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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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Polizeigewalt. macht des rates der 500.
beamten eingeschritten, deren competenz über die verhängung niedriger
geldstrafen nicht hinausgieng. denn wenn wir nach dem gesetze Lampons
den könig eine meldung an den rat erstatten sehen, damit dieser eine
polizeiliche contravention stärker ahnde, als der könig selbst kann (CIA IV
p. 61), so fordert die logik, dass ehedem in solchen fällen der könig an
den Areopag gegangen ist. diese ganze strafgewalt hat der Areopag
durch Ephialtes bis auf rudimente, wie die sorge für die ölbäume, ver-
loren. das geschah in consequenz seines verlustes der nomophylakie;
es brauchte kaum ausdrücklich beseitigt zu werden.

Der rat der oligarchie hat sowol 411 wie 404 die volle gerichts-Macht des
rates der
500.

hoheit selbst über leben und tod ausgeübt, und niemand hat ihm daraus
den vorwurf eines übergriffes gemacht. schon daraus folgt, dass die
Athener des fünften jahrhunderts mit dem begriffe des rates den besitz
dieser vollen gewalt verbanden, die keiner ihrer beamten, selbst der
feldherr nicht, besass. die Thesmophoriazusen zeigen den prytanen, der
den rat vertritt, wie er einen Athener in den block spannen lässt; es
hat eine meldung genügt, um die polizei zu so scharfer massregel zu
bringen. die verhaftung erlaubt sich der rat auch 406, sogar gegen die
feldherrn (Xen. Hell. I 7, 3). vor der verhängung der todesstrafe scheute
er bei dieser gelegenheit zurück, und so auch der rat des nächsten
jahres, als er den Kleophon verhaftete (Lys. 30, 11).8) das formelle
recht aber besass er ohne zweifel.9) er besass es auch nach der her-
stellung der demokratie. 403 hat er auf den antrag des Archinos ein
todesurteil sogar ohne gerichtsverhandlung vollstrecken lassen (41, 2).
damals war die demokratie noch beschränkt, aber in dem ratseide stand
auch später ou dexomai endeixin oude apagogen eneka ton proteron
gegenemenon plen ton phugonton (Andok. 1, 91). es gab also noch

8) In diesem falle brachte ein ratsherr im rate das gesetz durch, dass der rat
mit zu gerichte sitzen sollte. so erzählt Lysias. derselbe sagt jedoch, dass dieses
gesetz an dem tage des gerichtes selbst erst angenommen ward, und beschwert sich
über ungesetzlichkeit. freilich konnte ein wirkliches gesetz nur vom volke beschlossen
werden, also war dieses keines. also hat wol vielmehr der rat zwar nicht den mut ge-
habt, selbst das todesurteil zu sprechen, aber auf seinem rechte bestanden, über die
endeixis lipotaxiou, die bei ihm erfolgt war, zu richten. was herauskam, ein ge-
mischtes gericht, war etwas anomales, aber schwerlich wider den geist oder buch-
staben der alten verfassung.
9) Das gesetz auf dem steine CIA I 57, das todesstrafe erwähnt, scheint durch
den zusatz aneu tou demou plethuontos die instruction des rates für den vorsitz in
der volksversammlung zu enthalten; spätere zeilen handeln von der tagesordnung.
übrigens ist es allzu verstümmelt.
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Polizeigewalt. macht des rates der 500.
beamten eingeschritten, deren competenz über die verhängung niedriger
geldstrafen nicht hinausgieng. denn wenn wir nach dem gesetze Lampons
den könig eine meldung an den rat erstatten sehen, damit dieser eine
polizeiliche contravention stärker ahnde, als der könig selbst kann (CIA IV
p. 61), so fordert die logik, daſs ehedem in solchen fällen der könig an
den Areopag gegangen ist. diese ganze strafgewalt hat der Areopag
durch Ephialtes bis auf rudimente, wie die sorge für die ölbäume, ver-
loren. das geschah in consequenz seines verlustes der nomophylakie;
es brauchte kaum ausdrücklich beseitigt zu werden.

Der rat der oligarchie hat sowol 411 wie 404 die volle gerichts-Macht des
rates der
500.

hoheit selbst über leben und tod ausgeübt, und niemand hat ihm daraus
den vorwurf eines übergriffes gemacht. schon daraus folgt, daſs die
Athener des fünften jahrhunderts mit dem begriffe des rates den besitz
dieser vollen gewalt verbanden, die keiner ihrer beamten, selbst der
feldherr nicht, besaſs. die Thesmophoriazusen zeigen den prytanen, der
den rat vertritt, wie er einen Athener in den block spannen läſst; es
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bringen. die verhaftung erlaubt sich der rat auch 406, sogar gegen die
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er bei dieser gelegenheit zurück, und so auch der rat des nächsten
jahres, als er den Kleophon verhaftete (Lys. 30, 11).8) das formelle
recht aber besaſs er ohne zweifel.9) er besaſs es auch nach der her-
stellung der demokratie. 403 hat er auf den antrag des Archinos ein
todesurteil sogar ohne gerichtsverhandlung vollstrecken lassen (41, 2).
damals war die demokratie noch beschränkt, aber in dem ratseide stand
auch später οὐ δέξομαι ἔνδειξιν οὐδὲ ἀπαγωγὴν ἕνεκα τῶν πϱότεϱον
γεγενημένων πλὴν τῶν φυγόντων (Andok. 1, 91). es gab also noch

8) In diesem falle brachte ein ratsherr im rate das gesetz durch, daſs der rat
mit zu gerichte sitzen sollte. so erzählt Lysias. derselbe sagt jedoch, daſs dieses
gesetz an dem tage des gerichtes selbst erst angenommen ward, und beschwert sich
über ungesetzlichkeit. freilich konnte ein wirkliches gesetz nur vom volke beschlossen
werden, also war dieses keines. also hat wol vielmehr der rat zwar nicht den mut ge-
habt, selbst das todesurteil zu sprechen, aber auf seinem rechte bestanden, über die
ἔνδειξις λιποταξίου, die bei ihm erfolgt war, zu richten. was herauskam, ein ge-
mischtes gericht, war etwas anomales, aber schwerlich wider den geist oder buch-
staben der alten verfassung.
9) Das gesetz auf dem steine CIA I 57, das todesstrafe erwähnt, scheint durch
den zusatz ἄνευ τοῦ δήμου πληϑύοντος die instruction des rates für den vorsitz in
der volksversammlung zu enthalten; spätere zeilen handeln von der tagesordnung.
übrigens ist es allzu verstümmelt.
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[195/0205] Polizeigewalt. macht des rates der 500. beamten eingeschritten, deren competenz über die verhängung niedriger geldstrafen nicht hinausgieng. denn wenn wir nach dem gesetze Lampons den könig eine meldung an den rat erstatten sehen, damit dieser eine polizeiliche contravention stärker ahnde, als der könig selbst kann (CIA IV p. 61), so fordert die logik, daſs ehedem in solchen fällen der könig an den Areopag gegangen ist. diese ganze strafgewalt hat der Areopag durch Ephialtes bis auf rudimente, wie die sorge für die ölbäume, ver- loren. das geschah in consequenz seines verlustes der nomophylakie; es brauchte kaum ausdrücklich beseitigt zu werden. Der rat der oligarchie hat sowol 411 wie 404 die volle gerichts- hoheit selbst über leben und tod ausgeübt, und niemand hat ihm daraus den vorwurf eines übergriffes gemacht. schon daraus folgt, daſs die Athener des fünften jahrhunderts mit dem begriffe des rates den besitz dieser vollen gewalt verbanden, die keiner ihrer beamten, selbst der feldherr nicht, besaſs. die Thesmophoriazusen zeigen den prytanen, der den rat vertritt, wie er einen Athener in den block spannen läſst; es hat eine meldung genügt, um die polizei zu so scharfer maſsregel zu bringen. die verhaftung erlaubt sich der rat auch 406, sogar gegen die feldherrn (Xen. Hell. I 7, 3). vor der verhängung der todesstrafe scheute er bei dieser gelegenheit zurück, und so auch der rat des nächsten jahres, als er den Kleophon verhaftete (Lys. 30, 11). 8) das formelle recht aber besaſs er ohne zweifel. 9) er besaſs es auch nach der her- stellung der demokratie. 403 hat er auf den antrag des Archinos ein todesurteil sogar ohne gerichtsverhandlung vollstrecken lassen (41, 2). damals war die demokratie noch beschränkt, aber in dem ratseide stand auch später οὐ δέξομαι ἔνδειξιν οὐδὲ ἀπαγωγὴν ἕνεκα τῶν πϱότεϱον γεγενημένων πλὴν τῶν φυγόντων (Andok. 1, 91). es gab also noch Macht des rates der 500. 8) In diesem falle brachte ein ratsherr im rate das gesetz durch, daſs der rat mit zu gerichte sitzen sollte. so erzählt Lysias. derselbe sagt jedoch, daſs dieses gesetz an dem tage des gerichtes selbst erst angenommen ward, und beschwert sich über ungesetzlichkeit. freilich konnte ein wirkliches gesetz nur vom volke beschlossen werden, also war dieses keines. also hat wol vielmehr der rat zwar nicht den mut ge- habt, selbst das todesurteil zu sprechen, aber auf seinem rechte bestanden, über die ἔνδειξις λιποταξίου, die bei ihm erfolgt war, zu richten. was herauskam, ein ge- mischtes gericht, war etwas anomales, aber schwerlich wider den geist oder buch- staben der alten verfassung. 9) Das gesetz auf dem steine CIA I 57, das todesstrafe erwähnt, scheint durch den zusatz ἄνευ τοῦ δήμου πληϑύοντος die instruction des rates für den vorsitz in der volksversammlung zu enthalten; spätere zeilen handeln von der tagesordnung. übrigens ist es allzu verstümmelt. 13*

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/205>, abgerufen am 28.11.2024.