beschränkt und einseitig, mit starken, kühnen, aber wenigen Strichen gezeichnet; dort einen Menschen, der bei vielseitiger, formeller Ausbildung nur einen schwachen Nerv, zu wollen und zu handeln, ver¬ räth und während der Erstere als die besonderste Individualität dasteht, von allen Seiten schroff, gebieterisch und unzugänglich, dieser glatt, gefällig, lenkbar und sich allen Umständen und Charakteren anschmiegend. Sie werden auch nicht lange un¬ ter Ihrer Bekanntschaft zu suchen haben, um sich einen Dritten zur Anschauung zu bringen, der von der Natur in punktirter Manier ausgearbeitet ist und allen seinen Geschäften, Handlungen und Re¬ den den Charakter ängstlicher Ausführlichkeit und Genauigkeit verleiht, so wie einen Vierten, den die Natur nur als flüchtige Skizze hingeworfen hat und der daher mehr nach Einfällen und Lau¬ nen die Dinge angreift, als sie auszuführen und zu vollenden strebt. Und so mag sich ein Jeder unter seinen Freunden und Bekannten eine Gal¬ lerie lebendiger Portraits sammeln, die einem Bil¬ dersaal der Kunst ähnlich, im verschiedensten Stil gearbeitet sind. Doch -- glaube ich, sträubt sich noch immer bei Ihnen, und das mit Recht, et¬ was gegen diese Ansicht, welche die Moral in den Kreis der Kunst und des Aesthetischen zieht. -- Spreche ich es richtig aus, wenn ich Sie so ver¬
beſchraͤnkt und einſeitig, mit ſtarken, kuͤhnen, aber wenigen Strichen gezeichnet; dort einen Menſchen, der bei vielſeitiger, formeller Ausbildung nur einen ſchwachen Nerv, zu wollen und zu handeln, ver¬ raͤth und waͤhrend der Erſtere als die beſonderſte Individualitaͤt daſteht, von allen Seiten ſchroff, gebieteriſch und unzugaͤnglich, dieſer glatt, gefaͤllig, lenkbar und ſich allen Umſtaͤnden und Charakteren anſchmiegend. Sie werden auch nicht lange un¬ ter Ihrer Bekanntſchaft zu ſuchen haben, um ſich einen Dritten zur Anſchauung zu bringen, der von der Natur in punktirter Manier ausgearbeitet iſt und allen ſeinen Geſchaͤften, Handlungen und Re¬ den den Charakter aͤngſtlicher Ausfuͤhrlichkeit und Genauigkeit verleiht, ſo wie einen Vierten, den die Natur nur als fluͤchtige Skizze hingeworfen hat und der daher mehr nach Einfaͤllen und Lau¬ nen die Dinge angreift, als ſie auszufuͤhren und zu vollenden ſtrebt. Und ſo mag ſich ein Jeder unter ſeinen Freunden und Bekannten eine Gal¬ lerie lebendiger Portraits ſammeln, die einem Bil¬ derſaal der Kunſt aͤhnlich, im verſchiedenſten Stil gearbeitet ſind. Doch — glaube ich, ſtraͤubt ſich noch immer bei Ihnen, und das mit Recht, et¬ was gegen dieſe Anſicht, welche die Moral in den Kreis der Kunſt und des Aeſthetiſchen zieht. — Spreche ich es richtig aus, wenn ich Sie ſo ver¬
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beſchraͤnkt und einſeitig, mit ſtarken, kuͤhnen, aber
wenigen Strichen gezeichnet; dort einen Menſchen,
der bei vielſeitiger, formeller Ausbildung nur einen
ſchwachen Nerv, zu wollen und zu handeln, ver¬
raͤth und waͤhrend der Erſtere als die beſonderſte
Individualitaͤt daſteht, von allen Seiten ſchroff,
gebieteriſch und unzugaͤnglich, dieſer glatt, gefaͤllig,
lenkbar und ſich allen Umſtaͤnden und Charakteren
anſchmiegend. Sie werden auch nicht lange un¬
ter Ihrer Bekanntſchaft zu ſuchen haben, um ſich
einen Dritten zur Anſchauung zu bringen, der von
der Natur in punktirter Manier ausgearbeitet iſt
und allen ſeinen Geſchaͤften, Handlungen und Re¬
den den Charakter aͤngſtlicher Ausfuͤhrlichkeit und
Genauigkeit verleiht, ſo wie einen Vierten, den
die Natur nur als fluͤchtige Skizze hingeworfen
hat und der daher mehr nach Einfaͤllen und Lau¬
nen die Dinge angreift, als ſie auszufuͤhren und
zu vollenden ſtrebt. Und ſo mag ſich ein Jeder
unter ſeinen Freunden und Bekannten eine Gal¬
lerie lebendiger Portraits ſammeln, die einem Bil¬
derſaal der Kunſt aͤhnlich, im verſchiedenſten Stil
gearbeitet ſind. Doch — glaube ich, ſtraͤubt ſich
noch immer bei Ihnen, und das mit Recht, et¬
was gegen dieſe Anſicht, welche die Moral in den
Kreis der Kunſt und des Aeſthetiſchen zieht. —
Spreche ich es richtig aus, wenn ich Sie ſo ver¬
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/192>, abgerufen am 24.11.2024.
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