Meine absicht in diesem buche ist es, zu einem urteile über den wert der aristotelischen Politie zu gelangen, den absoluten, als werk des Aristoteles für seine zeit und für sein volk, und den relativen, für unsere forschung nach der staatsverfassung und geschichte Athens. dies ziel zu erreichen habe ich keinen andern weg gewusst, als das buch zu analysiren, zu fragen: wo weiss Aristoteles das her was er sagt, weiss er es überhaupt, oder redet er es andern nach ohne geprüft zu haben. und da gliederte sich die untersuchung nach den schriftstellern, be- nannten oder unbenannten, welche Aristoteles benutzt hat, oder es mussten zusammenhängende gleichartige teile seines werkes einzeln ab- gehandelt, auch die nachwirkung des buches im altertum kurz klargestellt werden, ehe ich mich getrauen durfte das facit zu ziehen, mochte ein mehr oder minder bestimmtes meinen auch schon vorher dasselbe ziemlich, nicht ganz, ähnlich erfasst haben. allem aber voran muss ein capitel gehen, das das feste gerüst der zeitrechnung aufzeigt, durch welches der ganze geschichtliche teil zusammengehalten wird. die titel der capitel lassen vielleicht keine überlegte disposition des stoffes er- kennen; sie ist aber vorhanden, und wenn ich bitten darf, so lese man in der reihenfolge, wie ich die einzelnen untersuchungen angeordnet habe.
Aristoteles rechnet ausschliesslich nach attischen amtsjahren; er hatDas jahr des Aristoteles. selbst eine archontenliste vor sich und setzt sie in den händen oder dem gedächtnisse seiner leser voraus. die tatsache springt in die augen, und sie ist selbst nicht minder wichtig als ihre consequenzen. nirgend ist irgend ein datum auf irgend ein astronomisch richtiges jahr, nirgend auf irgend eine andere zeitrechnung oder jahrzählung gestellt. weder jahreszeiten noch sternphasen noch jahre nach Troias fall noch jahre olympischer feste kommen vor, was doch alles bei Thukydides der fall
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1. CHRONOLOGIE.
Meine absicht in diesem buche ist es, zu einem urteile über den wert der aristotelischen Politie zu gelangen, den absoluten, als werk des Aristoteles für seine zeit und für sein volk, und den relativen, für unsere forschung nach der staatsverfassung und geschichte Athens. dies ziel zu erreichen habe ich keinen andern weg gewuſst, als das buch zu analysiren, zu fragen: wo weiſs Aristoteles das her was er sagt, weiſs er es überhaupt, oder redet er es andern nach ohne geprüft zu haben. und da gliederte sich die untersuchung nach den schriftstellern, be- nannten oder unbenannten, welche Aristoteles benutzt hat, oder es muſsten zusammenhängende gleichartige teile seines werkes einzeln ab- gehandelt, auch die nachwirkung des buches im altertum kurz klargestellt werden, ehe ich mich getrauen durfte das facit zu ziehen, mochte ein mehr oder minder bestimmtes meinen auch schon vorher dasselbe ziemlich, nicht ganz, ähnlich erfaſst haben. allem aber voran muſs ein capitel gehen, das das feste gerüst der zeitrechnung aufzeigt, durch welches der ganze geschichtliche teil zusammengehalten wird. die titel der capitel lassen vielleicht keine überlegte disposition des stoffes er- kennen; sie ist aber vorhanden, und wenn ich bitten darf, so lese man in der reihenfolge, wie ich die einzelnen untersuchungen angeordnet habe.
Aristoteles rechnet ausschlieſslich nach attischen amtsjahren; er hatDas jahr des Aristoteles. selbst eine archontenliste vor sich und setzt sie in den händen oder dem gedächtnisse seiner leser voraus. die tatsache springt in die augen, und sie ist selbst nicht minder wichtig als ihre consequenzen. nirgend ist irgend ein datum auf irgend ein astronomisch richtiges jahr, nirgend auf irgend eine andere zeitrechnung oder jahrzählung gestellt. weder jahreszeiten noch sternphasen noch jahre nach Troias fall noch jahre olympischer feste kommen vor, was doch alles bei Thukydides der fall
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CHRONOLOGIE.
Meine absicht in diesem buche ist es, zu einem urteile über den
wert der aristotelischen Politie zu gelangen, den absoluten, als werk des
Aristoteles für seine zeit und für sein volk, und den relativen, für unsere
forschung nach der staatsverfassung und geschichte Athens. dies ziel
zu erreichen habe ich keinen andern weg gewuſst, als das buch zu
analysiren, zu fragen: wo weiſs Aristoteles das her was er sagt, weiſs
er es überhaupt, oder redet er es andern nach ohne geprüft zu haben.
und da gliederte sich die untersuchung nach den schriftstellern, be-
nannten oder unbenannten, welche Aristoteles benutzt hat, oder es
muſsten zusammenhängende gleichartige teile seines werkes einzeln ab-
gehandelt, auch die nachwirkung des buches im altertum kurz klargestellt
werden, ehe ich mich getrauen durfte das facit zu ziehen, mochte
ein mehr oder minder bestimmtes meinen auch schon vorher dasselbe
ziemlich, nicht ganz, ähnlich erfaſst haben. allem aber voran muſs ein
capitel gehen, das das feste gerüst der zeitrechnung aufzeigt, durch
welches der ganze geschichtliche teil zusammengehalten wird. die titel
der capitel lassen vielleicht keine überlegte disposition des stoffes er-
kennen; sie ist aber vorhanden, und wenn ich bitten darf, so lese man
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Aristoteles rechnet ausschlieſslich nach attischen amtsjahren; er hat
selbst eine archontenliste vor sich und setzt sie in den händen oder
dem gedächtnisse seiner leser voraus. die tatsache springt in die augen,
und sie ist selbst nicht minder wichtig als ihre consequenzen. nirgend
ist irgend ein datum auf irgend ein astronomisch richtiges jahr, nirgend
auf irgend eine andere zeitrechnung oder jahrzählung gestellt. weder
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Aristoteles.
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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/17>, abgerufen am 21.11.2024.
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