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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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I. 9. Die geltung des buches in der späteren zeit.
hatte von der attischen Politie keine veranlassung zu reden, vornehmlich
deshalb, weil er die Atthis selbst zu rate zog; aber auch die kretische
hat er so wenig herangezogen wie Polybios-Panaitios, sondern Ephoros
ist ihr gewährsmann. die lokrische hat die angriffe des Timaios erfahren
und deshalb die verteidigung des Polybios, und es konnte nicht aus-
bleiben, dass einzelne nummern der grossen sammlung nicht durch
reichere oder bequemere concurrenzbücher in den schatten gestellt
wurden, und hie und da mancherlei aus ihnen angeführt ward. im
ganzen jedoch sind die Politien als fundgrube der alten localgeschichte
noch einigermassen, ihre staatsrechtlichen teile und die aus ihnen abzu-
leitenden politischen gedanken kaum irgendwo, die der attischen nirgend
benutzt worden.

Dies erklärt sich freilich von selbst für jene jahrhunderte, wo die
grossen königreiche und dann die grössere römische republik dem prakti-
schen politiker ungleich bedeutendere objecte der forschung oder betrach-
tung boten, die politische theorie aber in den bahnen des kosmopolitismus
oder der negation des staates, sei es vom epikureischen, sei es vom ky-
nischen standpunkte aus sich bewegte. ist aber die wirkung des buches
unmittelbar nach seinem erscheinen stärker gewesen? das buch lässt
sich von der lehre nicht trennen, und die lehre des Aristoteles hat
durch Antipatros und Demetrios gerade in Athen selbst triumphirt. die
Politik aber und die Politien und die Barbarensitten haben in der peri-
patetischen schriftstellerei der nächsten generation ihre fortsetzung und
umbildung erfahren, und insofern ist ihre wirkung ungeheuer. allein
ein so epochemachendes ereignis wie das erscheinen der grossen werke
von Herodotos Hellanikos Thukydides Ephoros sind sie nicht gewesen.
vor dem publicum hat ersichtlich die isokrateische schule über die peri-
patetische auf dem gebiete der historiographie den sieg davongetragen,
die zusammenfassende weltgeschichte über die monographieen. im 2.
jahrhundert n. Chr. verschwindet Ephoros ziemlich gleichzeitig mit dem
aufkommen der Politien; leider kann man darin nicht einen sieg der
wissenschaftlichkeit sehen, da es vielmehr der matte archaismus ist, dem
Ephoros zu voluminös für die schule war.

Gerade das verhältnis der Politien zu Ephoros ist in diametral
entgegengesetztem sinne mit gleich apodiktischer sicherheit mehrfach be-
urteilt worden. die entdeckung der Politie der Athener lässt auch in
dieser streitfrage ein urteil zu, über die ich noch kurz zuvor auf dem
katheder ein entschiedenes epekho gesprochen hatte, weil ich nicht bloss
eine partei gehört hatte.

I. 9. Die geltung des buches in der späteren zeit.
hatte von der attischen Politie keine veranlassung zu reden, vornehmlich
deshalb, weil er die Atthis selbst zu rate zog; aber auch die kretische
hat er so wenig herangezogen wie Polybios-Panaitios, sondern Ephoros
ist ihr gewährsmann. die lokrische hat die angriffe des Timaios erfahren
und deshalb die verteidigung des Polybios, und es konnte nicht aus-
bleiben, daſs einzelne nummern der groſsen sammlung nicht durch
reichere oder bequemere concurrenzbücher in den schatten gestellt
wurden, und hie und da mancherlei aus ihnen angeführt ward. im
ganzen jedoch sind die Politien als fundgrube der alten localgeschichte
noch einigermaſsen, ihre staatsrechtlichen teile und die aus ihnen abzu-
leitenden politischen gedanken kaum irgendwo, die der attischen nirgend
benutzt worden.

Dies erklärt sich freilich von selbst für jene jahrhunderte, wo die
groſsen königreiche und dann die gröſsere römische republik dem prakti-
schen politiker ungleich bedeutendere objecte der forschung oder betrach-
tung boten, die politische theorie aber in den bahnen des kosmopolitismus
oder der negation des staates, sei es vom epikureischen, sei es vom ky-
nischen standpunkte aus sich bewegte. ist aber die wirkung des buches
unmittelbar nach seinem erscheinen stärker gewesen? das buch läſst
sich von der lehre nicht trennen, und die lehre des Aristoteles hat
durch Antipatros und Demetrios gerade in Athen selbst triumphirt. die
Politik aber und die Politien und die Barbarensitten haben in der peri-
patetischen schriftstellerei der nächsten generation ihre fortsetzung und
umbildung erfahren, und insofern ist ihre wirkung ungeheuer. allein
ein so epochemachendes ereignis wie das erscheinen der groſsen werke
von Herodotos Hellanikos Thukydides Ephoros sind sie nicht gewesen.
vor dem publicum hat ersichtlich die isokrateische schule über die peri-
patetische auf dem gebiete der historiographie den sieg davongetragen,
die zusammenfassende weltgeschichte über die monographieen. im 2.
jahrhundert n. Chr. verschwindet Ephoros ziemlich gleichzeitig mit dem
aufkommen der Politien; leider kann man darin nicht einen sieg der
wissenschaftlichkeit sehen, da es vielmehr der matte archaismus ist, dem
Ephoros zu voluminös für die schule war.

Gerade das verhältnis der Politien zu Ephoros ist in diametral
entgegengesetztem sinne mit gleich apodiktischer sicherheit mehrfach be-
urteilt worden. die entdeckung der Politie der Athener läſst auch in
dieser streitfrage ein urteil zu, über die ich noch kurz zuvor auf dem
katheder ein entschiedenes ἐπέχω gesprochen hatte, weil ich nicht bloſs
eine partei gehört hatte.

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[304/0318] I. 9. Die geltung des buches in der späteren zeit. hatte von der attischen Politie keine veranlassung zu reden, vornehmlich deshalb, weil er die Atthis selbst zu rate zog; aber auch die kretische hat er so wenig herangezogen wie Polybios-Panaitios, sondern Ephoros ist ihr gewährsmann. die lokrische hat die angriffe des Timaios erfahren und deshalb die verteidigung des Polybios, und es konnte nicht aus- bleiben, daſs einzelne nummern der groſsen sammlung nicht durch reichere oder bequemere concurrenzbücher in den schatten gestellt wurden, und hie und da mancherlei aus ihnen angeführt ward. im ganzen jedoch sind die Politien als fundgrube der alten localgeschichte noch einigermaſsen, ihre staatsrechtlichen teile und die aus ihnen abzu- leitenden politischen gedanken kaum irgendwo, die der attischen nirgend benutzt worden. Dies erklärt sich freilich von selbst für jene jahrhunderte, wo die groſsen königreiche und dann die gröſsere römische republik dem prakti- schen politiker ungleich bedeutendere objecte der forschung oder betrach- tung boten, die politische theorie aber in den bahnen des kosmopolitismus oder der negation des staates, sei es vom epikureischen, sei es vom ky- nischen standpunkte aus sich bewegte. ist aber die wirkung des buches unmittelbar nach seinem erscheinen stärker gewesen? das buch läſst sich von der lehre nicht trennen, und die lehre des Aristoteles hat durch Antipatros und Demetrios gerade in Athen selbst triumphirt. die Politik aber und die Politien und die Barbarensitten haben in der peri- patetischen schriftstellerei der nächsten generation ihre fortsetzung und umbildung erfahren, und insofern ist ihre wirkung ungeheuer. allein ein so epochemachendes ereignis wie das erscheinen der groſsen werke von Herodotos Hellanikos Thukydides Ephoros sind sie nicht gewesen. vor dem publicum hat ersichtlich die isokrateische schule über die peri- patetische auf dem gebiete der historiographie den sieg davongetragen, die zusammenfassende weltgeschichte über die monographieen. im 2. jahrhundert n. Chr. verschwindet Ephoros ziemlich gleichzeitig mit dem aufkommen der Politien; leider kann man darin nicht einen sieg der wissenschaftlichkeit sehen, da es vielmehr der matte archaismus ist, dem Ephoros zu voluminös für die schule war. Gerade das verhältnis der Politien zu Ephoros ist in diametral entgegengesetztem sinne mit gleich apodiktischer sicherheit mehrfach be- urteilt worden. die entdeckung der Politie der Athener läſst auch in dieser streitfrage ein urteil zu, über die ich noch kurz zuvor auf dem katheder ein entschiedenes ἐπέχω gesprochen hatte, weil ich nicht bloſs eine partei gehört hatte.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/318>, abgerufen am 24.11.2024.