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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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I. 9. Die geltung des buches in der späteren zeit.
emisesen o demos tous l oste kai pros ten onomasian tou arith-
mou duskherainein. vereinzelt können mehrere dieser stellen zu der
annahme verführen, dass unser Aristotelestext lückenhaft wäre; wenn man
sie alle überblickt, kommt man davon zurück. endlich die paragraphen
85. 86 berühren sich zwar ganz eng mit Ar. 55, allein es steht manches
anders da, manches hat Aristoteles an anderm orte (8), endlich hat er
das amtsinsigne des kranzes als unwesentlich, das recht der archonten,
einen der einen verbotenen ort betritt zu töten, ohne zweifel deshalb
übergangen, weil es obsolet war; mindestens die ephesis eis dikaste-
rion konnte nicht ausgeschlossen sein. hier also ist vielmehr der fall
zu constatiren, dass die beiden vorlagen des Pollux im wesentlichen
stimmten, weil sie dasselbe officielle material verarbeiteten.

Die professoren der rhetorik, wie Pollux einer war, deren aufgabe
es war, die liebe jugend mit dem griechisch und den attischen antiqui-
täten bekannt zu machen, deren sie bedurfte, um im zeitgeschmack zu
reden und zu schreiben, hatten den Aristoteles in ihrer bibliothek. aber
wer es selbst als productiver 'redner und schriftsteller' zu etwas brachte,
brauchte sich mit diesem wie mit jedem über die phrase und den stil
hinausgehenden wissen nicht zu bemühen. selbst bei leuten wie Lucian,
den Philostraten, Aelian15), fehlen seine spuren. classisch war das
buch doch nicht geworden. der gefeierteste aller sophisten, Aristides,
hat allerdings einmal hineingesehen und eine phrase über Solon in die
rede für die vier staatsmänner hinübergenommen16), ohne doch beim
Themistokles mit einem worte auf Aristoteles zu deuten, und als er die
für seine bornirte eitelkeit vielleicht bezeichnendste rede über das
selbstlob (peri tou paraphthegmatos) schrieb, fiel ihm ein, dass an eben
der stelle solonische verse stünden, die er als ein selbstlob auffassen durfte.
da hat er denn eine ganze reihe citate aus cap. 12 abgeschrieben.17)

15) Gellius II 12 gebärdet sich, als übersetzte er eine stelle der Politie. aber
was er gibt, verwaschenes weitläuftiges gerede statt einer praecisen gesetzesformel,
zeigt, dass er irgend welche elende überarbeitung von einem phrasenhaften mittels-
mann überkommen hatte.
16) II 360 Ddf. aus Ar. 11, 2 nachgewiesen von Mayor bei Kenyon.3 schon
auf der nächsten seite, wo die elegie Salamis berührt wird, ist eine andere
quelle benutzt, z. b. Plutarch. aber hier ist die übereinstimmung des ausdrucks
schlagend.
17) II 536 Ddf. da er nur verse anführt, die bei Aristoteles stehn, und sie
in derselben reihenfolge anführt, kann ich die sache nur so auffassen. bei Plu-
tarch stehen sie nicht alle, und dass Aristides aus den gedichten just dasselbe wie
Aristoteles gegriffen hätte, wäre gar zu sonderbar.

I. 9. Die geltung des buches in der späteren zeit.
ἐμίσησεν ὁ δῆμος τοὺς λ΄ ὥστε καὶ πϱὸς τὴν ὀνομασίαν τοῦ ἀϱιϑ-
μοῦ δυσχεϱαίνειν. vereinzelt können mehrere dieser stellen zu der
annahme verführen, daſs unser Aristotelestext lückenhaft wäre; wenn man
sie alle überblickt, kommt man davon zurück. endlich die paragraphen
85. 86 berühren sich zwar ganz eng mit Ar. 55, allein es steht manches
anders da, manches hat Aristoteles an anderm orte (8), endlich hat er
das amtsinsigne des kranzes als unwesentlich, das recht der archonten,
einen der einen verbotenen ort betritt zu töten, ohne zweifel deshalb
übergangen, weil es obsolet war; mindestens die ἔφεσις εἰς δικαστή-
ϱιον konnte nicht ausgeschlossen sein. hier also ist vielmehr der fall
zu constatiren, daſs die beiden vorlagen des Pollux im wesentlichen
stimmten, weil sie dasselbe officielle material verarbeiteten.

Die professoren der rhetorik, wie Pollux einer war, deren aufgabe
es war, die liebe jugend mit dem griechisch und den attischen antiqui-
täten bekannt zu machen, deren sie bedurfte, um im zeitgeschmack zu
reden und zu schreiben, hatten den Aristoteles in ihrer bibliothek. aber
wer es selbst als productiver ‘redner und schriftsteller’ zu etwas brachte,
brauchte sich mit diesem wie mit jedem über die phrase und den stil
hinausgehenden wissen nicht zu bemühen. selbst bei leuten wie Lucian,
den Philostraten, Aelian15), fehlen seine spuren. classisch war das
buch doch nicht geworden. der gefeierteste aller sophisten, Aristides,
hat allerdings einmal hineingesehen und eine phrase über Solon in die
rede für die vier staatsmänner hinübergenommen16), ohne doch beim
Themistokles mit einem worte auf Aristoteles zu deuten, und als er die
für seine bornirte eitelkeit vielleicht bezeichnendste rede über das
selbstlob (πεϱὶ τοῦ παϱαφϑέγματος) schrieb, fiel ihm ein, daſs an eben
der stelle solonische verse stünden, die er als ein selbstlob auffassen durfte.
da hat er denn eine ganze reihe citate aus cap. 12 abgeschrieben.17)

15) Gellius II 12 gebärdet sich, als übersetzte er eine stelle der Politie. aber
was er gibt, verwaschenes weitläuftiges gerede statt einer praecisen gesetzesformel,
zeigt, daſs er irgend welche elende überarbeitung von einem phrasenhaften mittels-
mann überkommen hatte.
16) II 360 Ddf. aus Ar. 11, 2 nachgewiesen von Mayor bei Kenyon.3 schon
auf der nächsten seite, wo die elegie Salamis berührt wird, ist eine andere
quelle benutzt, z. b. Plutarch. aber hier ist die übereinstimmung des ausdrucks
schlagend.
17) II 536 Ddf. da er nur verse anführt, die bei Aristoteles stehn, und sie
in derselben reihenfolge anführt, kann ich die sache nur so auffassen. bei Plu-
tarch stehen sie nicht alle, und daſs Aristides aus den gedichten just dasselbe wie
Aristoteles gegriffen hätte, wäre gar zu sonderbar.
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[298/0312] I. 9. Die geltung des buches in der späteren zeit. ἐμίσησεν ὁ δῆμος τοὺς λ΄ ὥστε καὶ πϱὸς τὴν ὀνομασίαν τοῦ ἀϱιϑ- μοῦ δυσχεϱαίνειν. vereinzelt können mehrere dieser stellen zu der annahme verführen, daſs unser Aristotelestext lückenhaft wäre; wenn man sie alle überblickt, kommt man davon zurück. endlich die paragraphen 85. 86 berühren sich zwar ganz eng mit Ar. 55, allein es steht manches anders da, manches hat Aristoteles an anderm orte (8), endlich hat er das amtsinsigne des kranzes als unwesentlich, das recht der archonten, einen der einen verbotenen ort betritt zu töten, ohne zweifel deshalb übergangen, weil es obsolet war; mindestens die ἔφεσις εἰς δικαστή- ϱιον konnte nicht ausgeschlossen sein. hier also ist vielmehr der fall zu constatiren, daſs die beiden vorlagen des Pollux im wesentlichen stimmten, weil sie dasselbe officielle material verarbeiteten. Die professoren der rhetorik, wie Pollux einer war, deren aufgabe es war, die liebe jugend mit dem griechisch und den attischen antiqui- täten bekannt zu machen, deren sie bedurfte, um im zeitgeschmack zu reden und zu schreiben, hatten den Aristoteles in ihrer bibliothek. aber wer es selbst als productiver ‘redner und schriftsteller’ zu etwas brachte, brauchte sich mit diesem wie mit jedem über die phrase und den stil hinausgehenden wissen nicht zu bemühen. selbst bei leuten wie Lucian, den Philostraten, Aelian 15), fehlen seine spuren. classisch war das buch doch nicht geworden. der gefeierteste aller sophisten, Aristides, hat allerdings einmal hineingesehen und eine phrase über Solon in die rede für die vier staatsmänner hinübergenommen 16), ohne doch beim Themistokles mit einem worte auf Aristoteles zu deuten, und als er die für seine bornirte eitelkeit vielleicht bezeichnendste rede über das selbstlob (πεϱὶ τοῦ παϱαφϑέγματος) schrieb, fiel ihm ein, daſs an eben der stelle solonische verse stünden, die er als ein selbstlob auffassen durfte. da hat er denn eine ganze reihe citate aus cap. 12 abgeschrieben. 17) 15) Gellius II 12 gebärdet sich, als übersetzte er eine stelle der Politie. aber was er gibt, verwaschenes weitläuftiges gerede statt einer praecisen gesetzesformel, zeigt, daſs er irgend welche elende überarbeitung von einem phrasenhaften mittels- mann überkommen hatte. 16) II 360 Ddf. aus Ar. 11, 2 nachgewiesen von Mayor bei Kenyon.3 schon auf der nächsten seite, wo die elegie Salamis berührt wird, ist eine andere quelle benutzt, z. b. Plutarch. aber hier ist die übereinstimmung des ausdrucks schlagend. 17) II 536 Ddf. da er nur verse anführt, die bei Aristoteles stehn, und sie in derselben reihenfolge anführt, kann ich die sache nur so auffassen. bei Plu- tarch stehen sie nicht alle, und daſs Aristides aus den gedichten just dasselbe wie Aristoteles gegriffen hätte, wäre gar zu sonderbar.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/312>, abgerufen am 24.11.2024.