der neuern Zeit nur zu ihrem Unglück deutsche Universitätslehrer geworden sind, daß ein Fichte, Schelling, Nie¬ buhr, Schleiermacher, geborene Tribunen des Volks, für das Volk und ihren eigenen höheren Ruhm verloren gegangen sind. Fichte's Reden an die deutsche Nation verhallten nicht blos deswe¬ gen in den Wind, weil die Nation taub war, sondern weil zwischen ihr und ihm eine Scheide¬ wand aufgerichtet war, die selbst Fichte's eherne Stimme nicht zu durchdringen vermochte.
**
greiſen alma mater, die als Ahnfrau unſerer Univerſitaͤten ihr faltenreiches, mottenzerfreſſenes Gewand auf dem Boden der Aula einherſchleift, und ihre alten Liebhaber-Pedanten durch junge und friſche zu rekrutiren ſucht. Zittert vor ihrer duͤrren Umarmung, vor dem Kuß ihrer geſpen¬ ſtiſchen grauen Lippen, denn ſie ſaugt euch das Blut langſam aus den Adern und ſchrumpft die Hochgefuͤhle eurer Bruſt zu jenem Minimum zuſammen, das etwa einem alten ausgedoͤrrten Wilhelm Traugott Krug oder Chriſtian Daniel Beck kaum verſchlaͤgt, um damit den letzten Athemzug fuͤr den Himmel zu beſtreiten. Denkt daran, daß alle große Deutſche der neuern Zeit nur zu ihrem Ungluͤck deutſche Univerſitaͤtslehrer geworden ſind, daß ein Fichte, Schelling, Nie¬ buhr, Schleiermacher, geborene Tribunen des Volks, fuͤr das Volk und ihren eigenen hoͤheren Ruhm verloren gegangen ſind. Fichte's Reden an die deutſche Nation verhallten nicht blos deswe¬ gen in den Wind, weil die Nation taub war, ſondern weil zwiſchen ihr und ihm eine Scheide¬ wand aufgerichtet war, die ſelbſt Fichte's eherne Stimme nicht zu durchdringen vermochte.
**
<TEI><text><body><divtype="dedication"n="1"><p><pbfacs="#f0013"n="IX"/>
greiſen <hirendition="#aq">alma mater,</hi> die als Ahnfrau unſerer<lb/>
Univerſitaͤten ihr faltenreiches, mottenzerfreſſenes<lb/>
Gewand auf dem Boden der Aula einherſchleift,<lb/>
und ihre alten Liebhaber-Pedanten durch junge<lb/>
und friſche zu rekrutiren ſucht. Zittert vor ihrer<lb/>
duͤrren Umarmung, vor dem Kuß ihrer geſpen¬<lb/>ſtiſchen grauen Lippen, denn ſie ſaugt euch das<lb/>
Blut langſam aus den Adern und ſchrumpft die<lb/>
Hochgefuͤhle eurer Bruſt zu jenem Minimum<lb/>
zuſammen, das etwa einem alten ausgedoͤrrten<lb/>
Wilhelm Traugott Krug oder Chriſtian Daniel<lb/>
Beck kaum verſchlaͤgt, um damit den letzten<lb/>
Athemzug fuͤr den Himmel zu beſtreiten. Denkt<lb/>
daran, daß alle große Deutſche der neuern Zeit<lb/>
nur zu ihrem Ungluͤck deutſche Univerſitaͤtslehrer<lb/>
geworden ſind, daß ein Fichte, Schelling, Nie¬<lb/>
buhr, Schleiermacher, geborene Tribunen des<lb/>
Volks, fuͤr das Volk und ihren eigenen hoͤheren<lb/>
Ruhm verloren gegangen ſind. Fichte's Reden an<lb/>
die deutſche Nation verhallten nicht blos deswe¬<lb/>
gen in den Wind, weil die Nation taub war,<lb/>ſondern weil zwiſchen ihr und ihm eine Scheide¬<lb/>
wand aufgerichtet war, die ſelbſt Fichte's eherne<lb/>
Stimme nicht zu durchdringen vermochte.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">**<lb/></fw></div></body></text></TEI>
[IX/0013]
greiſen alma mater, die als Ahnfrau unſerer
Univerſitaͤten ihr faltenreiches, mottenzerfreſſenes
Gewand auf dem Boden der Aula einherſchleift,
und ihre alten Liebhaber-Pedanten durch junge
und friſche zu rekrutiren ſucht. Zittert vor ihrer
duͤrren Umarmung, vor dem Kuß ihrer geſpen¬
ſtiſchen grauen Lippen, denn ſie ſaugt euch das
Blut langſam aus den Adern und ſchrumpft die
Hochgefuͤhle eurer Bruſt zu jenem Minimum
zuſammen, das etwa einem alten ausgedoͤrrten
Wilhelm Traugott Krug oder Chriſtian Daniel
Beck kaum verſchlaͤgt, um damit den letzten
Athemzug fuͤr den Himmel zu beſtreiten. Denkt
daran, daß alle große Deutſche der neuern Zeit
nur zu ihrem Ungluͤck deutſche Univerſitaͤtslehrer
geworden ſind, daß ein Fichte, Schelling, Nie¬
buhr, Schleiermacher, geborene Tribunen des
Volks, fuͤr das Volk und ihren eigenen hoͤheren
Ruhm verloren gegangen ſind. Fichte's Reden an
die deutſche Nation verhallten nicht blos deswe¬
gen in den Wind, weil die Nation taub war,
ſondern weil zwiſchen ihr und ihm eine Scheide¬
wand aufgerichtet war, die ſelbſt Fichte's eherne
Stimme nicht zu durchdringen vermochte.
**
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. IX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/13>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.