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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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die Polenrevolution, den Kampf und Untergang
der Freiheit, großartig poetisch in ruhiger Zeit auf
die Breter bringen, "welche nicht die Welt sind,
sondern die Welt bedeuten," wie Schiller sagt,
dann werden Sie hören, wie alle Urtheile sich
vereinigen, wie das Parterre klatscht, wie die
Fähndriche sich in die Brust werfen, wie die Kri¬
tiker ihre Brillen wischen, welcher Enthusiasmus
sich in den Logen verbreitet und wie vielleicht selbst
ein erstarrtes Amts- und Ministergesicht am Schluß
des Stücks und der Freiheit Thränenwasser und
einen Rest von Mitgefühl und Wehmuth auf den
Wangen hat.

Woher diese Erscheinung? Hat der Dichter
Begeisterung und Schmerz der That erst hinzuge¬
dichtet, oder gehören sie nicht vielmehr der That
an; hat der Dichter Erhabenes und Schönes aus
seinem Hirn geboren oder ist nicht bereits die
That erhaben und schön, liegt Alles, was so
mächtig rührt, nur darin, daß es in Versen aus¬
gesprochen und in fünf Akte vertheilt ist, oder
hat die Poesie einen tieferen Grund, weswegen
sie zum Herzen spricht? Ja, die Poesie hat einen
tieferen Grund. Die dramatische Poesie wäre gar
keine ohne die Poesie der That, der Dichter ist
kein Gott, der uns aus angebornem Kraftvermö¬
gen neue Welten erschaffen könnte, er ist auch kein

die Polenrevolution, den Kampf und Untergang
der Freiheit, großartig poetiſch in ruhiger Zeit auf
die Breter bringen, „welche nicht die Welt ſind,
ſondern die Welt bedeuten,“ wie Schiller ſagt,
dann werden Sie hoͤren, wie alle Urtheile ſich
vereinigen, wie das Parterre klatſcht, wie die
Faͤhndriche ſich in die Bruſt werfen, wie die Kri¬
tiker ihre Brillen wiſchen, welcher Enthuſiasmus
ſich in den Logen verbreitet und wie vielleicht ſelbſt
ein erſtarrtes Amts- und Miniſtergeſicht am Schluß
des Stuͤcks und der Freiheit Thraͤnenwaſſer und
einen Reſt von Mitgefuͤhl und Wehmuth auf den
Wangen hat.

Woher dieſe Erſcheinung? Hat der Dichter
Begeiſterung und Schmerz der That erſt hinzuge¬
dichtet, oder gehoͤren ſie nicht vielmehr der That
an; hat der Dichter Erhabenes und Schoͤnes aus
ſeinem Hirn geboren oder iſt nicht bereits die
That erhaben und ſchoͤn, liegt Alles, was ſo
maͤchtig ruͤhrt, nur darin, daß es in Verſen aus¬
geſprochen und in fuͤnf Akte vertheilt iſt, oder
hat die Poeſie einen tieferen Grund, weswegen
ſie zum Herzen ſpricht? Ja, die Poeſie hat einen
tieferen Grund. Die dramatiſche Poeſie waͤre gar
keine ohne die Poeſie der That, der Dichter iſt
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[144/0158] die Polenrevolution, den Kampf und Untergang der Freiheit, großartig poetiſch in ruhiger Zeit auf die Breter bringen, „welche nicht die Welt ſind, ſondern die Welt bedeuten,“ wie Schiller ſagt, dann werden Sie hoͤren, wie alle Urtheile ſich vereinigen, wie das Parterre klatſcht, wie die Faͤhndriche ſich in die Bruſt werfen, wie die Kri¬ tiker ihre Brillen wiſchen, welcher Enthuſiasmus ſich in den Logen verbreitet und wie vielleicht ſelbſt ein erſtarrtes Amts- und Miniſtergeſicht am Schluß des Stuͤcks und der Freiheit Thraͤnenwaſſer und einen Reſt von Mitgefuͤhl und Wehmuth auf den Wangen hat. Woher dieſe Erſcheinung? Hat der Dichter Begeiſterung und Schmerz der That erſt hinzuge¬ dichtet, oder gehoͤren ſie nicht vielmehr der That an; hat der Dichter Erhabenes und Schoͤnes aus ſeinem Hirn geboren oder iſt nicht bereits die That erhaben und ſchoͤn, liegt Alles, was ſo maͤchtig ruͤhrt, nur darin, daß es in Verſen aus¬ geſprochen und in fuͤnf Akte vertheilt iſt, oder hat die Poeſie einen tieferen Grund, weswegen ſie zum Herzen ſpricht? Ja, die Poeſie hat einen tieferen Grund. Die dramatiſche Poeſie waͤre gar keine ohne die Poeſie der That, der Dichter iſt kein Gott, der uns aus angebornem Kraftvermoͤ¬ gen neue Welten erſchaffen koͤnnte, er iſt auch kein

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/158>, abgerufen am 24.11.2024.