Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

I. 4. Drakons verfassung.
feigen? so steht es vielmehr: 500 scheffel, wie die leute, die noch keine
pedanten sind, sagen, (während der moderne steuermensch von 500-
medimnen- respective -metreten-einkommen reden würde) repraesentiren
überhaupt gar nichts, was sich in eine feste summe umrechnen liesse,
denn die bodenerzeugnisse, die man misst, sind allzuverschiedenen wertes,
ganz abgesehen davon, dass es sich hier um bruttoertrag handelt, während
in dem drakontischen gesetze sehr vorsorglich schuldenfreies vermögen
gefordert ist. freilich, wer dem Solon die schöpfung der vier auf den
bruttoertrag gestellten classen zutraut, der kann an die vermögensclassen
Drakons nicht glauben. aber wenn die Atthis und Aristoteles die durch-
sichtigen namen ippeus und zeugites mit allen mitteln so umdeuten,
dass auch für sie ein auf 300 oder 200 medimnen gestelltes einkommen
gefordert sein soll, so verraten sie damit, dass die classennamen schon
in den gesetzen Solons als etwas überkommenes angewandt worden sind,
ohne eine definition zu finden, wie notwendig der fall gewesen wäre, wenn
er sie geschaffen hätte. wie wäre es denn sonst möglich gewesen, dass
man über die bedeutung stritt? formell sind sie niemals abgeschafft
worden, sonst hätte ja das gesetz nicht immer noch die 500 scheffel
von den schatzmeistern gefordert. aber das stand eben nur auf dem
papiere. die candidaten des archontenamtes wurden einfach gefragt 'ob
sie ihre steuern zahlten', und diese waren seit 378/7 auf die einschätzung,
das timema, begründet. damit waren die classen tatsächlich beseitigt.
so viel ich weiss, werden sie zuletzt im frühjahr 386 erwähnt13), als
die kleruchie Lemnos neugeordnet ward; im fünften jahrhundert be-
gegnen sie auch bei einer coloniegründung (CIA I 31), aber wie die
directe steuer, die eisphora, damals eingerichtet war, ist unbekannt. zu
den regelmässigen leistungen gehört sie damals nicht, und diese sehen
von den classen ab: nicht die pentakosiomedimnen, sondern 'die reichsten'
werden zu der choregie u. dgl. herangezogen (56, 2). die doch sonst auf
das alte möglichst hinarbeitende verfassung der 400 hat wol die untere
grenze der opla parekhomenoi, und zwar ohne absolut fixirtes minimal-
einkommen oder minimalvermögen, wieder eingeführt, aber von den
classen im übrigen ganz abgesehen. so lebensunfähig waren sie schon
damals.14) was sollte man auch in der zeit des höchstens reichtums und

13) CIA II 14. dass der beschluss aus den letzten prytanien des Theodotos
ist, folgt daraus, dass er offenbar durch den Antalkidasfrieden hervorgerufen worden
ist, der selbst erst 386 fällt.
14) Dies ist ein unwidersprechlicher beweis dafür, dass dieselben leute nicht

I. 4. Drakons verfassung.
feigen? so steht es vielmehr: 500 scheffel, wie die leute, die noch keine
pedanten sind, sagen, (während der moderne steuermensch von 500-
medimnen- respective -metreten-einkommen reden würde) repraesentiren
überhaupt gar nichts, was sich in eine feste summe umrechnen lieſse,
denn die bodenerzeugnisse, die man miſst, sind allzuverschiedenen wertes,
ganz abgesehen davon, daſs es sich hier um bruttoertrag handelt, während
in dem drakontischen gesetze sehr vorsorglich schuldenfreies vermögen
gefordert ist. freilich, wer dem Solon die schöpfung der vier auf den
bruttoertrag gestellten classen zutraut, der kann an die vermögensclassen
Drakons nicht glauben. aber wenn die Atthis und Aristoteles die durch-
sichtigen namen ἱππεύς und ζευγίτης mit allen mitteln so umdeuten,
daſs auch für sie ein auf 300 oder 200 medimnen gestelltes einkommen
gefordert sein soll, so verraten sie damit, daſs die classennamen schon
in den gesetzen Solons als etwas überkommenes angewandt worden sind,
ohne eine definition zu finden, wie notwendig der fall gewesen wäre, wenn
er sie geschaffen hätte. wie wäre es denn sonst möglich gewesen, daſs
man über die bedeutung stritt? formell sind sie niemals abgeschafft
worden, sonst hätte ja das gesetz nicht immer noch die 500 scheffel
von den schatzmeistern gefordert. aber das stand eben nur auf dem
papiere. die candidaten des archontenamtes wurden einfach gefragt ‘ob
sie ihre steuern zahlten’, und diese waren seit 378/7 auf die einschätzung,
das τίμημα, begründet. damit waren die classen tatsächlich beseitigt.
so viel ich weiſs, werden sie zuletzt im frühjahr 386 erwähnt13), als
die kleruchie Lemnos neugeordnet ward; im fünften jahrhundert be-
gegnen sie auch bei einer coloniegründung (CIA I 31), aber wie die
directe steuer, die εἰσφοϱά, damals eingerichtet war, ist unbekannt. zu
den regelmäſsigen leistungen gehört sie damals nicht, und diese sehen
von den classen ab: nicht die pentakosiomedimnen, sondern ‘die reichsten’
werden zu der choregie u. dgl. herangezogen (56, 2). die doch sonst auf
das alte möglichst hinarbeitende verfassung der 400 hat wol die untere
grenze der ὅπλα παϱεχόμενοι, und zwar ohne absolut fixirtes minimal-
einkommen oder minimalvermögen, wieder eingeführt, aber von den
classen im übrigen ganz abgesehen. so lebensunfähig waren sie schon
damals.14) was sollte man auch in der zeit des höchstens reichtums und

13) CIA II 14. daſs der beschluſs aus den letzten prytanien des Theodotos
ist, folgt daraus, daſs er offenbar durch den Antalkidasfrieden hervorgerufen worden
ist, der selbst erst 386 fällt.
14) Dies ist ein unwidersprechlicher beweis dafür, daſs dieselben leute nicht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0096" n="82"/><fw place="top" type="header">I. 4. Drakons verfassung.</fw><lb/>
feigen? so steht es vielmehr: 500 scheffel, wie die leute, die noch keine<lb/>
pedanten sind, sagen, (während der moderne steuermensch von 500-<lb/>
medimnen- respective -metreten-einkommen reden würde) repraesentiren<lb/>
überhaupt gar nichts, was sich in eine feste summe umrechnen lie&#x017F;se,<lb/>
denn die bodenerzeugnisse, die man mi&#x017F;st, sind allzuverschiedenen wertes,<lb/>
ganz abgesehen davon, da&#x017F;s es sich hier um bruttoertrag handelt, während<lb/>
in dem drakontischen gesetze sehr vorsorglich schuldenfreies vermögen<lb/>
gefordert ist. freilich, wer dem Solon die schöpfung der vier auf den<lb/>
bruttoertrag gestellten classen zutraut, der kann an die vermögensclassen<lb/>
Drakons nicht glauben. aber wenn die Atthis und Aristoteles die durch-<lb/>
sichtigen namen &#x1F31;&#x03C0;&#x03C0;&#x03B5;&#x03CD;&#x03C2; und &#x03B6;&#x03B5;&#x03C5;&#x03B3;&#x03AF;&#x03C4;&#x03B7;&#x03C2; mit allen mitteln so umdeuten,<lb/>
da&#x017F;s auch für sie ein auf 300 oder 200 medimnen gestelltes einkommen<lb/>
gefordert sein soll, so verraten sie damit, da&#x017F;s die classennamen schon<lb/>
in den gesetzen Solons als etwas überkommenes angewandt worden sind,<lb/>
ohne eine definition zu finden, wie notwendig der fall gewesen wäre, wenn<lb/>
er sie geschaffen hätte. wie wäre es denn sonst möglich gewesen, da&#x017F;s<lb/>
man über die bedeutung stritt? formell sind sie niemals abgeschafft<lb/>
worden, sonst hätte ja das gesetz nicht immer noch die 500 scheffel<lb/>
von den schatzmeistern gefordert. aber das stand eben nur auf dem<lb/>
papiere. die candidaten des archontenamtes wurden einfach gefragt &#x2018;ob<lb/>
sie ihre steuern zahlten&#x2019;, und diese waren seit 378/7 auf die einschätzung,<lb/>
das &#x03C4;&#x03AF;&#x03BC;&#x03B7;&#x03BC;&#x03B1;, begründet. damit waren die classen tatsächlich beseitigt.<lb/>
so viel ich wei&#x017F;s, werden sie zuletzt im frühjahr 386 erwähnt<note place="foot" n="13)">CIA II 14. da&#x017F;s der beschlu&#x017F;s aus den letzten prytanien des Theodotos<lb/>
ist, folgt daraus, da&#x017F;s er offenbar durch den Antalkidasfrieden hervorgerufen worden<lb/>
ist, der selbst erst 386 fällt.</note>, als<lb/>
die kleruchie Lemnos neugeordnet ward; im fünften jahrhundert be-<lb/>
gegnen sie auch bei einer coloniegründung (CIA I 31), aber wie die<lb/>
directe steuer, die &#x03B5;&#x1F30;&#x03C3;&#x03C6;&#x03BF;&#x03F1;&#x03AC;, damals eingerichtet war, ist unbekannt. zu<lb/>
den regelmä&#x017F;sigen leistungen gehört sie damals nicht, und diese sehen<lb/>
von den classen ab: nicht die pentakosiomedimnen, sondern &#x2018;die reichsten&#x2019;<lb/>
werden zu der choregie u. dgl. herangezogen (56, 2). die doch sonst auf<lb/>
das alte möglichst hinarbeitende verfassung der 400 hat wol die untere<lb/>
grenze der &#x1F45;&#x03C0;&#x03BB;&#x03B1; &#x03C0;&#x03B1;&#x03F1;&#x03B5;&#x03C7;&#x03CC;&#x03BC;&#x03B5;&#x03BD;&#x03BF;&#x03B9;, und zwar ohne absolut fixirtes minimal-<lb/>
einkommen oder minimalvermögen, wieder eingeführt, aber von den<lb/>
classen im übrigen ganz abgesehen. so lebensunfähig waren sie schon<lb/>
damals.<note xml:id="note-0096" next="#note-0097" place="foot" n="14)">Dies ist ein unwidersprechlicher beweis dafür, da&#x017F;s dieselben leute nicht</note> was sollte man auch in der zeit des höchstens reichtums und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0096] I. 4. Drakons verfassung. feigen? so steht es vielmehr: 500 scheffel, wie die leute, die noch keine pedanten sind, sagen, (während der moderne steuermensch von 500- medimnen- respective -metreten-einkommen reden würde) repraesentiren überhaupt gar nichts, was sich in eine feste summe umrechnen lieſse, denn die bodenerzeugnisse, die man miſst, sind allzuverschiedenen wertes, ganz abgesehen davon, daſs es sich hier um bruttoertrag handelt, während in dem drakontischen gesetze sehr vorsorglich schuldenfreies vermögen gefordert ist. freilich, wer dem Solon die schöpfung der vier auf den bruttoertrag gestellten classen zutraut, der kann an die vermögensclassen Drakons nicht glauben. aber wenn die Atthis und Aristoteles die durch- sichtigen namen ἱππεύς und ζευγίτης mit allen mitteln so umdeuten, daſs auch für sie ein auf 300 oder 200 medimnen gestelltes einkommen gefordert sein soll, so verraten sie damit, daſs die classennamen schon in den gesetzen Solons als etwas überkommenes angewandt worden sind, ohne eine definition zu finden, wie notwendig der fall gewesen wäre, wenn er sie geschaffen hätte. wie wäre es denn sonst möglich gewesen, daſs man über die bedeutung stritt? formell sind sie niemals abgeschafft worden, sonst hätte ja das gesetz nicht immer noch die 500 scheffel von den schatzmeistern gefordert. aber das stand eben nur auf dem papiere. die candidaten des archontenamtes wurden einfach gefragt ‘ob sie ihre steuern zahlten’, und diese waren seit 378/7 auf die einschätzung, das τίμημα, begründet. damit waren die classen tatsächlich beseitigt. so viel ich weiſs, werden sie zuletzt im frühjahr 386 erwähnt 13), als die kleruchie Lemnos neugeordnet ward; im fünften jahrhundert be- gegnen sie auch bei einer coloniegründung (CIA I 31), aber wie die directe steuer, die εἰσφοϱά, damals eingerichtet war, ist unbekannt. zu den regelmäſsigen leistungen gehört sie damals nicht, und diese sehen von den classen ab: nicht die pentakosiomedimnen, sondern ‘die reichsten’ werden zu der choregie u. dgl. herangezogen (56, 2). die doch sonst auf das alte möglichst hinarbeitende verfassung der 400 hat wol die untere grenze der ὅπλα παϱεχόμενοι, und zwar ohne absolut fixirtes minimal- einkommen oder minimalvermögen, wieder eingeführt, aber von den classen im übrigen ganz abgesehen. so lebensunfähig waren sie schon damals. 14) was sollte man auch in der zeit des höchstens reichtums und 13) CIA II 14. daſs der beschluſs aus den letzten prytanien des Theodotos ist, folgt daraus, daſs er offenbar durch den Antalkidasfrieden hervorgerufen worden ist, der selbst erst 386 fällt. 14) Dies ist ein unwidersprechlicher beweis dafür, daſs dieselben leute nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/96
Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/96>, abgerufen am 21.11.2024.