Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.I. 7. Die verfassung. Thesmo- Es ist auf den ersten blick klar, dass eine classe fehlt, graphai 117) Gestört ist dieser satz zuerst nur durch eine der häufigen glossirungen, die um der vollständigkeit oder übersichtlichkeit des satzes willen ein wort wiederholten. es war das verbum eisagousin voraufgenommen, weil es hinter drei accusativen erst steht, und es war mit dem falschen zusatze eis ton demon versehn, zu dem die erwähnung der eisangelie verleitete: Aristoteles hatte eis to dikasterion zuzu- setzen für überflüssig gehalten. in diesem harmlosen zustande lesen wir das glossem in den scholien zu Platon und Aischines. der papyrus gibt es in der weiteren ver- derbnis eisaggellousin eis ton demon, und so Harpokration Photius Pollux, denen man gern glauben möchte. aber es ergibt sich eine fülle von verstössen gegen die prinzipien des staatsrechts. die beamten haben in der volksversammlung nichts zu suchen; der verkehr mit dem volke geht über den rat. der bürger hat das recht in dringender sache des allgemeinen woles sich direct an die gemeinde zu wenden; ist sie nicht versammelt, so ist ja der rat ihr vertreter. das volk hat notorisch die eisangelie, wenn es sie annahm, den thesmotheten zur aburteilung vor gericht über- geben: das muss Aristoteles sagen, das steht aber nicht da. dagegen steht da, dass die thesmotheten diese sachen vor das volk brachten: das ist in keinem falle nach- weisbar. mich dünkt es ist erfreulich, dass sich diese rechtliche anomalie durch eine textbehandlung erledigt, zu der uns die überlieferung selbst die handweisung gibt. 118) Vgl. Logos und Euthuna am ende. 119) Zuversichtlich rede ich deshalb nicht, weil mir unverständlich ist, wie
bei der klage wegen ehebruchs und was mit ihr zusammenhängt parastasis er- fordert sein konnte, bei ubris nicht. einen sinn hat sie nur bei den vorhergehenden klagen. also kann die nachlässigkeit des Aristoteles grösser gewesen sein, nicht sowol eine ganze gruppe fortgelassen als zweie vermischt, und ubris und moikheia können wirklich zusammengehören. I. 7. Die verfassung. Thesmo- Es ist auf den ersten blick klar, daſs eine classe fehlt, γϱαφαὶ 117) Gestört ist dieser satz zuerst nur durch eine der häufigen glossirungen, die um der vollständigkeit oder übersichtlichkeit des satzes willen ein wort wiederholten. es war das verbum εἰσάγουσιν voraufgenommen, weil es hinter drei accusativen erst steht, und es war mit dem falschen zusatze εἰς τὸν δῆμον versehn, zu dem die erwähnung der eisangelie verleitete: Aristoteles hatte εἰς τὸ δικαστήϱιον zuzu- setzen für überflüssig gehalten. in diesem harmlosen zustande lesen wir das glossem in den scholien zu Platon und Aischines. der papyrus gibt es in der weiteren ver- derbnis εἰσαγγέλλουσιν εἰς τὸν δῆμον, und so Harpokration Photius Pollux, denen man gern glauben möchte. aber es ergibt sich eine fülle von verstöſsen gegen die prinzipien des staatsrechts. die beamten haben in der volksversammlung nichts zu suchen; der verkehr mit dem volke geht über den rat. der bürger hat das recht in dringender sache des allgemeinen woles sich direct an die gemeinde zu wenden; ist sie nicht versammelt, so ist ja der rat ihr vertreter. das volk hat notorisch die eisangelie, wenn es sie annahm, den thesmotheten zur aburteilung vor gericht über- geben: das muſs Aristoteles sagen, das steht aber nicht da. dagegen steht da, daſs die thesmotheten diese sachen vor das volk brachten: das ist in keinem falle nach- weisbar. mich dünkt es ist erfreulich, daſs sich diese rechtliche anomalie durch eine textbehandlung erledigt, zu der uns die überlieferung selbst die handweisung gibt. 118) Vgl. Λόγος und Εὔϑυνα am ende. 119) Zuversichtlich rede ich deshalb nicht, weil mir unverständlich ist, wie
bei der klage wegen ehebruchs und was mit ihr zusammenhängt παϱάστασις er- fordert sein konnte, bei ὕβϱις nicht. einen sinn hat sie nur bei den vorhergehenden klagen. also kann die nachlässigkeit des Aristoteles gröſser gewesen sein, nicht sowol eine ganze gruppe fortgelassen als zweie vermischt, und ὕβϱις und μοιχεία können wirklich zusammengehören. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0258" n="244"/> <fw place="top" type="header">I. 7. Die verfassung.</fw><lb/> <p><note place="left">Thesmo-<lb/> theten.</note>Von den thesmotheten (59) gibt Aristoteles nach der verfügung über<lb/> gerichtstage und gerichtshöfe die vorstandschaft in folgenden proceſs-<lb/> gattungen an: 1) in allen, deren einleitung auf besondern volksbeschluſs<lb/> geschieht, oder die sich auf die verhandlungen des volkes beziehen<note place="foot" n="117)">Gestört ist dieser satz zuerst nur durch eine der häufigen glossirungen, die<lb/> um der vollständigkeit oder übersichtlichkeit des satzes willen ein wort wiederholten.<lb/> es war das verbum εἰσάγουσιν voraufgenommen, weil es hinter drei accusativen<lb/> erst steht, und es war mit dem falschen zusatze εἰς τὸν δῆμον versehn, zu dem die<lb/> erwähnung der eisangelie verleitete: Aristoteles hatte εἰς τὸ δικαστήϱιον zuzu-<lb/> setzen für überflüssig gehalten. in diesem harmlosen zustande lesen wir das glossem<lb/> in den scholien zu Platon und Aischines. der papyrus gibt es in der weiteren ver-<lb/> derbnis εἰσαγγέλλουσιν εἰς τὸν δῆμον, und so Harpokration Photius Pollux, denen<lb/> man gern glauben möchte. aber es ergibt sich eine fülle von verstöſsen gegen die<lb/> prinzipien des staatsrechts. die beamten haben in der volksversammlung nichts zu<lb/> suchen; der verkehr mit dem volke geht über den rat. der bürger hat das recht<lb/> in dringender sache des allgemeinen woles sich direct an die gemeinde zu wenden;<lb/> ist sie nicht versammelt, so ist ja der rat ihr vertreter. das volk hat notorisch die<lb/> eisangelie, wenn es sie annahm, den thesmotheten zur aburteilung vor gericht über-<lb/> geben: das muſs Aristoteles sagen, das steht aber nicht da. dagegen steht da, daſs<lb/> die thesmotheten diese sachen vor das volk brachten: das ist in keinem falle nach-<lb/> weisbar. mich dünkt es ist erfreulich, daſs sich diese rechtliche anomalie durch<lb/> eine textbehandlung erledigt, zu der uns die überlieferung selbst die handweisung gibt.</note>;<lb/> dazu steht als corollar die rechenschaft der strategen, weil sie sehr oft<lb/> in der form der καταχειϱοτονία verordnet ward.<note place="foot" n="118)">Vgl. Λόγος und Εὔϑυνα am ende.</note> 2) die schrift-<lb/> klagen, für die ein succumbenzgeld erlegt wird. 3) wahlprüfungen und<lb/> vorurteile der einzelgemeinden oder des rates: die analogie mit 1 ist<lb/> klar, und sie stünden besser vereinigt. 4) ein par privatklagen. 5) die<lb/> klagen auf grund der cartellverträge mit andern staaten, deren formeller<lb/> abschluſs den thesmotheten auch noch zufiel, 6) die in areopagitischen<lb/> processen anhängig gemachten klagen wegen falschen zeugnisses.</p><lb/> <p>Es ist auf den ersten blick klar, daſs eine classe fehlt, γϱαφαὶ<lb/> ὧν παϱάστασις οὐ τίϑεται, und abgesehen von dem einen titel ὕβϱεως,<lb/> der in einigen grammatikercitaten der aristotelischen aufzählung fälsch-<lb/> lich eingereiht zu sein scheint<note place="foot" n="119)">Zuversichtlich rede ich deshalb nicht, weil mir unverständlich ist, wie<lb/> bei der klage wegen ehebruchs und was mit ihr zusammenhängt παϱάστασις er-<lb/> fordert sein konnte, bei ὕβϱις nicht. einen sinn hat sie nur bei den vorhergehenden<lb/> klagen. also kann die nachlässigkeit des Aristoteles gröſser gewesen sein, nicht<lb/> sowol eine ganze gruppe fortgelassen als zweie vermischt, und ὕβϱις und μοιχεία<lb/> können wirklich zusammengehören.</note>, aber vielmehr hierher gehört, genügt<lb/> ein blick in den Attischen proceſs, um sich zu überzeugen, daſs Aristo-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [244/0258]
I. 7. Die verfassung.
Von den thesmotheten (59) gibt Aristoteles nach der verfügung über
gerichtstage und gerichtshöfe die vorstandschaft in folgenden proceſs-
gattungen an: 1) in allen, deren einleitung auf besondern volksbeschluſs
geschieht, oder die sich auf die verhandlungen des volkes beziehen 117);
dazu steht als corollar die rechenschaft der strategen, weil sie sehr oft
in der form der καταχειϱοτονία verordnet ward. 118) 2) die schrift-
klagen, für die ein succumbenzgeld erlegt wird. 3) wahlprüfungen und
vorurteile der einzelgemeinden oder des rates: die analogie mit 1 ist
klar, und sie stünden besser vereinigt. 4) ein par privatklagen. 5) die
klagen auf grund der cartellverträge mit andern staaten, deren formeller
abschluſs den thesmotheten auch noch zufiel, 6) die in areopagitischen
processen anhängig gemachten klagen wegen falschen zeugnisses.
Thesmo-
theten.
Es ist auf den ersten blick klar, daſs eine classe fehlt, γϱαφαὶ
ὧν παϱάστασις οὐ τίϑεται, und abgesehen von dem einen titel ὕβϱεως,
der in einigen grammatikercitaten der aristotelischen aufzählung fälsch-
lich eingereiht zu sein scheint 119), aber vielmehr hierher gehört, genügt
ein blick in den Attischen proceſs, um sich zu überzeugen, daſs Aristo-
117) Gestört ist dieser satz zuerst nur durch eine der häufigen glossirungen, die
um der vollständigkeit oder übersichtlichkeit des satzes willen ein wort wiederholten.
es war das verbum εἰσάγουσιν voraufgenommen, weil es hinter drei accusativen
erst steht, und es war mit dem falschen zusatze εἰς τὸν δῆμον versehn, zu dem die
erwähnung der eisangelie verleitete: Aristoteles hatte εἰς τὸ δικαστήϱιον zuzu-
setzen für überflüssig gehalten. in diesem harmlosen zustande lesen wir das glossem
in den scholien zu Platon und Aischines. der papyrus gibt es in der weiteren ver-
derbnis εἰσαγγέλλουσιν εἰς τὸν δῆμον, und so Harpokration Photius Pollux, denen
man gern glauben möchte. aber es ergibt sich eine fülle von verstöſsen gegen die
prinzipien des staatsrechts. die beamten haben in der volksversammlung nichts zu
suchen; der verkehr mit dem volke geht über den rat. der bürger hat das recht
in dringender sache des allgemeinen woles sich direct an die gemeinde zu wenden;
ist sie nicht versammelt, so ist ja der rat ihr vertreter. das volk hat notorisch die
eisangelie, wenn es sie annahm, den thesmotheten zur aburteilung vor gericht über-
geben: das muſs Aristoteles sagen, das steht aber nicht da. dagegen steht da, daſs
die thesmotheten diese sachen vor das volk brachten: das ist in keinem falle nach-
weisbar. mich dünkt es ist erfreulich, daſs sich diese rechtliche anomalie durch
eine textbehandlung erledigt, zu der uns die überlieferung selbst die handweisung gibt.
118) Vgl. Λόγος und Εὔϑυνα am ende.
119) Zuversichtlich rede ich deshalb nicht, weil mir unverständlich ist, wie
bei der klage wegen ehebruchs und was mit ihr zusammenhängt παϱάστασις er-
fordert sein konnte, bei ὕβϱις nicht. einen sinn hat sie nur bei den vorhergehenden
klagen. also kann die nachlässigkeit des Aristoteles gröſser gewesen sein, nicht
sowol eine ganze gruppe fortgelassen als zweie vermischt, und ὕβϱις und μοιχεία
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