Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.Der beste staat. der schluss der Ethik. sich nahen, menschenfreundlich aber im dünkel der persönlichen über-legenen herablassung, wie die kyniker, noch sich davon nehmen, was dem eigenen wolbefinden genügte, selbstsüchtig ausscheidend wie die hedoniker. er fühlte sich dem staate wie er war gegenüber so fremd wie der philosoph des Theaetet, aber sein herz schlug warm von menschen- liebe und vaterlandsliebe, er fühlte sich als der wissende, der nicht helfen darf, als der steuermann, der das schiff nicht retten darf, weil man ihn nicht an das ruder lässt. so rief er der welt sein metanoeite zu und schuf eine gesellschaft, in der eine seele, eine reine seele, seine seele wohnen sollte, nach seinem bilde, frei aus seinem geiste. das ist ein en geworden, wie es werden sollte; das schwebt und leuchtet, wie die sternengötter droben, im reinen aether mit ewig jungem glanze. so etwas lässt sich nicht nachmachen. aber es erträgt, ja es fordert neben sich die ergänzung durch die beobachtung, prüfung und würdi- gung des bestehenden. diese ergänzung zu liefern war Aristoteles der rechte mann, und darum kam er erst in sein rechtes fahrwasser, als er die fülle der gegebenen erscheinungen überschaute, verglich und nach dem massstabe der grundlegenden begriffsbestimmungen abschätzte. mit andern worten, er musste die Politien schreiben oder doch den stoff für sie sammeln und auf diesem materiale die untersuchungen anstellen, die in den büchern DEZ vorliegen: dass diese die Politien voraussetzen, zeigen sie selbst auf schritt und tritt. wir müssen nur nie vergessen, dass einmal auch hier ältere partien, in ABG auch jüngere stehen, und dass die vorlesungen mit dem als vorhanden rechnen, was für die schule vorhanden ist, deshalb aber noch nicht auch für das publikum vorhanden zu sein brauchte. Sowol über dieses verhältnis zwischen den Politien und der Politik Der beste staat. der schluſs der Ethik. sich nahen, menschenfreundlich aber im dünkel der persönlichen über-legenen herablassung, wie die kyniker, noch sich davon nehmen, was dem eigenen wolbefinden genügte, selbstsüchtig ausscheidend wie die hedoniker. er fühlte sich dem staate wie er war gegenüber so fremd wie der philosoph des Theaetet, aber sein herz schlug warm von menschen- liebe und vaterlandsliebe, er fühlte sich als der wissende, der nicht helfen darf, als der steuermann, der das schiff nicht retten darf, weil man ihn nicht an das ruder läſst. so rief er der welt sein μετανοεῖτε zu und schuf eine gesellschaft, in der eine seele, eine reine seele, seine seele wohnen sollte, nach seinem bilde, frei aus seinem geiste. das ist ein ἕν geworden, wie es werden sollte; das schwebt und leuchtet, wie die sternengötter droben, im reinen aether mit ewig jungem glanze. so etwas läſst sich nicht nachmachen. aber es erträgt, ja es fordert neben sich die ergänzung durch die beobachtung, prüfung und würdi- gung des bestehenden. diese ergänzung zu liefern war Aristoteles der rechte mann, und darum kam er erst in sein rechtes fahrwasser, als er die fülle der gegebenen erscheinungen überschaute, verglich und nach dem maſsstabe der grundlegenden begriffsbestimmungen abschätzte. mit andern worten, er muſste die Politien schreiben oder doch den stoff für sie sammeln und auf diesem materiale die untersuchungen anstellen, die in den büchern ΔΕΖ vorliegen: daſs diese die Politien voraussetzen, zeigen sie selbst auf schritt und tritt. wir müssen nur nie vergessen, daſs einmal auch hier ältere partien, in ΑΒΓ auch jüngere stehen, und daſs die vorlesungen mit dem als vorhanden rechnen, was für die schule vorhanden ist, deshalb aber noch nicht auch für das publikum vorhanden zu sein brauchte. 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Aristoteles hätte gleich sagen können,<lb/> er müſste ein πολιτικός sein, wenn er nicht eine scharf polemische<lb/> auseinandersetzung mit zwei anderen richtungen neben sich in sinne<lb/> hätte. deshalb fährt er vielmehr so fort: “man sollte annehmen, gesetze<lb/> zu geben, könnte man bei den berufspolitikern, den πολιτικοί, lernen.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [359/0373]
Der beste staat. der schluſs der Ethik.
sich nahen, menschenfreundlich aber im dünkel der persönlichen über-
legenen herablassung, wie die kyniker, noch sich davon nehmen, was
dem eigenen wolbefinden genügte, selbstsüchtig ausscheidend wie die
hedoniker. er fühlte sich dem staate wie er war gegenüber so fremd
wie der philosoph des Theaetet, aber sein herz schlug warm von menschen-
liebe und vaterlandsliebe, er fühlte sich als der wissende, der nicht
helfen darf, als der steuermann, der das schiff nicht retten darf, weil
man ihn nicht an das ruder läſst. so rief er der welt sein μετανοεῖτε
zu und schuf eine gesellschaft, in der eine seele, eine reine seele, seine
seele wohnen sollte, nach seinem bilde, frei aus seinem geiste. das ist
ein ἕν geworden, wie es werden sollte; das schwebt und leuchtet, wie
die sternengötter droben, im reinen aether mit ewig jungem glanze.
so etwas läſst sich nicht nachmachen. aber es erträgt, ja es fordert
neben sich die ergänzung durch die beobachtung, prüfung und würdi-
gung des bestehenden. diese ergänzung zu liefern war Aristoteles der
rechte mann, und darum kam er erst in sein rechtes fahrwasser, als er
die fülle der gegebenen erscheinungen überschaute, verglich und nach
dem maſsstabe der grundlegenden begriffsbestimmungen abschätzte. mit
andern worten, er muſste die Politien schreiben oder doch den stoff
für sie sammeln und auf diesem materiale die untersuchungen anstellen,
die in den büchern ΔΕΖ vorliegen: daſs diese die Politien voraussetzen,
zeigen sie selbst auf schritt und tritt. wir müssen nur nie vergessen,
daſs einmal auch hier ältere partien, in ΑΒΓ auch jüngere stehen, und
daſs die vorlesungen mit dem als vorhanden rechnen, was für die schule
vorhanden ist, deshalb aber noch nicht auch für das publikum vorhanden
zu sein brauchte.
Sowol über dieses verhältnis zwischen den Politien und der Politik
wie über das was er mit beiden leisten wollte unterrichtet uns der
schluſs der Ethik mit aller wünschenswerten bestimmtheit. die erörte-
rungen, die er mit dem namen ethik umfaſst, haben ihn schlieſslich zu
dem geständnis geführt, daſs es eigentlich doch auf das sittliche handeln
ankomme. wie aber wird das erzielt? dazu braucht man die zucht
des staates, der gesetze. wer also das volk zur sittlichkeit und dem-
nach auch zum glücke führen will, muſs sich darauf verstehen gesetze
zu geben, muſs ein νομοϑετικός sein. Aristoteles hätte gleich sagen können,
er müſste ein πολιτικός sein, wenn er nicht eine scharf polemische
auseinandersetzung mit zwei anderen richtungen neben sich in sinne
hätte. deshalb fährt er vielmehr so fort: “man sollte annehmen, gesetze
zu geben, könnte man bei den berufspolitikern, den πολιτικοί, lernen.
Der schluſs
der Ethik.
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Zitationshilfe: | Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/373>, abgerufen am 16.02.2025. |