Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.Eine oligarchische quelle. Kallias war nicht so harmlos, wie man nach den aristophanischen stellenwähnen mag: der process des Andokides und die unfreundliche rück- sicht, die ihm Xenophon zollt, beweist es. die hauptgefahr lag freilich wol in seiner familienverbindung mit Alkibiades. so führt diese ver- läumdung dazu, ihre entstehung in den kreisen der attischen oligarchie zu suchen, unter den dreissig. 33) die demokratischen verteidiger, die den betrug zugeben, aber den Solon persönlich entschuldigen, sind notwendig später als die verläumder aufgetreten und waren leute der bekannten gutartigen aber kritiklosen sorte, die statt das factum zu bestreiten oder beweis dafür zu fordern, ihm durch eine schwächliche ausrede die spitze abzubiegen versuchen. 34) auf die dreissig weist mit sicherheit die in- sinuation absichtlicher unklarheit in den gesetzen, um dem processiren vorschub zu leisten. denn Aristoteles selbst berichtet, dass die dreissig um die macht der volksgerichte zu brechen, die clauseln der solonischen gesetze beseitigt hätten, und benutzt dafür dasselbe beispiel aus dem erbrecht (35, 2 35): wenn eben dieses bei Plutarch (21) unter den be- 33) Ob der spitzname khreokopidai, den Plutarch auch gibt, alt ist, mag ich nicht entscheiden, denn der name steht in einem nachtrage am ende des capitels; er ist für die manipulation des Konon und genossen nicht bezeichnend, und khreo- kopein für 'wucherzins nehmen' scheint kein altattisches wort zu sein. -- die ent- deckung, dass khreokopidai nach Ermokopidai gebildet sein müsste, erweckt die hoffnung auf die überraschendsten aufschlüsse über attische geschichte. denn demo- kopein und boulokopidai ist dann offenbar auch erst mit beziehung auf die hermo- kopiden gesagt, vielleicht auch artokopos. umgekehrt wird ein schuh daraus. uns ist der name Hermokopiden geläufig, aber nicht aus Thukydides oder Andokides, sondern aus Plutarch Alkib. 20. 21, und der gelehrte gewährsmann desselben hat den namen aus der Komoedie genommen, in der wir ihn einmal lesen, Ar. Lysistr. 1094, und Philochoros (schol. Vög. 766) hat ihn dieser volkstümlichen aber spöttischen rede entlehnt. der rhetorischen geschichtsschreibung ist er fremd. die Komoedie aber, gewöhnt an bildungen wie spoudarkhidai, Apodrasippides, Nummosexpal- ponides und an die composita mit metaphorisch gebrauchtem koptein wie boulokopidai u. dgl., liess sich den scherznamen, in dem koptein ganz eigentlich stehn konnte, nicht entgehn. 34) Androtion ist hieran unschuldig. da er die seisachthie in der münzreform sah, musste er die ganze geschichte in jeder form verwerfen. dass er bei Aristo- teles nicht vorliegt, folgt zudem daraus, dass seine berücksichtigung im zehnten capitel wenig geschickt nachgetragen wird. 35) Platon Ges. XI 923 verwirft zwar die solonische ordnung auch, aber nicht
indem er die freie vererbung gestattet, wie sein onkel Kritias, sondern indem er die verfügung in ähnlicher weise wie in unsern fideicommissen beschränkt, und wenn er auf das gesetz (mit den worten ean tis umas thopeiais upodramon en nosois e gera saleuontas para to beltiston diatithesthai peithe) hindeutet, um Eine oligarchische quelle. Kallias war nicht so harmlos, wie man nach den aristophanischen stellenwähnen mag: der proceſs des Andokides und die unfreundliche rück- sicht, die ihm Xenophon zollt, beweist es. die hauptgefahr lag freilich wol in seiner familienverbindung mit Alkibiades. so führt diese ver- läumdung dazu, ihre entstehung in den kreisen der attischen oligarchie zu suchen, unter den dreiſsig. 33) die demokratischen verteidiger, die den betrug zugeben, aber den Solon persönlich entschuldigen, sind notwendig später als die verläumder aufgetreten und waren leute der bekannten gutartigen aber kritiklosen sorte, die statt das factum zu bestreiten oder beweis dafür zu fordern, ihm durch eine schwächliche ausrede die spitze abzubiegen versuchen. 34) auf die dreiſsig weist mit sicherheit die in- sinuation absichtlicher unklarheit in den gesetzen, um dem processiren vorschub zu leisten. denn Aristoteles selbst berichtet, daſs die dreiſsig um die macht der volksgerichte zu brechen, die clauseln der solonischen gesetze beseitigt hätten, und benutzt dafür dasselbe beispiel aus dem erbrecht (35, 2 35): wenn eben dieses bei Plutarch (21) unter den be- 33) Ob der spitzname χϱεωκοπίδαι, den Plutarch auch gibt, alt ist, mag ich nicht entscheiden, denn der name steht in einem nachtrage am ende des capitels; er ist für die manipulation des Konon und genossen nicht bezeichnend, und χϱεω- κοπεῖν für ‘wucherzins nehmen’ scheint kein altattisches wort zu sein. — die ent- deckung, daſs χϱεωκοπίδαι nach Ἑϱμοκοπίδαι gebildet sein müſste, erweckt die hoffnung auf die überraschendsten aufschlüsse über attische geschichte. denn δημο- κοπεῖν und βουλοκοπίδαι ist dann offenbar auch erst mit beziehung auf die hermo- kopiden gesagt, vielleicht auch ἀϱτοκόπος. umgekehrt wird ein schuh daraus. uns ist der name Hermokopiden geläufig, aber nicht aus Thukydides oder Andokides, sondern aus Plutarch Alkib. 20. 21, und der gelehrte gewährsmann desselben hat den namen aus der Komoedie genommen, in der wir ihn einmal lesen, Ar. Lysistr. 1094, und Philochoros (schol. Vög. 766) hat ihn dieser volkstümlichen aber spöttischen rede entlehnt. der rhetorischen geschichtsschreibung ist er fremd. die Komoedie aber, gewöhnt an bildungen wie σπουδαϱχίδαι, Ἀποδϱασιππίδης, Nummosexpal- ponides und an die composita mit metaphorisch gebrauchtem κόπτειν wie βουλοκοπίδαι u. dgl., lieſs sich den scherznamen, in dem κόπτειν ganz eigentlich stehn konnte, nicht entgehn. 34) Androtion ist hieran unschuldig. da er die seisachthie in der münzreform sah, muſste er die ganze geschichte in jeder form verwerfen. daſs er bei Aristo- teles nicht vorliegt, folgt zudem daraus, daſs seine berücksichtigung im zehnten capitel wenig geschickt nachgetragen wird. 35) Platon Ges. XI 923 verwirft zwar die solonische ordnung auch, aber nicht
indem er die freie vererbung gestattet, wie sein onkel Kritias, sondern indem er die verfügung in ähnlicher weise wie in unsern fideicommissen beschränkt, und wenn er auf das gesetz (mit den worten ἐάν τις ὑμᾶς ϑωπείαις ὑποδϱαμὼν ἐν νόσοις ἢ γήϱᾳ σαλεύοντας παϱὰ τὸ βέλτιστον διατίϑεσϑαι πείϑῃ) hindeutet, um <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0077" n="63"/><fw place="top" type="header">Eine oligarchische quelle.</fw><lb/> Kallias war nicht so harmlos, wie man nach den aristophanischen stellen<lb/> wähnen mag: der proceſs des Andokides und die unfreundliche rück-<lb/> sicht, die ihm Xenophon zollt, beweist es. die hauptgefahr lag freilich<lb/> wol in seiner familienverbindung mit Alkibiades. so führt diese ver-<lb/> läumdung dazu, ihre entstehung in den kreisen der attischen oligarchie<lb/> zu suchen, unter den dreiſsig. <note place="foot" n="33)">Ob der spitzname χϱεωκοπίδαι, den Plutarch auch gibt, alt ist, mag ich<lb/> nicht entscheiden, denn der name steht in einem nachtrage am ende des capitels;<lb/> er ist für die manipulation des Konon und genossen nicht bezeichnend, und χϱεω-<lb/> κοπεῖν für ‘wucherzins nehmen’ scheint kein altattisches wort zu sein. — die ent-<lb/> deckung, daſs χϱεωκοπίδαι nach Ἑϱμοκοπίδαι gebildet sein müſste, erweckt die<lb/> hoffnung auf die überraschendsten aufschlüsse über attische geschichte. denn δημο-<lb/> κοπεῖν und βουλοκοπίδαι ist dann offenbar auch erst mit beziehung auf die hermo-<lb/> kopiden gesagt, vielleicht auch ἀϱτοκόπος. umgekehrt wird ein schuh daraus. uns<lb/> ist der name Hermokopiden geläufig, aber nicht aus Thukydides oder Andokides,<lb/> sondern aus Plutarch Alkib. 20. 21, und der gelehrte gewährsmann desselben hat<lb/> den namen aus der Komoedie genommen, in der wir ihn einmal lesen, Ar. Lysistr. 1094,<lb/> und Philochoros (schol. Vög. 766) hat ihn dieser volkstümlichen aber spöttischen<lb/> rede entlehnt. der rhetorischen geschichtsschreibung ist er fremd. die Komoedie<lb/> aber, gewöhnt an bildungen wie σπουδαϱχίδαι, Ἀποδϱασιππίδης, <hi rendition="#i">Nummosexpal-<lb/> ponides</hi> und an die composita mit metaphorisch gebrauchtem κόπτειν wie<lb/> βουλοκοπίδαι u. dgl., lieſs sich den scherznamen, in dem κόπτειν ganz eigentlich<lb/> stehn konnte, nicht entgehn.</note> die demokratischen verteidiger, die den<lb/> betrug zugeben, aber den Solon persönlich entschuldigen, sind notwendig<lb/> später als die verläumder aufgetreten und waren leute der bekannten<lb/> gutartigen aber kritiklosen sorte, die statt das factum zu bestreiten oder<lb/> beweis dafür zu fordern, ihm durch eine schwächliche ausrede die spitze<lb/> abzubiegen versuchen. <note place="foot" n="34)">Androtion ist hieran unschuldig. da er die seisachthie in der münzreform<lb/> sah, muſste er die ganze geschichte in jeder form verwerfen. daſs er bei Aristo-<lb/> teles nicht vorliegt, folgt zudem daraus, daſs seine berücksichtigung im zehnten<lb/> capitel wenig geschickt nachgetragen wird.</note> auf die dreiſsig weist mit sicherheit die in-<lb/> sinuation absichtlicher unklarheit in den gesetzen, um dem processiren<lb/> vorschub zu leisten. denn Aristoteles selbst berichtet, daſs die dreiſsig<lb/> um die macht der volksgerichte zu brechen, die clauseln der solonischen<lb/> gesetze beseitigt hätten, und benutzt dafür dasselbe beispiel aus dem<lb/> erbrecht (35, 2 <note xml:id="note-0077" next="#note-0078" place="foot" n="35)">Platon Ges. XI 923 verwirft zwar die solonische ordnung auch, aber nicht<lb/> indem er die freie vererbung gestattet, wie sein onkel Kritias, sondern indem er<lb/> die verfügung in ähnlicher weise wie in unsern fideicommissen beschränkt, und<lb/> wenn er auf das gesetz (mit den worten ἐάν τις ὑμᾶς ϑωπείαις ὑποδϱαμὼν ἐν<lb/> νόσοις ἢ γήϱᾳ σαλεύοντας παϱὰ τὸ βέλτιστον διατίϑεσϑαι πείϑῃ) hindeutet, um</note>: wenn eben dieses bei Plutarch (21) unter den be-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [63/0077]
Eine oligarchische quelle.
Kallias war nicht so harmlos, wie man nach den aristophanischen stellen
wähnen mag: der proceſs des Andokides und die unfreundliche rück-
sicht, die ihm Xenophon zollt, beweist es. die hauptgefahr lag freilich
wol in seiner familienverbindung mit Alkibiades. so führt diese ver-
läumdung dazu, ihre entstehung in den kreisen der attischen oligarchie
zu suchen, unter den dreiſsig. 33) die demokratischen verteidiger, die den
betrug zugeben, aber den Solon persönlich entschuldigen, sind notwendig
später als die verläumder aufgetreten und waren leute der bekannten
gutartigen aber kritiklosen sorte, die statt das factum zu bestreiten oder
beweis dafür zu fordern, ihm durch eine schwächliche ausrede die spitze
abzubiegen versuchen. 34) auf die dreiſsig weist mit sicherheit die in-
sinuation absichtlicher unklarheit in den gesetzen, um dem processiren
vorschub zu leisten. denn Aristoteles selbst berichtet, daſs die dreiſsig
um die macht der volksgerichte zu brechen, die clauseln der solonischen
gesetze beseitigt hätten, und benutzt dafür dasselbe beispiel aus dem
erbrecht (35, 2 35): wenn eben dieses bei Plutarch (21) unter den be-
33) Ob der spitzname χϱεωκοπίδαι, den Plutarch auch gibt, alt ist, mag ich
nicht entscheiden, denn der name steht in einem nachtrage am ende des capitels;
er ist für die manipulation des Konon und genossen nicht bezeichnend, und χϱεω-
κοπεῖν für ‘wucherzins nehmen’ scheint kein altattisches wort zu sein. — die ent-
deckung, daſs χϱεωκοπίδαι nach Ἑϱμοκοπίδαι gebildet sein müſste, erweckt die
hoffnung auf die überraschendsten aufschlüsse über attische geschichte. denn δημο-
κοπεῖν und βουλοκοπίδαι ist dann offenbar auch erst mit beziehung auf die hermo-
kopiden gesagt, vielleicht auch ἀϱτοκόπος. umgekehrt wird ein schuh daraus. uns
ist der name Hermokopiden geläufig, aber nicht aus Thukydides oder Andokides,
sondern aus Plutarch Alkib. 20. 21, und der gelehrte gewährsmann desselben hat
den namen aus der Komoedie genommen, in der wir ihn einmal lesen, Ar. Lysistr. 1094,
und Philochoros (schol. Vög. 766) hat ihn dieser volkstümlichen aber spöttischen
rede entlehnt. der rhetorischen geschichtsschreibung ist er fremd. die Komoedie
aber, gewöhnt an bildungen wie σπουδαϱχίδαι, Ἀποδϱασιππίδης, Nummosexpal-
ponides und an die composita mit metaphorisch gebrauchtem κόπτειν wie
βουλοκοπίδαι u. dgl., lieſs sich den scherznamen, in dem κόπτειν ganz eigentlich
stehn konnte, nicht entgehn.
34) Androtion ist hieran unschuldig. da er die seisachthie in der münzreform
sah, muſste er die ganze geschichte in jeder form verwerfen. daſs er bei Aristo-
teles nicht vorliegt, folgt zudem daraus, daſs seine berücksichtigung im zehnten
capitel wenig geschickt nachgetragen wird.
35) Platon Ges. XI 923 verwirft zwar die solonische ordnung auch, aber nicht
indem er die freie vererbung gestattet, wie sein onkel Kritias, sondern indem er
die verfügung in ähnlicher weise wie in unsern fideicommissen beschränkt, und
wenn er auf das gesetz (mit den worten ἐάν τις ὑμᾶς ϑωπείαις ὑποδϱαμὼν ἐν
νόσοις ἢ γήϱᾳ σαλεύοντας παϱὰ τὸ βέλτιστον διατίϑεσϑαι πείϑῃ) hindeutet, um
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