Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

und beide Strümpfe, um ihnen das Bewegen
einigermaßen unmöglich zu machen, so werden von
Jugend auf unsern innern Menschen alle Glieder
zusammengenäht, damit ruhiger Nexus vorliege
und der Mann sich mehr im Ganzen bewege.
Aber Himmel, welche Spiele könnten wir gewin¬
nen, wenn wir mit unseren einsamen Ideen ro¬
chiren
könnten.

Zu neuen Zeiten gehören durchaus freie;
zu diesen wieder gleiche; und nur der Witz
gibt uns Freiheit, indem er Gleichgewicht vorher¬
gibt. Er ist für den Geist, was für die Scheide¬
kunst Feuer und Wasser ist. Chemica non agunt
nisi soluta
, das ist, nur die Flüssigkeit gibt die
Freiheit zu neuer Gestaltung, oder, nur entbun¬
dene Körper schaffen neue. Besinnt sich ein Au¬
tor zum Beispiel bei Sommerflecken des Gesichts
auf Herbst-, Lenz-, Winterflecken desselben, so
offenbart er dadurch wenigstens ein freies Be¬
schauen, welches sich nicht in den Gegenstand ein¬
gekerkert verliert und vertieft.

Uns fehlt zwar Geschmack für den Witz, aber
gar nicht die Anlage zu ihm. Wir haben Phan¬
tasie; und die Phantasie kann sich leicht zum Witz
einbücken, wie ein Riese zum Zwerg, aber nicht
dieser sich zu jenem aufrichten. In Frankreich ist
die Nation witzig, bei uns die Elite.

und beide Struͤmpfe, um ihnen das Bewegen
einigermaßen unmoͤglich zu machen, ſo werden von
Jugend auf unſern innern Menſchen alle Glieder
zuſammengenaͤht, damit ruhiger Nexus vorliege
und der Mann ſich mehr im Ganzen bewege.
Aber Himmel, welche Spiele koͤnnten wir gewin¬
nen, wenn wir mit unſeren einſamen Ideen ro¬
chiren
koͤnnten.

Zu neuen Zeiten gehoͤren durchaus freie;
zu dieſen wieder gleiche; und nur der Witz
gibt uns Freiheit, indem er Gleichgewicht vorher¬
gibt. Er iſt fuͤr den Geiſt, was fuͤr die Scheide¬
kunſt Feuer und Waſſer iſt. Chemica non agunt
nisi soluta
, das iſt, nur die Fluͤſſigkeit gibt die
Freiheit zu neuer Geſtaltung, oder, nur entbun¬
dene Koͤrper ſchaffen neue. Beſinnt ſich ein Au¬
tor zum Beiſpiel bei Sommerflecken des Geſichts
auf Herbſt-‚ Lenz-, Winterflecken deſſelben, ſo
offenbart er dadurch wenigſtens ein freies Be¬
ſchauen, welches ſich nicht in den Gegenſtand ein¬
gekerkert verliert und vertieft.

Uns fehlt zwar Geſchmack fuͤr den Witz, aber
gar nicht die Anlage zu ihm. Wir haben Phan¬
taſie; und die Phantaſie kann ſich leicht zum Witz
einbuͤcken, wie ein Rieſe zum Zwerg, aber nicht
dieſer ſich zu jenem aufrichten. In Frankreich iſt
die Nation witzig, bei uns die Elite.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0316" n="302"/>
und beide Stru&#x0364;mpfe, um ihnen das Bewegen<lb/>
einigermaßen unmo&#x0364;glich zu machen, &#x017F;o werden von<lb/>
Jugend auf un&#x017F;ern innern Men&#x017F;chen alle Glieder<lb/>
zu&#x017F;ammengena&#x0364;ht, damit ruhiger Nexus vorliege<lb/>
und der Mann &#x017F;ich mehr im Ganzen bewege.<lb/>
Aber Himmel, welche Spiele ko&#x0364;nnten wir gewin¬<lb/>
nen, wenn wir mit un&#x017F;eren ein&#x017F;amen Ideen <hi rendition="#g">ro¬<lb/>
chiren</hi> ko&#x0364;nnten.</p><lb/>
        <p>Zu <hi rendition="#g">neuen</hi> Zeiten geho&#x0364;ren durchaus <hi rendition="#g">freie</hi>;<lb/>
zu <hi rendition="#g">die&#x017F;en</hi> wieder <hi rendition="#g">gleiche</hi>; und nur der Witz<lb/>
gibt uns Freiheit, indem er Gleichgewicht vorher¬<lb/>
gibt. Er i&#x017F;t fu&#x0364;r den Gei&#x017F;t, was fu&#x0364;r die Scheide¬<lb/>
kun&#x017F;t Feuer und Wa&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t. <hi rendition="#aq">Chemica non agunt<lb/>
nisi soluta</hi>, das i&#x017F;t, nur die Flu&#x0364;&#x017F;&#x017F;igkeit gibt die<lb/>
Freiheit zu neuer Ge&#x017F;taltung, oder, nur entbun¬<lb/>
dene Ko&#x0364;rper &#x017F;chaffen neue. Be&#x017F;innt &#x017F;ich ein Au¬<lb/>
tor zum Bei&#x017F;piel bei Sommerflecken des Ge&#x017F;ichts<lb/>
auf Herb&#x017F;t-&#x201A; Lenz-, Winterflecken de&#x017F;&#x017F;elben, &#x017F;o<lb/>
offenbart er dadurch wenig&#x017F;tens ein freies Be¬<lb/>
&#x017F;chauen, welches &#x017F;ich nicht in den Gegen&#x017F;tand ein¬<lb/>
gekerkert verliert und vertieft.</p><lb/>
        <p>Uns fehlt zwar Ge&#x017F;chmack fu&#x0364;r den Witz, aber<lb/>
gar nicht die Anlage zu ihm. Wir haben Phan¬<lb/>
ta&#x017F;ie; und die Phanta&#x017F;ie kann &#x017F;ich leicht zum Witz<lb/>
einbu&#x0364;cken, wie ein Rie&#x017F;e zum Zwerg, aber nicht<lb/>
die&#x017F;er &#x017F;ich zu jenem aufrichten. In Frankreich i&#x017F;t<lb/>
die Nation witzig, bei uns die Elite.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[302/0316] und beide Struͤmpfe, um ihnen das Bewegen einigermaßen unmoͤglich zu machen, ſo werden von Jugend auf unſern innern Menſchen alle Glieder zuſammengenaͤht, damit ruhiger Nexus vorliege und der Mann ſich mehr im Ganzen bewege. Aber Himmel, welche Spiele koͤnnten wir gewin¬ nen, wenn wir mit unſeren einſamen Ideen ro¬ chiren koͤnnten. Zu neuen Zeiten gehoͤren durchaus freie; zu dieſen wieder gleiche; und nur der Witz gibt uns Freiheit, indem er Gleichgewicht vorher¬ gibt. Er iſt fuͤr den Geiſt, was fuͤr die Scheide¬ kunſt Feuer und Waſſer iſt. Chemica non agunt nisi soluta, das iſt, nur die Fluͤſſigkeit gibt die Freiheit zu neuer Geſtaltung, oder, nur entbun¬ dene Koͤrper ſchaffen neue. Beſinnt ſich ein Au¬ tor zum Beiſpiel bei Sommerflecken des Geſichts auf Herbſt-‚ Lenz-, Winterflecken deſſelben, ſo offenbart er dadurch wenigſtens ein freies Be¬ ſchauen, welches ſich nicht in den Gegenſtand ein¬ gekerkert verliert und vertieft. Uns fehlt zwar Geſchmack fuͤr den Witz, aber gar nicht die Anlage zu ihm. Wir haben Phan¬ taſie; und die Phantaſie kann ſich leicht zum Witz einbuͤcken, wie ein Rieſe zum Zwerg, aber nicht dieſer ſich zu jenem aufrichten. In Frankreich iſt die Nation witzig, bei uns die Elite.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/316
Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/316>, abgerufen am 21.11.2024.