sache ist, daß man erst moralisch wird, nach An¬ leitung unsers Kompendiums, oder vielmehr, daß man erst lernt, was Moral ist, und daß man sich die großen Schwierigkeiten zu Gemüth zieht, die für einen Moralkompendienschreiber nach Erschei¬ nung der Schleiermacherschen Kritik aller Mo¬ ral auf diesem Gebiet erwachsen sind. Mit der Gegenwart, mit dem Leben hat die Moral als Moral nichts zu thun, denn die Moral ist eine akademische Wissenschaft und die Akademie ist gar kein Leben, sondern eine bloße Studienanstalt, de¬ ren Wirkungskreis sich völlig innerhalb der vier Wände unserer Auditorien abschließt.
Sehen Sie, man weiß doch, woran man sich zu halten hat, wenn man solche Stimmen hört. Man kann ihnen gleich nur erwiedern, so hütet euch, daß die Fenster eurer Auditorien nicht offen stehen, denn der Luftzug aus der wirklichen Welt strömt herein und erinnert die junge Brust an ihre Hoffnungen, an ihren Zusammenhang mit dem Leben, an Alles, was draußen liebt und haßt, kämpft und strebt, siegt und unterliegt, an die Zeit, an die Gegenwart.
Es wäre leicht zu zeigen, daß sich diese Her¬ ren versündigten an der Moral wie an der Zeit, allein diese selbst hat dafür gesorgt, daß Jene
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ſache iſt, daß man erſt moraliſch wird, nach An¬ leitung unſers Kompendiums, oder vielmehr, daß man erſt lernt, was Moral iſt, und daß man ſich die großen Schwierigkeiten zu Gemuͤth zieht, die fuͤr einen Moralkompendienſchreiber nach Erſchei¬ nung der Schleiermacherſchen Kritik aller Mo¬ ral auf dieſem Gebiet erwachſen ſind. Mit der Gegenwart, mit dem Leben hat die Moral als Moral nichts zu thun, denn die Moral iſt eine akademiſche Wiſſenſchaft und die Akademie iſt gar kein Leben, ſondern eine bloße Studienanſtalt, de¬ ren Wirkungskreis ſich voͤllig innerhalb der vier Waͤnde unſerer Auditorien abſchließt.
Sehen Sie, man weiß doch, woran man ſich zu halten hat, wenn man ſolche Stimmen hoͤrt. Man kann ihnen gleich nur erwiedern, ſo huͤtet euch, daß die Fenſter eurer Auditorien nicht offen ſtehen, denn der Luftzug aus der wirklichen Welt ſtroͤmt herein und erinnert die junge Bruſt an ihre Hoffnungen, an ihren Zuſammenhang mit dem Leben, an Alles, was draußen liebt und haßt, kaͤmpft und ſtrebt, ſiegt und unterliegt, an die Zeit, an die Gegenwart.
Es waͤre leicht zu zeigen, daß ſich dieſe Her¬ ren verſuͤndigten an der Moral wie an der Zeit, allein dieſe ſelbſt hat dafuͤr geſorgt, daß Jene
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ſache iſt, daß man erſt moraliſch wird, nach An¬
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man erſt lernt, was Moral iſt, und daß man
ſich die großen Schwierigkeiten zu Gemuͤth zieht,
die fuͤr einen Moralkompendienſchreiber nach Erſchei¬
nung der Schleiermacherſchen Kritik aller Mo¬
ral auf dieſem Gebiet erwachſen ſind. Mit der
Gegenwart, mit dem Leben hat die Moral als
Moral nichts zu thun, denn die Moral iſt eine
akademiſche Wiſſenſchaft und die Akademie iſt gar
kein Leben, ſondern eine bloße Studienanſtalt, de¬
ren Wirkungskreis ſich voͤllig innerhalb der vier
Waͤnde unſerer Auditorien abſchließt.
Sehen Sie, man weiß doch, woran man
ſich zu halten hat, wenn man ſolche Stimmen
hoͤrt. Man kann ihnen gleich nur erwiedern, ſo
huͤtet euch, daß die Fenſter eurer Auditorien nicht
offen ſtehen, denn der Luftzug aus der wirklichen
Welt ſtroͤmt herein und erinnert die junge Bruſt
an ihre Hoffnungen, an ihren Zuſammenhang mit
dem Leben, an Alles, was draußen liebt und
haßt, kaͤmpft und ſtrebt, ſiegt und unterliegt, an
die Zeit, an die Gegenwart.
Es waͤre leicht zu zeigen, daß ſich dieſe Her¬
ren verſuͤndigten an der Moral wie an der Zeit,
allein dieſe ſelbſt hat dafuͤr geſorgt, daß Jene
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/183>, abgerufen am 21.11.2024.
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