und beide Strümpfe, um ihnen das Bewegen einigermaßen unmöglich zu machen, so werden von Jugend auf unsern innern Menschen alle Glieder zusammengenäht, damit ruhiger Nexus vorliege und der Mann sich mehr im Ganzen bewege. Aber Himmel, welche Spiele könnten wir gewin¬ nen, wenn wir mit unseren einsamen Ideen ro¬ chiren könnten.
Zu neuen Zeiten gehören durchaus freie; zu diesen wieder gleiche; und nur der Witz gibt uns Freiheit, indem er Gleichgewicht vorher¬ gibt. Er ist für den Geist, was für die Scheide¬ kunst Feuer und Wasser ist. Chemica non agunt nisi soluta, das ist, nur die Flüssigkeit gibt die Freiheit zu neuer Gestaltung, oder, nur entbun¬ dene Körper schaffen neue. Besinnt sich ein Au¬ tor zum Beispiel bei Sommerflecken des Gesichts auf Herbst-, Lenz-, Winterflecken desselben, so offenbart er dadurch wenigstens ein freies Be¬ schauen, welches sich nicht in den Gegenstand ein¬ gekerkert verliert und vertieft.
Uns fehlt zwar Geschmack für den Witz, aber gar nicht die Anlage zu ihm. Wir haben Phan¬ tasie; und die Phantasie kann sich leicht zum Witz einbücken, wie ein Riese zum Zwerg, aber nicht dieser sich zu jenem aufrichten. In Frankreich ist die Nation witzig, bei uns die Elite.
und beide Struͤmpfe, um ihnen das Bewegen einigermaßen unmoͤglich zu machen, ſo werden von Jugend auf unſern innern Menſchen alle Glieder zuſammengenaͤht, damit ruhiger Nexus vorliege und der Mann ſich mehr im Ganzen bewege. Aber Himmel, welche Spiele koͤnnten wir gewin¬ nen, wenn wir mit unſeren einſamen Ideen ro¬ chiren koͤnnten.
Zu neuen Zeiten gehoͤren durchaus freie; zu dieſen wieder gleiche; und nur der Witz gibt uns Freiheit, indem er Gleichgewicht vorher¬ gibt. Er iſt fuͤr den Geiſt, was fuͤr die Scheide¬ kunſt Feuer und Waſſer iſt. Chemica non agunt nisi soluta, das iſt, nur die Fluͤſſigkeit gibt die Freiheit zu neuer Geſtaltung, oder, nur entbun¬ dene Koͤrper ſchaffen neue. Beſinnt ſich ein Au¬ tor zum Beiſpiel bei Sommerflecken des Geſichts auf Herbſt-‚ Lenz-, Winterflecken deſſelben, ſo offenbart er dadurch wenigſtens ein freies Be¬ ſchauen, welches ſich nicht in den Gegenſtand ein¬ gekerkert verliert und vertieft.
Uns fehlt zwar Geſchmack fuͤr den Witz, aber gar nicht die Anlage zu ihm. Wir haben Phan¬ taſie; und die Phantaſie kann ſich leicht zum Witz einbuͤcken, wie ein Rieſe zum Zwerg, aber nicht dieſer ſich zu jenem aufrichten. In Frankreich iſt die Nation witzig, bei uns die Elite.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0316"n="302"/>
und beide Struͤmpfe, um ihnen das Bewegen<lb/>
einigermaßen unmoͤglich zu machen, ſo werden von<lb/>
Jugend auf unſern innern Menſchen alle Glieder<lb/>
zuſammengenaͤht, damit ruhiger Nexus vorliege<lb/>
und der Mann ſich mehr im Ganzen bewege.<lb/>
Aber Himmel, welche Spiele koͤnnten wir gewin¬<lb/>
nen, wenn wir mit unſeren einſamen Ideen <hirendition="#g">ro¬<lb/>
chiren</hi> koͤnnten.</p><lb/><p>Zu <hirendition="#g">neuen</hi> Zeiten gehoͤren durchaus <hirendition="#g">freie</hi>;<lb/>
zu <hirendition="#g">dieſen</hi> wieder <hirendition="#g">gleiche</hi>; und nur der Witz<lb/>
gibt uns Freiheit, indem er Gleichgewicht vorher¬<lb/>
gibt. Er iſt fuͤr den Geiſt, was fuͤr die Scheide¬<lb/>
kunſt Feuer und Waſſer iſt. <hirendition="#aq">Chemica non agunt<lb/>
nisi soluta</hi>, das iſt, nur die Fluͤſſigkeit gibt die<lb/>
Freiheit zu neuer Geſtaltung, oder, nur entbun¬<lb/>
dene Koͤrper ſchaffen neue. Beſinnt ſich ein Au¬<lb/>
tor zum Beiſpiel bei Sommerflecken des Geſichts<lb/>
auf Herbſt-‚ Lenz-, Winterflecken deſſelben, ſo<lb/>
offenbart er dadurch wenigſtens ein freies Be¬<lb/>ſchauen, welches ſich nicht in den Gegenſtand ein¬<lb/>
gekerkert verliert und vertieft.</p><lb/><p>Uns fehlt zwar Geſchmack fuͤr den Witz, aber<lb/>
gar nicht die Anlage zu ihm. Wir haben Phan¬<lb/>
taſie; und die Phantaſie kann ſich leicht zum Witz<lb/>
einbuͤcken, wie ein Rieſe zum Zwerg, aber nicht<lb/>
dieſer ſich zu jenem aufrichten. In Frankreich iſt<lb/>
die Nation witzig, bei uns die Elite.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[302/0316]
und beide Struͤmpfe, um ihnen das Bewegen
einigermaßen unmoͤglich zu machen, ſo werden von
Jugend auf unſern innern Menſchen alle Glieder
zuſammengenaͤht, damit ruhiger Nexus vorliege
und der Mann ſich mehr im Ganzen bewege.
Aber Himmel, welche Spiele koͤnnten wir gewin¬
nen, wenn wir mit unſeren einſamen Ideen ro¬
chiren koͤnnten.
Zu neuen Zeiten gehoͤren durchaus freie;
zu dieſen wieder gleiche; und nur der Witz
gibt uns Freiheit, indem er Gleichgewicht vorher¬
gibt. Er iſt fuͤr den Geiſt, was fuͤr die Scheide¬
kunſt Feuer und Waſſer iſt. Chemica non agunt
nisi soluta, das iſt, nur die Fluͤſſigkeit gibt die
Freiheit zu neuer Geſtaltung, oder, nur entbun¬
dene Koͤrper ſchaffen neue. Beſinnt ſich ein Au¬
tor zum Beiſpiel bei Sommerflecken des Geſichts
auf Herbſt-‚ Lenz-, Winterflecken deſſelben, ſo
offenbart er dadurch wenigſtens ein freies Be¬
ſchauen, welches ſich nicht in den Gegenſtand ein¬
gekerkert verliert und vertieft.
Uns fehlt zwar Geſchmack fuͤr den Witz, aber
gar nicht die Anlage zu ihm. Wir haben Phan¬
taſie; und die Phantaſie kann ſich leicht zum Witz
einbuͤcken, wie ein Rieſe zum Zwerg, aber nicht
dieſer ſich zu jenem aufrichten. In Frankreich iſt
die Nation witzig, bei uns die Elite.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/316>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.