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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Zweite reihe der losbeamten.
eponym ist, war offenbar schon im sechsten jahrhundert dorthin ge-
sandt und trug seinen namen als träger des vollen imperiums wie seine
collegen in Athen, bestimmt die insel zu verteidigen und verwaltung
und gericht über kleruchen und untertanen zu üben. nach mehr als
zweihundert jahren mochte die insel freilich den eindruck machen, nicht
anders attisch zu sein als die tetrapolis, deren bewohner es zu den
ordentlichen behörden und gerichten der stadt weiter hatten. da war
der archon von Salamis nur noch eine pfründe.

Dagegen lernen wir in dem staatlich ernannten demarchen des
Peiraieus eine sehr merkwürdige neuerung kennen. Aristoteles sagt von
ihm nur, dass er, wie der archon in Salamis, Dionysien ausrichtet und
choregen für sie bestellt, und es ist ganz logisch, dass der staat, wenn
er ein gemeindefest übernimmt, auch selbst den spielleitenden beamten
bestimmt. aber dass die ländlichen Dionysien der gemeinde Peiraieus
staatsfest sind, können wir erst aus der lykurgischen zeit belegen.91) nun
kann doch aber unmöglich neben diesem von den Athenern gesetzten
demarchen noch ein von den Piraeern gesetzter bestanden haben, zumal
für die festleitung der name demarch sehr wenig passt. der staat hat
also hier in die selbstverwaltung einer einzelgemeinde eingegriffen und
getan, was auch der unsere ausnahmsweise tut, den bürgermeister selbst
ernannt. mag ihm das fest den anlass gegeben haben, die sache hat
viel tiefere bedeutung. die hafenstadt war zu gross und zu wichtig, als
dass man ihre executivbeamten den gefahren der vetterschaft und der
corruption aussetzen durfte, die eine dorfwahl mit sich bringt. da der
hafen vom staate erbaut war, die stadt durch volksbeschluss angelegt,
nach festem plan ihre strassen tracirt, wasserleitungen gebaut waren,
das ganze in den festungswerken lag, so war die polizeiverwaltung in
den händen staatlicher behörden, strategen, astynomen, agoranomen u. s. w.

91) CIA II 741 aus dem jahre 334/3 und den folgenden. der wol unterrichtete
verfasser der Lykurgvita setzt nicht diese einrichtung, sondern die stiftung eines
musischen agones für Poseidon im Peiraieus auf die rechnung seines helden; so
sind die Dionusia en Peiraiei doch wol früher verstaatlicht. das theater in Munichia
ist alt; aber dass die Paralia dort neben Dionysos sitzen kann, deutet auf sehr alte,
uns nicht mehr kenntliche cultverbindungen (Mitteil. XIII 221). der Peiraieus und seine
culte (Zeus Soter, Aphrodite, Asklepios, Poseidon, Bendis, Göttermutter) sind neu,
Munichia ist alt, und zu den alten göttern gehört Dionysos: als häuser und mauern ihn
bedeckten, pflanzte man keine reben mehr an dem hügel. alt wird auch das Paionion
sein (Krates Theria 2) im gegensatze zu dem Asklepieion, und vielleicht darf man dahin
die singuläre glosse beziehn Bekk. An. 299, 14 Paionia topos en o theatron en opou
agona epeteloun. Hesych hat die kaum hergehörige epiklesis 'Paionios Dionusos'.

Zweite reihe der losbeamten.
eponym ist, war offenbar schon im sechsten jahrhundert dorthin ge-
sandt und trug seinen namen als träger des vollen imperiums wie seine
collegen in Athen, bestimmt die insel zu verteidigen und verwaltung
und gericht über kleruchen und untertanen zu üben. nach mehr als
zweihundert jahren mochte die insel freilich den eindruck machen, nicht
anders attisch zu sein als die tetrapolis, deren bewohner es zu den
ordentlichen behörden und gerichten der stadt weiter hatten. da war
der archon von Salamis nur noch eine pfründe.

Dagegen lernen wir in dem staatlich ernannten demarchen des
Peiraieus eine sehr merkwürdige neuerung kennen. Aristoteles sagt von
ihm nur, daſs er, wie der archon in Salamis, Dionysien ausrichtet und
choregen für sie bestellt, und es ist ganz logisch, daſs der staat, wenn
er ein gemeindefest übernimmt, auch selbst den spielleitenden beamten
bestimmt. aber daſs die ländlichen Dionysien der gemeinde Peiraieus
staatsfest sind, können wir erst aus der lykurgischen zeit belegen.91) nun
kann doch aber unmöglich neben diesem von den Athenern gesetzten
demarchen noch ein von den Piraeern gesetzter bestanden haben, zumal
für die festleitung der name demarch sehr wenig paſst. der staat hat
also hier in die selbstverwaltung einer einzelgemeinde eingegriffen und
getan, was auch der unsere ausnahmsweise tut, den bürgermeister selbst
ernannt. mag ihm das fest den anlaſs gegeben haben, die sache hat
viel tiefere bedeutung. die hafenstadt war zu groſs und zu wichtig, als
daſs man ihre executivbeamten den gefahren der vetterschaft und der
corruption aussetzen durfte, die eine dorfwahl mit sich bringt. da der
hafen vom staate erbaut war, die stadt durch volksbeschluſs angelegt,
nach festem plan ihre straſsen tracirt, wasserleitungen gebaut waren,
das ganze in den festungswerken lag, so war die polizeiverwaltung in
den händen staatlicher behörden, strategen, astynomen, agoranomen u. s. w.

91) CIA II 741 aus dem jahre 334/3 und den folgenden. der wol unterrichtete
verfasser der Lykurgvita setzt nicht diese einrichtung, sondern die stiftung eines
musischen agones für Poseidon im Peiraieus auf die rechnung seines helden; so
sind die Διονύσια ἐν Πειϱαιεῖ doch wol früher verstaatlicht. das theater in Munichia
ist alt; aber daſs die Παϱαλία dort neben Dionysos sitzen kann, deutet auf sehr alte,
uns nicht mehr kenntliche cultverbindungen (Mitteil. XIII 221). der Peiraieus und seine
culte (Zeus Soter, Aphrodite, Asklepios, Poseidon, Bendis, Göttermutter) sind neu,
Munichia ist alt, und zu den alten göttern gehört Dionysos: als häuser und mauern ihn
bedeckten, pflanzte man keine reben mehr an dem hügel. alt wird auch das Παιώνιον
sein (Krates Θηϱία 2) im gegensatze zu dem Asklepieion, und vielleicht darf man dahin
die singuläre glosse beziehn Bekk. An. 299, 14 Παιωνία τόπος ἐν ᾧ ϑέατϱον ἦν ὅπου
ἀγῶνα ἐπετέλουν. Hesych hat die kaum hergehörige ἐπίκλησις ‘Παιώνιος Διόνυσος’.
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[231/0245] Zweite reihe der losbeamten. eponym ist, war offenbar schon im sechsten jahrhundert dorthin ge- sandt und trug seinen namen als träger des vollen imperiums wie seine collegen in Athen, bestimmt die insel zu verteidigen und verwaltung und gericht über kleruchen und untertanen zu üben. nach mehr als zweihundert jahren mochte die insel freilich den eindruck machen, nicht anders attisch zu sein als die tetrapolis, deren bewohner es zu den ordentlichen behörden und gerichten der stadt weiter hatten. da war der archon von Salamis nur noch eine pfründe. Dagegen lernen wir in dem staatlich ernannten demarchen des Peiraieus eine sehr merkwürdige neuerung kennen. Aristoteles sagt von ihm nur, daſs er, wie der archon in Salamis, Dionysien ausrichtet und choregen für sie bestellt, und es ist ganz logisch, daſs der staat, wenn er ein gemeindefest übernimmt, auch selbst den spielleitenden beamten bestimmt. aber daſs die ländlichen Dionysien der gemeinde Peiraieus staatsfest sind, können wir erst aus der lykurgischen zeit belegen. 91) nun kann doch aber unmöglich neben diesem von den Athenern gesetzten demarchen noch ein von den Piraeern gesetzter bestanden haben, zumal für die festleitung der name demarch sehr wenig paſst. der staat hat also hier in die selbstverwaltung einer einzelgemeinde eingegriffen und getan, was auch der unsere ausnahmsweise tut, den bürgermeister selbst ernannt. mag ihm das fest den anlaſs gegeben haben, die sache hat viel tiefere bedeutung. die hafenstadt war zu groſs und zu wichtig, als daſs man ihre executivbeamten den gefahren der vetterschaft und der corruption aussetzen durfte, die eine dorfwahl mit sich bringt. da der hafen vom staate erbaut war, die stadt durch volksbeschluſs angelegt, nach festem plan ihre straſsen tracirt, wasserleitungen gebaut waren, das ganze in den festungswerken lag, so war die polizeiverwaltung in den händen staatlicher behörden, strategen, astynomen, agoranomen u. s. w. 91) CIA II 741 aus dem jahre 334/3 und den folgenden. der wol unterrichtete verfasser der Lykurgvita setzt nicht diese einrichtung, sondern die stiftung eines musischen agones für Poseidon im Peiraieus auf die rechnung seines helden; so sind die Διονύσια ἐν Πειϱαιεῖ doch wol früher verstaatlicht. das theater in Munichia ist alt; aber daſs die Παϱαλία dort neben Dionysos sitzen kann, deutet auf sehr alte, uns nicht mehr kenntliche cultverbindungen (Mitteil. XIII 221). der Peiraieus und seine culte (Zeus Soter, Aphrodite, Asklepios, Poseidon, Bendis, Göttermutter) sind neu, Munichia ist alt, und zu den alten göttern gehört Dionysos: als häuser und mauern ihn bedeckten, pflanzte man keine reben mehr an dem hügel. alt wird auch das Παιώνιον sein (Krates Θηϱία 2) im gegensatze zu dem Asklepieion, und vielleicht darf man dahin die singuläre glosse beziehn Bekk. An. 299, 14 Παιωνία τόπος ἐν ᾧ ϑέατϱον ἦν ὅπου ἀγῶνα ἐπετέλουν. Hesych hat die kaum hergehörige ἐπίκλησις ‘Παιώνιος Διόνυσος’.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/245>, abgerufen am 23.11.2024.