zeigen und die schlaffen, unreinen Sprungfedern seines innern Lebens vor den Augen der Welt aufzudecken. Aber je armseliger und nackter das Innere, desto prachtvoller ist der moralische Appa¬ rat, den man nach außen aufthürmt, desto stoi¬ scher hüllt man sich in den Mantel der Entsagung, desto scheinheiliger verdammt man die nackte Na¬ tur und desto niedriger und erbärmlicher fühlt man sich im Angesicht jenes selbstgeschaffenen erhabenen Pflichtprinzips, das man weder zu erfüllen noch zu läugnen die Kühnheit hat. Nun trägt die arme Sinnlichkeit alle Schuld, nun ist die Schön¬ heit selbst, die nicht lebendig mehr im Herzen lebt, die Verführerin, das Gewissen aber der Pi¬ latus, der sich die Hände in Unschuld wäschet und alle Schuld auf die unbändigen Triebe wirft und auch die Phantasie anklagt, als ob sie beständig durch den Reiz ihrer zügellosen Einfälle zu Uebertretun¬ gen des moralischen Gesetzes verführe. So wird unsere Seele dann vorgestellt als der Kampfplatz aller möglichen widerstrebenden Kräfte und Nei¬ gungen und über dem Gewühl und Wellen der ruhig ernste kategorische Imperativ, der quos ego donnert. Eine solche Vorstellung schickt sich in der That für solche Zeiten, die wir erlebt; aber sie ist Gottlob nicht die natürliche und wahre, sie
zeigen und die ſchlaffen, unreinen Sprungfedern ſeines innern Lebens vor den Augen der Welt aufzudecken. Aber je armſeliger und nackter das Innere, deſto prachtvoller iſt der moraliſche Appa¬ rat, den man nach außen aufthuͤrmt, deſto ſtoi¬ ſcher huͤllt man ſich in den Mantel der Entſagung, deſto ſcheinheiliger verdammt man die nackte Na¬ tur und deſto niedriger und erbaͤrmlicher fuͤhlt man ſich im Angeſicht jenes ſelbſtgeſchaffenen erhabenen Pflichtprinzips, das man weder zu erfuͤllen noch zu laͤugnen die Kuͤhnheit hat. Nun traͤgt die arme Sinnlichkeit alle Schuld, nun iſt die Schoͤn¬ heit ſelbſt, die nicht lebendig mehr im Herzen lebt, die Verfuͤhrerin, das Gewiſſen aber der Pi¬ latus, der ſich die Haͤnde in Unſchuld waͤſchet und alle Schuld auf die unbaͤndigen Triebe wirft und auch die Phantaſie anklagt, als ob ſie beſtaͤndig durch den Reiz ihrer zuͤgelloſen Einfaͤlle zu Uebertretun¬ gen des moraliſchen Geſetzes verfuͤhre. So wird unſere Seele dann vorgeſtellt als der Kampfplatz aller moͤglichen widerſtrebenden Kraͤfte und Nei¬ gungen und uͤber dem Gewuͤhl und Wellen der ruhig ernſte kategoriſche Imperativ, der quos ego donnert. Eine ſolche Vorſtellung ſchickt ſich in der That fuͤr ſolche Zeiten, die wir erlebt; aber ſie iſt Gottlob nicht die natuͤrliche und wahre, ſie
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zeigen und die ſchlaffen, unreinen Sprungfedern
ſeines innern Lebens vor den Augen der Welt
aufzudecken. Aber je armſeliger und nackter das
Innere, deſto prachtvoller iſt der moraliſche Appa¬
rat, den man nach außen aufthuͤrmt, deſto ſtoi¬
ſcher huͤllt man ſich in den Mantel der Entſagung,
deſto ſcheinheiliger verdammt man die nackte Na¬
tur und deſto niedriger und erbaͤrmlicher fuͤhlt man
ſich im Angeſicht jenes ſelbſtgeſchaffenen erhabenen
Pflichtprinzips, das man weder zu erfuͤllen noch
zu laͤugnen die Kuͤhnheit hat. Nun traͤgt die
arme Sinnlichkeit alle Schuld, nun iſt die Schoͤn¬
heit ſelbſt, die nicht lebendig mehr im Herzen
lebt, die Verfuͤhrerin, das Gewiſſen aber der Pi¬
latus, der ſich die Haͤnde in Unſchuld waͤſchet und
alle Schuld auf die unbaͤndigen Triebe wirft und auch
die Phantaſie anklagt, als ob ſie beſtaͤndig durch
den Reiz ihrer zuͤgelloſen Einfaͤlle zu Uebertretun¬
gen des moraliſchen Geſetzes verfuͤhre. So wird
unſere Seele dann vorgeſtellt als der Kampfplatz
aller moͤglichen widerſtrebenden Kraͤfte und Nei¬
gungen und uͤber dem Gewuͤhl und Wellen der
ruhig ernſte kategoriſche Imperativ, der quos ego
donnert. Eine ſolche Vorſtellung ſchickt ſich in
der That fuͤr ſolche Zeiten, die wir erlebt; aber
ſie iſt Gottlob nicht die natuͤrliche und wahre, ſie
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/176>, abgerufen am 24.11.2024.
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