Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.Athen 338--323. darin hat allerdings wol die rücksicht auf die eigene stellung als fremderund makedonischer untertan den freimut des Aristoteles gebunden. aber wie der beredsamkeit, so spürt man auch dem attischen staate gegen- über, dass er als ein fertiger mann mit fertigen urteilen 335 zurück- gekehrt war. er hat höchstens noch ein äusserliches auge für die neu- bildungen des politischen lebens um sich her gehabt. und doch bot die lykurgische zeit, in der er lebte, gerade für den theoretiker der ver- fassung Athens des merkwürdigen ungleich mehr als die ideenarme zeit des Kallistratos und Aristophon. Es ist dies nicht der ort und ich wäre auch nicht genügend vor- stimmung gefunden, und stellt meiner deutung der stelle 1411a 31 das prognostikon,
dass sie das nicht tun werde. das werde ich ertragen, wenn sie nur so richtig ist wie die Schölls ungeheuerlich. ich habe allerorten die überlieferung gehalten: Schöll ändert bei dem falschen Lysias, ändert bei Aristoteles, er lässt den Aristoteles eine rede citiren, die er nicht gehört hat und die nicht publicirt worden ist, und citiren wie er bücher citirt, en to epitaphio, gleich als ob dieser epitaphios der par excellence gewesen wäre. das ist eine seltsame sorte von probabitität. aber für noch viel stärker halte ich es, dass er so den Aristoteles dem demagogen eine huldigung erweisen lässt, die nur unter geschichtlichen voraussetzungen möglich wäre, von denen denn doch die spuren kenntlich sein müssten, die wahrhaftig eben so unerfindlich sind wie der demosthenische epitaphios. Athen 338—323. darin hat allerdings wol die rücksicht auf die eigene stellung als fremderund makedonischer untertan den freimut des Aristoteles gebunden. aber wie der beredsamkeit, so spürt man auch dem attischen staate gegen- über, daſs er als ein fertiger mann mit fertigen urteilen 335 zurück- gekehrt war. er hat höchstens noch ein äuſserliches auge für die neu- bildungen des politischen lebens um sich her gehabt. und doch bot die lykurgische zeit, in der er lebte, gerade für den theoretiker der ver- fassung Athens des merkwürdigen ungleich mehr als die ideenarme zeit des Kallistratos und Aristophon. Es ist dies nicht der ort und ich wäre auch nicht genügend vor- stimmung gefunden, und stellt meiner deutung der stelle 1411a 31 das prognostikon,
daſs sie das nicht tun werde. das werde ich ertragen, wenn sie nur so richtig ist wie die Schölls ungeheuerlich. ich habe allerorten die überlieferung gehalten: Schöll ändert bei dem falschen Lysias, ändert bei Aristoteles, er läſst den Aristoteles eine rede citiren, die er nicht gehört hat und die nicht publicirt worden ist, und citiren wie er bücher citirt, ἐν τῷ ἐπιταφίῳ, gleich als ob dieser epitaphios der par excellence gewesen wäre. das ist eine seltsame sorte von probabitität. aber für noch viel stärker halte ich es, daſs er so den Aristoteles dem demagogen eine huldigung erweisen läſst, die nur unter geschichtlichen voraussetzungen möglich wäre, von denen denn doch die spuren kenntlich sein müſsten, die wahrhaftig eben so unerfindlich sind wie der demosthenische epitaphios. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0365" n="351"/><fw place="top" type="header">Athen 338—323.</fw><lb/> darin hat allerdings wol die rücksicht auf die eigene stellung als fremder<lb/> und makedonischer untertan den freimut des Aristoteles gebunden. aber<lb/> wie der beredsamkeit, so spürt man auch dem attischen staate gegen-<lb/> über, daſs er als ein fertiger mann mit fertigen urteilen 335 zurück-<lb/> gekehrt war. er hat höchstens noch ein äuſserliches auge für die neu-<lb/> bildungen des politischen lebens um sich her gehabt. und doch bot die<lb/> lykurgische zeit, in der er lebte, gerade für den theoretiker der ver-<lb/> fassung Athens des merkwürdigen ungleich mehr als die ideenarme zeit<lb/> des Kallistratos und Aristophon.</p><lb/> <p>Es ist dies nicht der ort und ich wäre auch nicht genügend vor-<lb/> bereitet die restaurationspolitik zu schildern, die 338 anhebt; es wird<lb/> eine eben so anziehende wie lohnende aufgabe sein, die einzelnen züge<lb/> die man den inschriften massenweise entnehmen kann, zu einem vollen<lb/> bilde zu vereinen. Athen hatte seine groſsmachtstellung verloren, aber<lb/> wenn es aus sich selbst noch die kraft schöpfen konnte, auf eine solche<lb/> berechtigten anspruch zu erheben, so war ihm dazu der weg nicht ver-<lb/> legt. die makedonische partei in Athen hat weder 338 selbst noch<lb/> nachher je das heft in die hände bekommen; Demades ist mit nichten<lb/> bloſs ein söldling der könige, so wenig wie Demosthenes ein söldling<lb/> Persiens ist, von wo er geld genug bekommen hat. aber auch die radikalen<lb/> patrioten wurden nicht nur 338 beiseite geschoben, sondern auch weiter-<lb/> hin niedergehalten. selbstverständlich mochte man sie nicht preisgeben,<lb/> denn patriotisch war auch die regierung; aber sie war besonnen genug,<lb/> sich auf den boden der verträge zu stellen und die kräfte zu wägen.<lb/> nur besaſs sie nicht die macht, das souveräne volk zu verhindern,<lb/> sich an den groſsen worten zu berauschen, und so gab es immer<lb/> wieder krisen, und in der letzten, nach Alexandros tod, ist der<lb/> staat zu grunde gegangen. die politik der restauration ist weder von<lb/> Phokion und Aischines noch von Demosthenes und Hypereides ge-<lb/><note xml:id="note-0365" prev="#note-0364a" place="foot" n="46)">stimmung gefunden, und stellt meiner deutung der stelle 1411<hi rendition="#sup">a</hi> 31 das prognostikon,<lb/> daſs sie das nicht tun werde. das werde ich ertragen, wenn sie nur so richtig ist<lb/> wie die Schölls ungeheuerlich. ich habe allerorten die überlieferung gehalten: Schöll<lb/> ändert bei dem falschen Lysias, ändert bei Aristoteles, er läſst den Aristoteles eine<lb/> rede citiren, die er nicht gehört hat und die nicht publicirt worden ist, und citiren<lb/> wie er bücher citirt, ἐν τῷ ἐπιταφίῳ, gleich als ob dieser epitaphios der par<lb/> excellence gewesen wäre. das ist eine seltsame sorte von probabitität. aber für<lb/> noch viel stärker halte ich es, daſs er so den Aristoteles dem demagogen eine<lb/> huldigung erweisen läſst, die nur unter geschichtlichen voraussetzungen möglich<lb/> wäre, von denen denn doch die spuren kenntlich sein müſsten, die wahrhaftig eben<lb/> so unerfindlich sind wie der demosthenische epitaphios.</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [351/0365]
Athen 338—323.
darin hat allerdings wol die rücksicht auf die eigene stellung als fremder
und makedonischer untertan den freimut des Aristoteles gebunden. aber
wie der beredsamkeit, so spürt man auch dem attischen staate gegen-
über, daſs er als ein fertiger mann mit fertigen urteilen 335 zurück-
gekehrt war. er hat höchstens noch ein äuſserliches auge für die neu-
bildungen des politischen lebens um sich her gehabt. und doch bot die
lykurgische zeit, in der er lebte, gerade für den theoretiker der ver-
fassung Athens des merkwürdigen ungleich mehr als die ideenarme zeit
des Kallistratos und Aristophon.
Es ist dies nicht der ort und ich wäre auch nicht genügend vor-
bereitet die restaurationspolitik zu schildern, die 338 anhebt; es wird
eine eben so anziehende wie lohnende aufgabe sein, die einzelnen züge
die man den inschriften massenweise entnehmen kann, zu einem vollen
bilde zu vereinen. Athen hatte seine groſsmachtstellung verloren, aber
wenn es aus sich selbst noch die kraft schöpfen konnte, auf eine solche
berechtigten anspruch zu erheben, so war ihm dazu der weg nicht ver-
legt. die makedonische partei in Athen hat weder 338 selbst noch
nachher je das heft in die hände bekommen; Demades ist mit nichten
bloſs ein söldling der könige, so wenig wie Demosthenes ein söldling
Persiens ist, von wo er geld genug bekommen hat. aber auch die radikalen
patrioten wurden nicht nur 338 beiseite geschoben, sondern auch weiter-
hin niedergehalten. selbstverständlich mochte man sie nicht preisgeben,
denn patriotisch war auch die regierung; aber sie war besonnen genug,
sich auf den boden der verträge zu stellen und die kräfte zu wägen.
nur besaſs sie nicht die macht, das souveräne volk zu verhindern,
sich an den groſsen worten zu berauschen, und so gab es immer
wieder krisen, und in der letzten, nach Alexandros tod, ist der
staat zu grunde gegangen. die politik der restauration ist weder von
Phokion und Aischines noch von Demosthenes und Hypereides ge-
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46) stimmung gefunden, und stellt meiner deutung der stelle 1411a 31 das prognostikon,
daſs sie das nicht tun werde. das werde ich ertragen, wenn sie nur so richtig ist
wie die Schölls ungeheuerlich. ich habe allerorten die überlieferung gehalten: Schöll
ändert bei dem falschen Lysias, ändert bei Aristoteles, er läſst den Aristoteles eine
rede citiren, die er nicht gehört hat und die nicht publicirt worden ist, und citiren
wie er bücher citirt, ἐν τῷ ἐπιταφίῳ, gleich als ob dieser epitaphios der par
excellence gewesen wäre. das ist eine seltsame sorte von probabitität. aber für
noch viel stärker halte ich es, daſs er so den Aristoteles dem demagogen eine
huldigung erweisen läſst, die nur unter geschichtlichen voraussetzungen möglich
wäre, von denen denn doch die spuren kenntlich sein müſsten, die wahrhaftig eben
so unerfindlich sind wie der demosthenische epitaphios.
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