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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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II. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes.
dass für irgend eine kunst eine ader in ihm geschlagen hätte: dass er den
Parthenon und die Propylaeen hat bauen lassen, beweist das nur dann,
wenn die bauten Schinkels für den geschmack Friedrich Wilhelms III.
beweisen.36) aber an den politischen und juristischen speculationen des Pro-
tagoras hat er anteil genommen, mit dem exegeten des väterlichen rechtes
Lampon hat er verkehrt, dem sophistischen städtegründer Hippodamos hat
er die anlage der hafenstadt anvertraut. und wenn er als geborner
ehrenmann vielleicht vor dem dienste der götzen dieser welt gefeit war,
so dass geld ehre und genuss ihn nicht verlockten: dass er über aber-
glauben erhaben war und von den schlägen der Tyche niemals gebeugt
worden ist, dankte er dem einflusse der physik und noch mehr der selbst-

Egeria des Perikles lancirt worden, die denn auch der verfasser des Menexenos
(oder doch der rahmenerzählung dieser rede) aufgriff. diesen schriftsteller nennen
sie jetzt wieder Platon: sie bedenken wol nicht, dass der dichter Diotimas nicht
der mann war, sich eine hure zur heldin zu wählen. porne hat sie Eupolis ge-
nannt, nicht zum hohn; als er die Demen schrieb, war das weib verstorben oder
verdorben, sondern in bittrem ernste: Myronides braucht das auch in Athen harte
wort gegenüber dem Perikles, dem er sagen muss, sein sohn würde längst eine
politische rolle spielen, wenn er nicht den makel des hurensohnes trüge. Eupolis
hat als einziger neben Thukydides und noch schöner, weil er ein dichter war, den
Perikles gewürdigt: was er von Aspasia sagt, hat gewicht, und kein zeuge des fünften
jahrhunderts urteilt anders. ich bin nicht so albern, dem toten frauenzimmer zu
grollen, aber man soll es lassen wie es ist, tot und ein frauenzimmer. leute, die
ohne weibliches parfum keine geschichte riechen mögen und ihre helden nicht
menschlich finden, wenn sie nicht unterweilen girren oder meckern, mögen Hamer-
ling statt Thukydides lesen. aber es ist kein kleines zeichen von der würde der
attischen geschichte, dass nur ein weib in ihr vorkommt, das aber beherrscht sie:
die jungfrau von der burg.
36) Naiv ist vollends sich Perikles in menschlichem verkehr mit Pheidias
zu denken, der gesellschaftlich und nach seiner bildung (einen hexameter konnte er
nicht machen) ein banausos war und blieb. vereinzelt kommt es ja vor, dass ein
mann aus besseren kreisen wie Kephisodotos eine bildhauerwerkstatt hat, aber die
regel ist, dass solche leute zum handwerk gehören und in ihren kreisen bleiben.
das altertum ist von der verkehrtheit, die bewunderung ihrer werke auf ihre per-
sonen zu übertragen, völlig frei. meiner meinung nach liegt die vortrefflichkeit der
antiken kunst zum guten teile daran, dass man sich um die künstler so wenig
kümmerte, keine kunstakademien und künstlerheime hatte, und von keinem ge-
sandten forderte, dass er mit seinen einladungen 'bis hinab zum künstler' gienge.
diese meinung ist gleichgiltig: aber wer von der ideengemeinschaft zwischen Peri-
kles und Pheidias redet, beweise erst, dass staatsmann und bildhauer eine gemein-
schaft und Pheidias ideen hatten. augen hatte er und hände, das sieht man, und
das ist genug, die ideen empfieng er wie sein volk von den dichtern und weisen.
er gab ihnen gestalt: darin liegt seine grösse.

II. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes.
daſs für irgend eine kunst eine ader in ihm geschlagen hätte: daſs er den
Parthenon und die Propylaeen hat bauen lassen, beweist das nur dann,
wenn die bauten Schinkels für den geschmack Friedrich Wilhelms III.
beweisen.36) aber an den politischen und juristischen speculationen des Pro-
tagoras hat er anteil genommen, mit dem exegeten des väterlichen rechtes
Lampon hat er verkehrt, dem sophistischen städtegründer Hippodamos hat
er die anlage der hafenstadt anvertraut. und wenn er als geborner
ehrenmann vielleicht vor dem dienste der götzen dieser welt gefeit war,
so daſs geld ehre und genuſs ihn nicht verlockten: daſs er über aber-
glauben erhaben war und von den schlägen der Tyche niemals gebeugt
worden ist, dankte er dem einflusse der physik und noch mehr der selbst-

Egeria des Perikles lancirt worden, die denn auch der verfasser des Menexenos
(oder doch der rahmenerzählung dieser rede) aufgriff. diesen schriftsteller nennen
sie jetzt wieder Platon: sie bedenken wol nicht, daſs der dichter Diotimas nicht
der mann war, sich eine hure zur heldin zu wählen. πόϱνη hat sie Eupolis ge-
nannt, nicht zum hohn; als er die Demen schrieb, war das weib verstorben oder
verdorben, sondern in bittrem ernste: Myronides braucht das auch in Athen harte
wort gegenüber dem Perikles, dem er sagen muſs, sein sohn würde längst eine
politische rolle spielen, wenn er nicht den makel des hurensohnes trüge. Eupolis
hat als einziger neben Thukydides und noch schöner, weil er ein dichter war, den
Perikles gewürdigt: was er von Aspasia sagt, hat gewicht, und kein zeuge des fünften
jahrhunderts urteilt anders. ich bin nicht so albern, dem toten frauenzimmer zu
grollen, aber man soll es lassen wie es ist, tot und ein frauenzimmer. leute, die
ohne weibliches parfum keine geschichte riechen mögen und ihre helden nicht
menschlich finden, wenn sie nicht unterweilen girren oder meckern, mögen Hamer-
ling statt Thukydides lesen. aber es ist kein kleines zeichen von der würde der
attischen geschichte, daſs nur ein weib in ihr vorkommt, das aber beherrscht sie:
die jungfrau von der burg.
36) Naiv ist vollends sich Perikles in menschlichem verkehr mit Pheidias
zu denken, der gesellschaftlich und nach seiner bildung (einen hexameter konnte er
nicht machen) ein βάναυσος war und blieb. vereinzelt kommt es ja vor, daſs ein
mann aus besseren kreisen wie Kephisodotos eine bildhauerwerkstatt hat, aber die
regel ist, daſs solche leute zum handwerk gehören und in ihren kreisen bleiben.
das altertum ist von der verkehrtheit, die bewunderung ihrer werke auf ihre per-
sonen zu übertragen, völlig frei. meiner meinung nach liegt die vortrefflichkeit der
antiken kunst zum guten teile daran, daſs man sich um die künstler so wenig
kümmerte, keine kunstakademien und künstlerheime hatte, und von keinem ge-
sandten forderte, daſs er mit seinen einladungen ‘bis hinab zum künstler’ gienge.
diese meinung ist gleichgiltig: aber wer von der ideengemeinschaft zwischen Peri-
kles und Pheidias redet, beweise erst, daſs staatsmann und bildhauer eine gemein-
schaft und Pheidias ideen hatten. augen hatte er und hände, das sieht man, und
das ist genug, die ideen empfieng er wie sein volk von den dichtern und weisen.
er gab ihnen gestalt: darin liegt seine gröſse.
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[100/0110] II. 3. Von Peisistratos bis Ephialtes. daſs für irgend eine kunst eine ader in ihm geschlagen hätte: daſs er den Parthenon und die Propylaeen hat bauen lassen, beweist das nur dann, wenn die bauten Schinkels für den geschmack Friedrich Wilhelms III. beweisen. 36) aber an den politischen und juristischen speculationen des Pro- tagoras hat er anteil genommen, mit dem exegeten des väterlichen rechtes Lampon hat er verkehrt, dem sophistischen städtegründer Hippodamos hat er die anlage der hafenstadt anvertraut. und wenn er als geborner ehrenmann vielleicht vor dem dienste der götzen dieser welt gefeit war, so daſs geld ehre und genuſs ihn nicht verlockten: daſs er über aber- glauben erhaben war und von den schlägen der Tyche niemals gebeugt worden ist, dankte er dem einflusse der physik und noch mehr der selbst- 35) 36) Naiv ist vollends sich Perikles in menschlichem verkehr mit Pheidias zu denken, der gesellschaftlich und nach seiner bildung (einen hexameter konnte er nicht machen) ein βάναυσος war und blieb. vereinzelt kommt es ja vor, daſs ein mann aus besseren kreisen wie Kephisodotos eine bildhauerwerkstatt hat, aber die regel ist, daſs solche leute zum handwerk gehören und in ihren kreisen bleiben. das altertum ist von der verkehrtheit, die bewunderung ihrer werke auf ihre per- sonen zu übertragen, völlig frei. meiner meinung nach liegt die vortrefflichkeit der antiken kunst zum guten teile daran, daſs man sich um die künstler so wenig kümmerte, keine kunstakademien und künstlerheime hatte, und von keinem ge- sandten forderte, daſs er mit seinen einladungen ‘bis hinab zum künstler’ gienge. diese meinung ist gleichgiltig: aber wer von der ideengemeinschaft zwischen Peri- kles und Pheidias redet, beweise erst, daſs staatsmann und bildhauer eine gemein- schaft und Pheidias ideen hatten. augen hatte er und hände, das sieht man, und das ist genug, die ideen empfieng er wie sein volk von den dichtern und weisen. er gab ihnen gestalt: darin liegt seine gröſse. 35) Egeria des Perikles lancirt worden, die denn auch der verfasser des Menexenos (oder doch der rahmenerzählung dieser rede) aufgriff. diesen schriftsteller nennen sie jetzt wieder Platon: sie bedenken wol nicht, daſs der dichter Diotimas nicht der mann war, sich eine hure zur heldin zu wählen. πόϱνη hat sie Eupolis ge- nannt, nicht zum hohn; als er die Demen schrieb, war das weib verstorben oder verdorben, sondern in bittrem ernste: Myronides braucht das auch in Athen harte wort gegenüber dem Perikles, dem er sagen muſs, sein sohn würde längst eine politische rolle spielen, wenn er nicht den makel des hurensohnes trüge. Eupolis hat als einziger neben Thukydides und noch schöner, weil er ein dichter war, den Perikles gewürdigt: was er von Aspasia sagt, hat gewicht, und kein zeuge des fünften jahrhunderts urteilt anders. ich bin nicht so albern, dem toten frauenzimmer zu grollen, aber man soll es lassen wie es ist, tot und ein frauenzimmer. leute, die ohne weibliches parfum keine geschichte riechen mögen und ihre helden nicht menschlich finden, wenn sie nicht unterweilen girren oder meckern, mögen Hamer- ling statt Thukydides lesen. aber es ist kein kleines zeichen von der würde der attischen geschichte, daſs nur ein weib in ihr vorkommt, das aber beherrscht sie: die jungfrau von der burg.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/110>, abgerufen am 23.11.2024.