Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

tern empor und überragend blühten zwei mächtige
Häupter mit den glänzendsten Lorbeeren. Der
Eine von ihnen, Schiller, hat sich sein ganzes
Leben hindurch in dieser ideellen Richtung be¬
hauptet. Geht man die schimmernde Reihe seiner
Trauerspiele durch, so findet man, die allerersten
vielleicht ausgenommen, darin keine Spur, zu
welcher Zeit dieselben entstanden, oder vor wel¬
chem Publicum dieselben aufgeführt, es sind Kunst¬
dramen oder vielmehr es sind keine Dramen, son¬
dern die Dramatik selbst, von bald abstrakten, bald
historischen Personen aufgeführt. Kann man nun
wirklich behaupten, daß der Charakter der ganzen
Zeit dieselbe ideelle Richtung theilte, sich in Ab¬
straktion und Historie vertiefte und die verflüchtigte
Gegenwart und das leere fade Leben nicht darüber
anschlug, so mag wohl Schiller eher, denn Goe¬
the, als dramatischer Repräsentant seiner Zeit auf¬
gestellt werden. Allein beobachten wir einen Umstand,
eine Verschiedenheit in beiden Produktionen mit gehö¬
riger Schärfe, so sind wir, wie es scheint, nicht auf¬
gelegt, diese Meinung zu bestätigen. Es gibt keine
Succession in Schiller's Werken, keine andere,
als die immer durchdachter und selbstbewußter wer¬
dende Kunst. Seine Dramen zeigen auf der einen
Seite keinen innern Zusammenhang, keine orga¬
nische Einheit, keine durchlebte Geschichte von An¬

tern empor und uͤberragend bluͤhten zwei maͤchtige
Haͤupter mit den glaͤnzendſten Lorbeeren. Der
Eine von ihnen, Schiller, hat ſich ſein ganzes
Leben hindurch in dieſer ideellen Richtung be¬
hauptet. Geht man die ſchimmernde Reihe ſeiner
Trauerſpiele durch, ſo findet man, die allererſten
vielleicht ausgenommen, darin keine Spur, zu
welcher Zeit dieſelben entſtanden, oder vor wel¬
chem Publicum dieſelben aufgefuͤhrt, es ſind Kunſt¬
dramen oder vielmehr es ſind keine Dramen, ſon¬
dern die Dramatik ſelbſt, von bald abſtrakten, bald
hiſtoriſchen Perſonen aufgefuͤhrt. Kann man nun
wirklich behaupten, daß der Charakter der ganzen
Zeit dieſelbe ideelle Richtung theilte, ſich in Ab¬
ſtraktion und Hiſtorie vertiefte und die verfluͤchtigte
Gegenwart und das leere fade Leben nicht daruͤber
anſchlug, ſo mag wohl Schiller eher, denn Goe¬
the, als dramatiſcher Repraͤſentant ſeiner Zeit auf¬
geſtellt werden. Allein beobachten wir einen Umſtand,
eine Verſchiedenheit in beiden Produktionen mit gehoͤ¬
riger Schaͤrfe, ſo ſind wir, wie es ſcheint, nicht auf¬
gelegt, dieſe Meinung zu beſtaͤtigen. Es gibt keine
Succeſſion in Schiller's Werken, keine andere,
als die immer durchdachter und ſelbſtbewußter wer¬
dende Kunſt. Seine Dramen zeigen auf der einen
Seite keinen innern Zuſammenhang, keine orga¬
niſche Einheit, keine durchlebte Geſchichte von An¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0266" n="252"/>
tern empor und u&#x0364;berragend blu&#x0364;hten zwei ma&#x0364;chtige<lb/>
Ha&#x0364;upter mit den gla&#x0364;nzend&#x017F;ten Lorbeeren. Der<lb/>
Eine von ihnen, Schiller, hat &#x017F;ich &#x017F;ein ganzes<lb/>
Leben hindurch in die&#x017F;er ideellen Richtung be¬<lb/>
hauptet. Geht man die &#x017F;chimmernde Reihe &#x017F;einer<lb/>
Trauer&#x017F;piele durch, &#x017F;o findet man, die allerer&#x017F;ten<lb/>
vielleicht ausgenommen, darin keine Spur, zu<lb/>
welcher Zeit die&#x017F;elben ent&#x017F;tanden, oder vor wel¬<lb/>
chem Publicum die&#x017F;elben aufgefu&#x0364;hrt, es &#x017F;ind Kun&#x017F;<lb/>
dramen oder vielmehr es &#x017F;ind keine Dramen, &#x017F;on¬<lb/>
dern die Dramatik &#x017F;elb&#x017F;t, von bald ab&#x017F;trakten, bald<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;chen Per&#x017F;onen aufgefu&#x0364;hrt. Kann man nun<lb/>
wirklich behaupten, daß der Charakter der ganzen<lb/>
Zeit die&#x017F;elbe ideelle Richtung theilte, &#x017F;ich in Ab¬<lb/>
&#x017F;traktion und Hi&#x017F;torie vertiefte und die verflu&#x0364;chtigte<lb/>
Gegenwart und das leere fade Leben nicht daru&#x0364;ber<lb/>
an&#x017F;chlug, &#x017F;o mag wohl Schiller eher, denn Goe¬<lb/>
the, als dramati&#x017F;cher Repra&#x0364;&#x017F;entant &#x017F;einer Zeit auf¬<lb/>
ge&#x017F;tellt werden. Allein beobachten wir einen Um&#x017F;tand,<lb/>
eine Ver&#x017F;chiedenheit in beiden Produktionen mit geho&#x0364;¬<lb/>
riger Scha&#x0364;rfe, &#x017F;o &#x017F;ind wir, wie es &#x017F;cheint, nicht auf¬<lb/>
gelegt, die&#x017F;e Meinung zu be&#x017F;ta&#x0364;tigen. Es gibt keine<lb/>
Succe&#x017F;&#x017F;ion in Schiller's Werken, keine andere,<lb/>
als die immer durchdachter und &#x017F;elb&#x017F;tbewußter wer¬<lb/>
dende Kun&#x017F;t. Seine Dramen zeigen auf der einen<lb/>
Seite keinen innern Zu&#x017F;ammenhang, keine orga¬<lb/>
ni&#x017F;che Einheit, keine durchlebte Ge&#x017F;chichte von An¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[252/0266] tern empor und uͤberragend bluͤhten zwei maͤchtige Haͤupter mit den glaͤnzendſten Lorbeeren. Der Eine von ihnen, Schiller, hat ſich ſein ganzes Leben hindurch in dieſer ideellen Richtung be¬ hauptet. Geht man die ſchimmernde Reihe ſeiner Trauerſpiele durch, ſo findet man, die allererſten vielleicht ausgenommen, darin keine Spur, zu welcher Zeit dieſelben entſtanden, oder vor wel¬ chem Publicum dieſelben aufgefuͤhrt, es ſind Kunſt¬ dramen oder vielmehr es ſind keine Dramen, ſon¬ dern die Dramatik ſelbſt, von bald abſtrakten, bald hiſtoriſchen Perſonen aufgefuͤhrt. Kann man nun wirklich behaupten, daß der Charakter der ganzen Zeit dieſelbe ideelle Richtung theilte, ſich in Ab¬ ſtraktion und Hiſtorie vertiefte und die verfluͤchtigte Gegenwart und das leere fade Leben nicht daruͤber anſchlug, ſo mag wohl Schiller eher, denn Goe¬ the, als dramatiſcher Repraͤſentant ſeiner Zeit auf¬ geſtellt werden. Allein beobachten wir einen Umſtand, eine Verſchiedenheit in beiden Produktionen mit gehoͤ¬ riger Schaͤrfe, ſo ſind wir, wie es ſcheint, nicht auf¬ gelegt, dieſe Meinung zu beſtaͤtigen. Es gibt keine Succeſſion in Schiller's Werken, keine andere, als die immer durchdachter und ſelbſtbewußter wer¬ dende Kunſt. Seine Dramen zeigen auf der einen Seite keinen innern Zuſammenhang, keine orga¬ niſche Einheit, keine durchlebte Geſchichte von An¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/266
Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/266>, abgerufen am 22.11.2024.